Harry Potter und der Gefangene von Askaban, стр. 7

»Komm zuruck!«, bellte er,»komm rein und bring sie wieder in Ordnung!«

Doch Harry hatte ein rucksichtsloser Zorn uberwaltigt. Er stie? den Kofferdeckel auf, zog seinen Zauberstab heraus und richtete ihn auf Onkel Vernon.

»Sie hat es verdient«, sagte er nach Atem ringend,»sie hat verdient, was sie bekommen hat. Und du bleibst mir vom Hals.«

Er langte hinter sich und fummelte an der Turkette.»Ich gehe«, sagte Harry.»Mir reicht's.«Und schon war er drau?en auf der dunklen, stillen Stra?e; mit Hedwigs Kafig unter dem einen Arm schleifte er mit dem andern den Koffer hinter sich her.

Der Fahrende Ritter

Harry zog mit dem schweren Koffer im Schlepptau durch die nachtlichen Stra?en und sank schlie?lich keuchend auf ein Mauerchen am Magnolienring. Reglos sa? er da, doch noch immer kochte in ihm der Zorn und er spurte das rasende Pochen seines Herzens in den Ohren.

Nach zehn Minuten allein auf der dunklen Stra?e uberkam ihn ein neues Gefuhl: Panik. Wie er die Sache auch immer drehte und wendete, er war noch nie in einer so miserablen Lage gewesen, allein, auf sich gestellt, in der Welt der Muggel gestrandet und weit und breit niemand, an den er sich hatte wenden konnen. Das Schlimmste jedoch war, da? er gerade mutwillig gezaubert hatte, und das bedeutete, da? sie ihn fast sicher aus Hogwarts rauswerfen wurden. Er hatte die Verordnung zur Beschrankung der Zauberei Minderjahriger so kra? verletzt, da? er sich wunderte, da? die Vertreter des Zaubereiministeriums nicht hier und jetzt auf ihn niedersausten.

Zitternd sah er den Magnolienring entlang. Was wurde mit ihm geschehen? Wurden sie ihn verhaften oder ihn nur aus der Zaubererwelt verbannen? Er dachte an Ron und Hermine, und das Herz wurde ihm noch schwerer. Ron und Hermine, ob er nun kriminell war oder nicht, wurden ihm jetzt sicher helfen, doch sie waren beide im Ausland, und ohne Hedwig hatte er keine Moglichkeit, Verbindung mit ihnen aufzunehmen.

Au?erdem hatte er kein Muggelgeld. Ein wenig Zauberergold war im Geldbeutel unten im Koffer, doch der Rest des Vermogens, das ihm seine Eltern hinterlassen hatten, lagerte in einem Verlies der Gringotts-Zaubererbank in London. Seinen Koffer bis nach London zu schleifen wurde er nie schaffen. Au?er

Er sah hinunter auf seinen Zauberstab, den er immer noch umklammert hielt. Wenn er schon rausgeworfen war (sein Herz pochte nun so schnell, da? es wehtat), konnte noch ein wenig mehr Zauberei nicht weiter schaden. Er hatte den Tarnumhang, den er von seinem Vater geerbt hatte – was, wenn er den Koffer verzauberte, so da? er federleicht war, ihn an seinen Besen band, sich den Umhang uberwarf und einfach nach London flog? Dann konnte er den Rest seines Geldes aus dem Verlies holen und… sein neues Leben als Verbannter beginnen. Eine furchterliche Aussicht, doch er konnte ja nicht ewig auf dieser Mauer sitzen und am Ende noch der Muggelpolizei erklaren mussen, warum er sich mitten in der Nacht mit einem Koffer voller Zauberbucher und einem Besen herumtrieb.

Harry offnete den Koffer und kramte unter seinen Sachen nach dem Tarnumhang. Doch bevor er ihn gefunden hatte, richtete er sich plotzlich auf und sah sich um.

Ein komisches Prickeln im Nacken gab ihm das Gefuhl, er wurde beobachtet. Doch die Stra?e schien immer noch menschenleer und kein Fenster der gro?en, quadratischen Hauser war erleuchtet.

Er beugte sich wieder uber seinen Koffer, doch fast sofort stand er erneut auf, die Hand um den Zauberstab geklammert. Er ahnte es eher, als da? er es horte: jemand oder etwas stand hinter ihm, im schmalen Durchgang zwischen dem Zaun und einer Garage. Harry spahte in die Dunkelheit hinein. Wenn es sich nur bewegen wurde, dann wurde er sehen, ob es nur eine streunende Katze war – oder etwas anderes.

»Lumos«, murmelte Harry und an der Spitze seines Zauberstabes erschien ein Licht, das ihn fast blendete. Er hielt den Zauberstab hoch uber den Kopf, und die rauh verputzten Mauern von Nummer zwei glitzerten plotzlich; die Garagentur schimmerte und dazwischen sah Harry ganz deutlich die machtigen Umrisse von etwas sehr Gro?em mit weit aufgerissenen, gluhenden Augen.

Harry wich zuruck – er stie? mit dem Bein gegen seinen Koffer und stolperte. Der Zauberstab flog ihm aus der Hand, als er einen Arm ausstreckte, um den Sturz abzufangen, und er landete schmerzhaft im Rinnstein.

Da ertonte ein ohrenbetaubender Knall und Harry ri? die Hande vors Gesicht, um seine Augen vor dem jahen, blendenden Licht eines Scheinwerfers zu schutzen.

Mit einem Schrei rollte er zuruck auf den Gehweg, gerade noch rechtzeitig. Eine Sekunde spater kam ein gigantisches Paar Reifen ebendort quietschend zum Stehen, wo Harry gerade gelegen hatte. Sie gehorten, wie er erkannte, als er den Kopf hob, zu einem grell purpurfarbenen Bus, einem Dreidecker, der aus dem Nichts aufgetaucht war. Goldene Lettern uber der Windschutzscheibe verkundeten: Der Fahrende Ritter.

Einen kurzen Moment lang fragte sich Harry, ob er nach seinem Sturz noch alle Tassen im Schrank hatte. Dann sprang ein Schaffner in purpurner Uniform aus dem Bus und begann laut in die Nacht hinein zu sprechen.

»Willkommen im Fahrenden Ritter, dem Nottransporter fur gestrandete Hexen und Zauberer. Strecken Sie einfach die Zauberstabhand aus, steigen Sie ein und wir fahren Sie, wohin Sie wollen. Mein Name ist Stan Shunpike und ich bin fur heute Abend Ihr Schaff-«

Der Schaffner verstummte jah. Er hatte Harry entdeckt, der immer noch auf dem Boden sa?. Harry hob seinen Zauberstab auf und rappelte sich hoch. Von nahem sah er, da? Stan Shunpike nur ein paar Jahre alter war als er; achtzehn oder neunzehn hochstens, mit gro?en, abstehenden Ohren und einer hubschen Portion Pickel.

»Was hast du denn da unten gesucht?«, fragte Stan, jetzt ganz ohne seinen beruflichen Ernst.

»Bin hingefallen«, sagte Harry.

»Wozu das denn?«, kicherte Stan.

»War keine Absicht«, sagte Harry genervt. Seine Jeans war an einem Knie aufgerissen und die Hand, die er ausgestreckt hatte, um sich abzufangen, blutete. Plotzlich fiel ihm ein, warum er gesturzt war, drehte sich auf den Fersen um und starrte auf den Durchgang zwischen dem Zaun und der Garage. Die Scheinwerfer des Fahrenden Ritters uberfluteten ihn mit Licht – und nichts war zu sehen.

»Wen suchste denn?«, fragte Stan.

»Da war etwas Gro?es und Schwarzes«, sagte Harry und deutete unsicher auf den Durchgang.»Wie ein Hund… aber riesig.«

Er drehte sich zu Stan um, dessen Mund halb offen stand. Harry war mulmig zumute, als er Stans Augen zu der Narbe auf seiner Stirn wandern sah.

»Was'n das auf deinem Kopf?«, sagte Stan abrupt.

»Nichts«, sagte Harry schnell und patschte sich die Haare auf seine Narbe. Wenn das Zaubereiministerium nach ihm suchte, wollte er es ihnen nicht zu einfach machen.

»Wie hei?t'n du?«, bohrte Stan nach.

»Neville Longbottom.«Das war der erstbeste Name, der ihm einfiel.»Also – also dieser Bus«, fuhr er rasch fort in der Hoffnung, Stan ablenken zu konnen,»du sagst, er fahrt uberallhin?«

»Jep«, sagte Stan stolz,»wo immer du hinwillst, solange es auf Land ist. Unter Wasser geht's nicht.«Wieder sah er Harry mi?trauisch an.»Hor mal, du hast uns doch gewinkt, oder? Hast deinen Zauberstab ausgestreckt, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Harry rasch.»Hor mal, wie viel wurde es nach London kosten?«

»Elf Sickel«, sagte Stan,»aber fur dreizehn kriegst du hei?e Schokolade und fur funfzehn eine Flasche warmes Wasser und eine Zahnburste in der Farbe deiner Wahl.«

Wieder kramte Harry in seinem Koffer, zog seinen Geldbeutel heraus und zahlte etwas Silber in Stans Hand. Dann hoben sie gemeinsam den Koffer und Hedwigs Kafig die Stufen des Busses empor.

Es gab keine Sitze; ein halbes Dutzend Messingbetten stand entlang der vorhangbezogenen Fenster. Neben jedem Bett brannten Kerzen in Haltern und beleuchteten die holzgetafelten Wande. Hinten im Bus nuschelte ein winziger Zauberer mit Nachtmutze:»Nicht jetzt, danke, ich pokle gerade ein paar Schnecken«, drehte sich um und schlief weiter.