Harry Potter und der Gefangene von Askaban, стр. 56

Snapes Groll

Keiner im Turm der Gryffindors schlief in dieser Nacht. Sie wu?ten, da? das Schlo? erneut durchsucht wurde, und das ganze Haus wartete im Gemeinschaftsraum auf die Nachricht, da? sie Black endlich gefa?t hatten. Im Morgengrauen kehrte Professor McGonagall zuruck und sagte ihnen, da? er wieder entkommen war.

Wo immer sie am nachsten Tag hinkamen, uberall fielen ihnen die scharfen Sicherheitsvorkehrungen auf, Professor Flitwick brachte dem Schlo?portal anhand eines gro?en Bildes bei, Sirius Black zu erkennen; Filch wuselte die Korridore entlang und gipste alles zu, was er finden konnte, von kleinen Rissen in der Wand bis zu Mauselochern. Sir Cadogan hatten sie gefeuert. Sein Portrat hing wieder auf dem verlassenen Korridor im siebten Stock und die fette Dame war wieder an ihrem Platz. Man hatte sie zwar fachmannisch restauriert, doch immer noch war sie hochst nervos. Ihrer Ruckkehr hatte sie nur unter der Bedingung zugestimmt, da? man ihr zusatzlichen Schutz bot. Und so wurde zu ihrer Bewachung eine Truppe barbei?iger Sicherheitstrolle angeheuert. Diese bedrohlich wirkenden Gestalten, die jetzt auf dem Korridor Streife gingen, unterhielten sich mittels Grunzlauten und verglichen zum Zeitvertreib die Gro?e ihrer Schlagkeulen.

Harry fiel auf, da? die Statue der einaugigen Hexe im dritten Stock unbewacht blieb und auch ihr Buckel nicht zugegipst wurde. Offenbar hatten Fred und George Recht, wenn sie glaubten, sie – und inzwischen auch Harry, Ron und Hermine – waren die Einzigen, die von dem Einstieg zum Geheimgang wu?ten.

»Meinst du, wir sollten es melden?«, fragte Harry Ron.

»Black kann ihn ohnehin nicht benutzen«, sagte Ron ohne Zogern.»Er mu?te im Honigtopf einbrechen, wenn er durch die Falltur will. Und die Besitzer hatten das doch langst gemerkt, oder etwa nicht?«

Harry war froh, da? Ron so dachte. Zum einen war er nicht scharf darauf zu verraten, da? er jetzt die Karte des Rumtreibers besa?. Zum andern wurde er nie wieder nach Hogsmeade kommen, wenn Filch die einaugige Hexe auch noch zugipste.

Ron war uber Nacht zur Beruhmtheit geworden. Zum ersten Mal in seinem Leben schenkten ihm die anderen Schuler mehr Aufmerksamkeit als Harry und offensichtlich geno? er diese Erfahrung. Zwar steckten ihm die nachtlichen Ereignisse immer noch in den Knochen, doch eifrig schilderte er jedem, der es horen wollte, was geschehen war, und sparte dabei nicht mit Einzelheiten.

»… also, mitten im Schlaf hor ich plotzlich dieses Gerausch, als ob etwas zerrei?t, und ich denke, ich traum, versteht ihr? Aber dann spure ich diesen Luftzug… Ich wache auf und der Vorhang auf der einen Bettseite ist runtergerissen… ich drehe mich um… und da steht er uber mir… wie ein Skelett mit langen dreckigen Haaren… er halt ein Messer in der Hand, mindestens drei?ig Zentimeter lang – und er starrt mich an und ich starre zuruck und dann schreie ich und er haut ab.

Warum eigentlich?«, fragte er an Harry gewandt, wahrend sich die Madchen aus der zweiten Klasse, die seiner unheimlichen Geschichte gelauscht hatten, tuschelnd entfernten.»Warum, ist er abgehauen?«

Auch Harry hatte sich diese Frage gestellt. Warum hatte Black, nachdem er erkannt hatte, da? er das falsche Bett erwischt hatte, Ron nicht zum Schweigen gebracht, um dann zum nachsten Bett zu gehen? Black hatte vor zwolf Jahren bewiesen, da? es ihm nichts ausmachte, unschuldige Menschen zu toten, und diesmal hatte er es mit funf unbewaffneten jungen zu tun gehabt, von denen vier schliefen.

»Er mu? gewu?t haben, da? es fur ihn schwierig wurde, aus dem Schlo? zu fliehen, nachdem du geschrien und die Leute aufgeweckt hast«, sagte Harry nachdenklich.»Er hatte das ganze Haus umbringen mussen, wenn er durch das Portratloch zuruckwollte… und dann hatte er es mit den Lehrern zu tun bekommen…«

Neville war in Schimpf und Schande gefallen. Professor McGonagall war so wutend auf ihn, da? sie ihm jeden weiteren Besuch in Hogsmeade verboten, ihm eine Strafarbeit aufgehalst und jedem untersagt hatte, ihm das Pa?wort zum Turm zu sagen. Der arme Neville mu?te nun jeden Abend drau?en vor dem Gemeinschaftsraum warten, wo ihn die Sicherheitstrolle mi?trauisch beaugten, bis jemand kam, der ihn einlie?. Keine dieser Strafen jedoch kam der nahe, die seine Gro?mutter fur ihn in petto hatte. Zwei Tage nach Blacks Einbruch schickte sie ihm das Ubelste, das ein Hogwarts-Schuler zum Fruhstuck auf den Tisch bekommen konnte – einen Heuler.

Die Schuleulen schwebten wie jeden Morgen mit der Post in die Gro?e Halle. Neville verschluckte sich, als eine gro?e Schleiereule mit einem scharlachroten Umschlag im Schnabel vor ihm landete. Harry und Ron, die gegenuber sa?en, erkannten sofort, da? in diesem Brief ein Heuler steckte – ein Jahr zuvor hatte Ron einen von seiner Mutter bekommen.

»Hau lieber ab, Neville«, riet ihm Ron.

Neville lie? sich das nicht zweimal sagen. Er packte den Umschlag, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm von sich wie eine Bombe und rannte aus der Halle, ein Anblick, bei dem der Tisch der Slytherins in tosendes Gelachter ausbrach. Sie horten den Heuler in der Eingangshalle losgehen – die Stimme von Nevilles Gro?mutter, magisch verstarkt auf das Hundertfache ihrer ublichen Lautstarke, schrie und tobte, welche Schande er uber die ganze Familie gebracht habe.

Harry empfand ein so tiefes Mitleid mit Neville, da? er zunachst gar nicht bemerkte, da? auch er einen Brief bekommen hatte. Hedwig beanspruchte jetzt seine Aufmerksamkeit und pickte ihm schmerzhaft aufs Handgelenk.

»Autsch! Ach – danke, Hedwig -«

Wahrend Hedwig sich ein wenig an Nevilles Cornflakes gutlich tat, ri? Harry den Umschlag auf und entfaltete den Brief.

Lieber Harry, lieber Ron, wie war's mit einer Tasse Tee heute Nachmittag gegen sechs? Ich hol euch vom Schlo? ab. Wartet in der Eingangshalle auf mich. Ihr durft nicht alleine rausgehen.

Beste Gru?e,

Hagrid

»Er will wahrscheinlich alles uber Black horen!«, sagte Ron. Und so verlie?en Harry und Ron an diesem Nachmittag um sechs den Turm der Gryffindors, gingen' schleunigst an den Sicherheitstrollen vorbei und stiegen hinunter in die Eingangshalle.

Hagrid wartete bereits auf sie.

»Ich wei?, Hagrid!«, sagte Ron.»Du willst sicher wissen, was Samstagnacht passiert ist?«

»Das wei? ich schon alles«, sagte Hagrid, offnete das Portal und geleitete sie nach drau?en.

»Ach so«, sagte Ron ein wenig enttauscht.

Das Erste, was sie sahen, als sie in Hagrids Hutte traten, war Seidenschnabel. Die gewaltigen Flugel an den Korper geschmiegt hatte er sich der Lange nach auf Hagrids Flickenvorleger ausgestreckt und verspeiste genu?lich einen gro?en Teller toter Frettchen. Harry wandte die Augen von diesem unschonen Anblick ab und sah jetzt einen kolossalen Anzug aus braunem Fellhaar und eine furchterliche gelborangerote Krawatte an der Tur von Hagrids Kleiderschrank hangen.

»Wozu brauchst du diese Klamotten?«, fragte Harry.

»Fur den Proze? gegen Seidenschnabel vor dem Ausschu? fur die Beseitigung gefahrlicher Geschopfe«, sagte Hagrid.»Diesen Freitag. Wir fahren zusammen runter nach London. Ich hab zwei Betten im Fahrenden Ritter gebucht…«

Harry uberkamen plotzlich peinliche Gewissensbisse. Da? Seidenschnabel bald der Proze? drohte, hatte er vollig vergessen, und nach Rons verlegener Miene zu schlie?en war es ihm nicht anders ergangen. Zudem hatten sie ihr Versprechen vergessen, Hagrid bei der Vorbereitung fur Seidenschnabels Verteidigung zu helfen: Der Feuerblitz hatte es schlichtweg aus ihren Kopfen geloscht.

Hagrid schenkte ihnen Tee ein und bot ihnen einen Teller Rosinenbrotchen an, doch sie lehnten dankend ab; Hagrids Kochkunste hatten sie noch gut in Erinnerung.

»Ich hab was mit euch zu besprechen«, sagte Hagrid und setzte sich mit einer fur ihn ungewohnlich ernsten Miene zwischen die beiden.

»Was denn?«, wollte Harry wissen.