Harry Potter und der Feuerkelch, стр. 6

Harry hatte zwei Briefe von Sirius erhalten, seit er wieder im Ligusterweg wohnte. Nicht Eulen hatten sie uberbracht (wie es unter Zauberern ublich war), sondern gro?e, hellbunte tropische Vogel. Hedwig hatte diese glamoureusen Eindringlinge gar nicht gemocht; nur au?erst widerwillig erlaubte sie ihnen, aus ihrem Wassernapf zu trinken, bevor sie wieder davonflogen. Harry jedoch mochte die Vogel; sie erinnerten ihn an Palmen und wei?en Sand, und er hoffte, Sirius, wo immer er war (was er in seinen Briefen nie verriet, falls sie abgefangen wurden), wurde es sich gut gehen lassen. Harry konnte es sich kaum vorstellen, da? die Dementoren unter der strahlenden Sonne lange uberleben wurden; vielleicht war Sirius deshalb nach Suden gegangen. Seine beiden Briefe, unter dem au?erst nutzlichen losen Dielenbrett unter Harrys Bett versteckt, klangen recht frohlich, und er hatte Harry jedes Mal aufgefordert, ihm zu schreiben, falls er ihn brauchen sollte. Nun, jetzt brauchte er ihn wirklich…

Das kalte graue Licht, das den Sonnenaufgang ankundigte, drang allmahlich ins Zimmer und Harrys Lampe schien zu verblassen. Schlie?lich, als die Sonne aufgegangen war und die Wande seines Zimmers in Gold getaucht hatte, als Gerausche aus Onkel Vernons und Tante Petunias Zimmer zu horen waren, raumte Harry die zerknitterten Pergamente von seinem Schreibtisch und las den fertigen Brief noch einmal durch.

Lieber Sirius,

danke fur deinen letzten Brief, dieser Vogel war so riesig, da? er es kaum durch mein Fenster geschafft hat.

Hier geht es zu wie immer. Mit Dudleys Diat lauft es nicht besonders gut. Meine Tante hat ihn gestern erwischt, wie er Doughnuts in sein Zimmer schmuggelte. Sie haben gedroht, ihm das Taschengeld zu kurzen, wenn er das noch mal macht, und daraufhin ist er furchtbar wutend geworden und hat seine PlayStation aus dem Fenster geworfen. Das ist eine Art Computer, auf dem man spielen kann. Ziemlich dumm von ihm, wenn du mich fragst, denn jetzt hat er nicht mal Giga-Gemetzel Teil III, um sich abzulenken. Mir geht's ganz gut, vor allem weil die Dursleys schreckliche Angst haben, du konntest hier auftauchen und, wenn ich dich darum bitte, sie alle in Fledermause verwandeln.

Aber heute Morgen ist etwas Merkwurdiges passiert. Meine Narbe hat wieder wehgetan. Das letzte Mal hat sie geschmerzt, weil Voldemort in Hogwarts war. Aber ich glaube nicht, da? er irgendwo in meiner Nahe sein kann, oder? Wei?t du, ob Fluchnarben manchmal noch nach Jahren wehtun?

Ich schick dir diesen Brief mit Hedwig, sobald sie zuruckkommt, im Augenblick ist sie jagen. Gru? Seidenschnabel von mir. Harry

Ja, dachte Harry, das kann ich so lassen. Von seinem Traum wollte er lieber nichts erwahnen, sonst dachte Sirius womoglich noch, er sei mit den Nerven vollig am Ende. Er faltete das Pergament zusammen und legte den Brief an den Tischrand, bereit fur Hedwig, wenn sie zuruckkam. Dann stand er auf, streckte sich und offnete noch einmal den Schrank. Ohne einen Blick auf sein Spiegelbild zu werfen, zog er sich an und ging hinunter zum Fruhstuck.

Die Einladung

Die drei Dursleys sa?en bereits am Tisch, aber keiner von ihnen blickte auf, als Harry in die Kuche kam und sich dazusetzte. Onkel Vernons breites rotes Gesicht war hinter der morgendlichen Tagespost versteckt und Tante Petunia, die Lippen uber ihren Pferdezahnen gespitzt, viertelte eine Grapefruit.

Dudley sa? mit zornigem Schmollmund da und schien noch mehr Platz einzunehmen als sonst. Und das sollte schon etwas hei?en, denn er beanspruchte immer eine ganze Seite des quadratischen Tisches fur sich. Als Tante Petunia mit einem zittrigen»Bitte sehr, Diddyschatz«ein ungezuckertes Viertel der Grapefruit auf Dudleys Teller legte, warf er ihr einen finsteren Blick zu. Sein Leben hatte eine hochst unerfreuliche Wendung genommen, seit er mit dem Jahreszeugnis in die Sommerferien gekommen war.

Wie ublich hatten Onkel Vernon und Tante Petunia viele Ausreden fur seine schlechten Noten gefunden; Tante Petunia pflegte felsenfest zu behaupten, Dudley sei ein hoch begabter Junge, nur leider wurden die Lehrer ihn einfach nicht verstehen. Onkel Vernon hingegen versicherte, er wolle ohnehin keinen kleinen streberhaften Weichling haben. Auch den im Zeugnis erhobenen Vorwurf, Dudley wurde andere Schuler schikanieren, taten sie ab -»Er ist nun mal ein kleiner Rabauke, doch er wurde keiner Fliege was zuleide tun!«, sagte Tante Petunia mit Tranen in den Augen.

Allerdings fanden sich am Ende des Schreibens einige sorgsam gewahlte Bemerkungen der Schulkrankenschwester, die nicht einmal Onkel Vernon und Tante Petunia wegerklaren konnten. Wie sehr Tante Petunia auch jammerte, Dudley habe eben gro?e Knochen und bestehe ansonsten doch aus Babyspeck, er sei ein Junge, der noch wachse und viel zu essen brauche – es blieb dabei, da? die Schulausstatter keine Knickerbocker mehr fuhrten, die ihm noch pa?ten. Der Schulkrankenschwester war nicht entgangen, was Tante Petunia – die so scharfe Augen hatte, wenn es darum ging, Fingerabdrucke auf ihren schimmernden Mobeln zu entdecken und das Kommen und Gehen der Nachbarn zu beobachten – einfach nicht sehen wollte: da? Dudley keineswegs Extraportionen zu essen brauchte, sondern ungefahr Gro?e und Gewicht eines jungen Killerwals erreicht hatte.

Und so kam es, da? nach vielen Streitereien und Wutanfallen, die Harrys Zimmerboden erschutterten, und nach vielen Tranen Tante Petunias der neue Speiseplan eingefuhrt wurde. Sie heftete den Diatzettel, den die Schulkrankenschwester aus Smeltings geschickt hatte, an den Kuhlschrank, raumte samtliche Lieblingsleckereien Dudleys aus – klebrige Softdrinks und Kuchen, Schokoriegel und Hamburger – und fullte ihn stattdessen mit Obst und Gemuse und all jenen Dingen, die Onkel Vernon als»Kaninchenfutter«bezeichnete. Um Dudley die Sache ein wenig schmackhafter zu machen, bestand Tante Petunia darauf, da? auch der Rest der Familie Diat hielt. So reichte sie Harry jetzt ebenfalls ein Viertel Grapefruit. Harry entging nicht, da? es viel kleiner war als Dudleys Stuck. Tante Petunia schien zu glauben, um Dudley bei Laune zu halten, musse sie zumindest dafur sorgen, da? er wenigstens mehr zu essen bekam als Harry.

Doch Tante Petunia wu?te nicht, was unter dem losen Dielenbrett oben in Harrys Zimmer versteckt war. Sie hatte keine Ahnung, da? Harry sich keineswegs an die Diat hielt. Kaum hatte er Wind davon bekommen, da? er den Sommer uber von Karotten wurde leben mussen, hatte Harry Hedwig mit einem Hilferuf zu seinen Freunden geschickt, und sie hatten diese Herausforderung glanzend bewaltigt. Von Hermine hatte Hedwig eine gro?e Schachtel zuckerfreier Knabbereien zuruckgebracht (Hermines Eltern waren Zahnarzte). Hagrid, der Wildhuter von Hogwarts, war mit einem Beutel voll selbst gebackener Felsenkekse in die Bresche gesprungen (Harry hatte sie noch nicht angeruhrt; Hagrids Backkunste kannte er zur Genuge). Mrs Weasley jedoch hatte die Familieneule Errol mit einem riesigen Fruchtekuchen und verschiedenen Pasteten zu Harry geschickt. Der arme, schon etwas altersschwache Errol hatte ganze funf Tage gebraucht, um sich von dem Flug zu erholen. Und schlie?lich hatte Harry an seinem Geburtstag (den die Dursleys glatt ubergangen hatten) vier kostliche Geburtstagskuchen erhalten, je einen von Ron, Hermine, Hagrid und Sirius. Harry hatte immer noch zwei davon ubrig, und so begann er in der Vorfreude auf ein herzhaftes Fruhstuck oben im Zimmer klaglos seine Grapefruit zu essen.

Onkel Vernon legte die Zeitung zur Seite, schnaubte tief durch und besah sich sein eigenes Stuck Grapefruit.

»Das ist alles?«, sagte er ungnadig zu Tante Petunia.

Tante Petunia warf ihm einen strengen Blick zu und nickte mit gespitztem Mund hinuber zu Dudley, der sein Grapefruit-Viertel bereits aufgegessen hatte und nun Harrys Stuck mit einem sehr sauren Ausdruck in den kleinen Schweinsauglein ins Visier nahm.