Harry Potter und der Feuerkelch, стр. 4

»Ich nenne dich einen Muggel«, sagte die Stimme kuhl.»Das bedeutet, da? du kein Zauberer bist.«

»Ich wei? nicht, was Sie mit Zauberer meinen«, sagte Frank mit allmahlich festerer Stimme.»Alles, was ich wei?, ist, da? ich heute Nacht was gehort hab, das sicher die Polizei interessieren wird. Sie haben einen Mord begangen und planen noch mehr Morde! Und ich sag Ihnen noch was«, fugte er in einer plotzlichen Eingebung hinzu,»meine Frau wei?, da? ich hier oben bin, und wenn ich nicht zuruckkomme -«

»Du hast keine Frau«, sagte die kalte Stimme vollig ungeruhrt.»Keiner wei?, da? du hier bist. Du hast niemandem etwas gesagt. Beluge Lord Voldemort nicht, Muggel, denn er wei?… er wei? immer…«

»Stimmt das?«, sagte Frank barsch.»Lord, tatsachlich? Nun, ich halte nicht viel von Ihren Manieren, Sie Lord, Sie. Warum drehen Sie sich nicht um und schauen mir ins Gesicht wie ein Mann?«

»Ich bin kein Mann, Muggel«, sagte die kalte Stimme, die sich kaum uber das Knistern des Feuers erhob.»Ich bin viel, viel mehr als ein Mann. Allerdings… warum nicht? Ich werde dir ins Gesicht sehen… Wurmschwanz, komm her und drehe meinen Stuhl um.«

Vom Diener her kam ein Wimmern.

»Du hast mich gehort, Wurmschwanz.«

Langsam, mit einer schrecklichen Grimasse, als ware ihm nichts mehr zuwider als sich seinem Herrn und der vor dem Kamin zusammengerollten Schlange zu nahern, ging der kleine Mann auf den Stuhl zu und begann ihn zu drehen. Die Stuhlbeine streiften leicht den Kaminvorleger und die Schlange hob ihren ha?lichen dreieckigen Kopf und zischte leise.

Und dann war der Stuhl auf Frank gerichtet, und er sah, was dort sa?. Sein Stock fiel klappernd zu Boden. Er offnete den Mund und stie? einen Schrei aus. Er schrie so laut, da? er die Worte, die das Etwas auf dem Stuhl sprach, als es seinen Zauberstab erhob, nicht horen konnte. Ein gruner Lichtblitz, ein Brausen, und Frank Bryce brach zusammen. Noch bevor er aufschlug, war er tot.

Dreihundert Kilometer entfernt fuhr der Junge namens Harry Potter erschrocken aus dem Schlaf.

Die Narbe

Harry lag flach auf dem Rucken und atmete schwer, als ob er gerannt ware. Mit aufs Gesicht gepre?ten Handen war er aus einem fiebrigen Traum erwacht. Die alte Narbe auf seiner Stirn, die aussah wie ein Blitz, brannte unter seinen Fingern, als ob ihm jemand einen wei? gluhenden Draht auf die Stirn drucken wurde.

Er richtete sich auf, die eine Hand immer noch auf der Narbe, mit der anderen im Dunkeln nach seiner Brille auf dem Nachttisch tastend. Jetzt sah er sein Zimmer klarer. Es lag in dem schwachen, dunstig-orangeroten Licht, das die Stra?enlaterne von drau?en durch die Vorhange warf.

Harry fuhr noch einmal mit den Fingern uber die Narbe. Sie tat immer noch weh. Er knipste die Lampe auf dem Nachttisch an, stieg aus dem Bett, durchquerte das Zimmer, offnete seinen Schrank und blinzelte in den Spiegel an der Innenseite der Tur. Ein hagerer Junge von vierzehn Jahren schaute zuruck, dessen hellgrune Augen unter dem zerzausten schwarzen Haar leicht verwirrt dreinblickten. Er besah sich die Blitznarbe im Spiegelbild etwas naher. Sie sah aus wie immer.

Harry versuchte sich zu erinnern, was er getraumt hatte. Es war ihm so wirklich vorgekommen… zwei Personen waren in dem Traum erschienen, die er kannte, und dann noch eine dritte, die er noch nie gesehen hatte… er sammelte mit aller Kraft seine Gedanken, runzelte die Stirn und dachte nach…

Das verschwommene Bild eines abgedunkelten Zimmers kam ihm in den Sinn… eine Schlange hatte auf einem Kaminvorleger gelegen… ein kleiner Mann namens Peter, Spitzname Wurmschwanz… und eine kalte, hohe Stimme… die Stimme Lord Voldemorts. Beim blo?en Gedanken an ihn fuhlte sich Harry, als wurde ihm ein Packen Eiswurfel in den Magen gleiten…

Er druckte die Augen zu und versuchte sich zu erinnern, wie Voldemort ausgesehen hatte, doch er schaffte es nicht… Harry wu?te nur eines. In dem Augenblick, da Voldemorts Stuhl herumgedreht wurde und er, Harry, gesehen hatte, was auf ihm sa?, hatte ihn das Entsetzen gepackt und aus dem Schlaf gerissen… oder war es der Schmerz seiner Narbe gewesen?

Und wer war der alte Mann? Denn ganz sicher war ein alter Mann dabei gewesen; Harry hatte beobachtet, wie er zusammengebrochen war. – Alles drehte sich; Harry legte das Gesicht in die Hande, um sein Zimmer nicht mehr zu sehen, und versuchte das Bild des matt erleuchteten Raumes festzuhalten, doch es war, als ob er Wasser in hohlen Handen halten wollte; die Einzelheiten versickerten um so schneller, je angestrengter er versuchte, sie festzuhalten… Voldemort und Wurmschwanz hatten uber jemanden gesprochen, den sie getotet hatten, doch Harry konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern… und sie hatten sich verschworen, noch jemanden zu toten… ihn…

Harry hob den Kopf, offnete die Augen und blickte in seinem Zimmer umher, als ob er erwartete, etwas Ungewohnliches zu sehen. Tatsachlich waren au?ergewohnlich viele ungewohnliche Dinge in diesem Zimmer. Ein gro?er holzerner Koffer stand mit geoffnetem Deckel am Fu? seines Bettes, und darin lagen ein Kessel, ein Besen, schwarze Umhange und verschiedene Bucher mit Zauberspruchen. Pergamentrollen waren uber dem Schreibtisch verstreut, soweit der Platz nicht von dem gro?en leeren Kafig beansprucht wurde, in dem seine Schnee-Eule Hedwig fur gewohnlich hockte. Auf dem Boden neben seinem Bett lag ein aufgeschlagenes Buch; letzte Nacht hatte er vor dem Einschlafen darin gelesen. Alle Bilder in diesem Buch bewegten sich. Manner in leuchtend orangeroten Umhangen kamen auf Besen fliegend naher und verschwanden dann wieder, wobei sie sich einen roten Ball zuwarfen.

Harry ging hinuber zu dem Buch, hob es auf und sah zu, wie einer der Zauberer ein sagenhaftes Tor machte, indem er den Ball durch einen in zwanzig Meter Hohe angebrachten Ring beforderte. Dann schlug er das Buch zu. Selbst Quidditch – nach Harrys Ansicht der beste Sport der Welt – konnte ihn jetzt nicht ablenken. Er legte Fliegen mit den Cannons auf seinen Nachttisch, ging hinuber zum Fenster, zog die Vorhange zuruck und beobachtete die Stra?e vor dem Haus.

Der Ligusterweg sah genauso aus, wie eine achtbare Vorstadtstra?e in den fruhen Morgenstunden eines Samstags aussehen mu?te. Alle Vorhange waren zugezogen. Soweit Harry sehen konnte, war kein Lebewesen in der Nahe, nicht einmal eine Katze.

Und doch… und doch… Rastlos ging Harry zuruck zum Bett, setzte sich und fuhr erneut mit dem Finger uber die Narbe. Es war nicht der Schmerz, der ihn beschaftigte; Harry hatte seine Erfahrungen mit Schmerzen und Verletzungen. Einmal hatte er alle Knochen seines rechten Armes verloren und man hatte sie uber Nacht unter Qualen wieder wachsen lassen. Derselbe Arm war nicht viel spater von einem ellenlangen Giftzahn durchstochen worden. Erst letztes Jahr war Harry von einem fliegenden Besen aus etwa funfzehn Meter Hohe in die Tiefe gesturzt. Er war an haarstraubende Unfalle und Verletzungen gewohnt; sie waren nicht zu vermeiden, wenn man nach Hogwarts ging, auf die Schule fur Zauberei und Hexerei, und wenn man Arger wie magisch anzog.

Nein, Harry beunruhigte etwas anderes. Als seine Narbe das letzte Mal geschmerzt hatte, war Voldemort in der Nahe gewesen… doch Voldemort konnte nicht hier sein, nicht jetzt… die Vorstellung, Voldemort wurde im Ligusterweg auf ihn lauern, war unsinnig, vollig abwegig…

Harry lauschte angestrengt in die Stille hinein. Erwartete er nicht doch das Knarren einer Treppe, das Rascheln eines Umhangs? Und dann zuckte er leise zusammen, als er seinen Cousin Dudley im Zimmer nebenan markerschutternd aufschnarchen horte.

Harry schuttelte sich in Gedanken; das war doch albern; niemand war im Haus au?er ihm, Onkel Vernon, Tante Petunia und Dudley, sie schliefen naturlich alle noch, sie traumten ungestort und litten keine Schmerzen.

So mochte Harry die Dursleys am liebsten: wenn sie schliefen; denn tagsuber waren sie Harry nicht besonders zugetan, um es hoflich auszudrucken. Onkel Vernon, Tante Petunia und Dudley waren Harrys einzige lebende Angehorige. Sie waren Muggel (nichtmagische Menschen), die Magie in jedweder Form ha?ten und verachteten, was bedeutete, da? Harry in ihrem Haus ungefahr so willkommen war wie der Hausschwamm. In den letzten drei Jahren war Harry viele Monate in Hogwarts gewesen, doch anderen Leuten hatten sie vorgemacht, er stecke im St. -rutus-Sicherheitszentrum fur unheilbar kriminelle Jungen. Sie wu?ten ganz genau, da? Harry, als minderjahriger Zauberer, au?erhalb von Hogwarts nicht zaubern durfte, waren aber schnell dabei, ihm fur alles, was bei ihnen schief lief, die Schuld zu geben. Harry hatte ihnen nie sein Herz ausschutten oder ihnen sein Leben in der Zaubererwelt schildern konnen. Die blo?e Vorstellung, zu ihnen zu gehen, wenn sie aufwachten, und von seiner schmerzenden Narbe und von seinen Befurchtungen wegen Voldemort zu erzahlen, war geradezu lachhaft.