Clavigo, стр. 4

Zweiter Akt

Das Haus des Clavigo

Clavigo.

Wer die Franzosen sein mogen, die sich bei mir haben melden lassen? — Franzosen! Sonst war mir diese Nation willkommen! — Und warum nicht jetzt? Es ist wunderbar, ein Mensch, der sich uber so vieles hinaussetzt, wird doch an einer Ecke mit Zwirnsfaden angebunden. — Weg! — Und war ich Marien mehr schuldig als mir selbst? und ist's eine Pflicht, mich unglucklich zu machen, weil mich ein Madchen liebt?

Ein Bedienter.

Bedienter.

Die Fremden, mein Herr.

Clavigo.

Fuhr sie herein! Du sagtest doch ihrem Bedienten, da? ich sie zum Fruhstuck erwarte?

Bedienter.

Wie Sie befahlen.

Clavigo.

Ich bin gleich wieder hier. Ab.

Beaumarchais. Saint George.

Der Bediente setzt ihnen Stuhle und geht.

Beaumarchais.

Es ist mir so leicht! so wohl! mein Freund, da? ich endlich hier bin, da? ich ihn habe; er soll mir nicht entwischen. Sein Sie ruhig; wenigstens zeigen Sie ihm die gelassenste Au?enseite! Meine Schwester! meine Schwester! Wer glaubte, da? du so unschuldig als unglucklich bist? Es soll an den Tag kommen, du sollst auf das grimmigste geracht werden. Und du, guter Gott, erhalt mir die Ruhe der Seele, die du mir in diesem Augenblicke gewahrest, da? ich mit aller Ma?igung in dem entsetzlichen Schmerz und so klug handle als moglich!

Saint George.

Ja diese Klugheit, alles, mein Freund, was Sie jemals von Uberlegung bewiesen haben, nehm ich in Anspruch. Sagen Sie mir's zu, mein Bester, noch einmal, da? Sie bedenken, wo Sie sind. In einem fremden Konigreiche, wo alle Ihre Beschutzer, wo all Ihr Geld nicht im stande ist, Sie gegen die geheimen Maschinen nichtswurdiger Feinde zu sichern.

Beaumarchais.

Sein Sie ruhig! Spielen Sie Ihre Rolle gut, er soll nicht wissen, mit welchem von uns beiden er's zu tun hat. Ich will ihn martern. O, ich bin guten Humors genug, um den Kerl an einem langsamen Feuer zu braten.

Clavigo.

Meine Herren, es ist mir eine Freude, Manner von einer Nation bei mir zu sehen, die ich immer geschatzt habe.

Beaumarchais.

Mein Herr, ich wunsche, da? auch wir der Ehre wurdig sein mogen, die Sie unsern Landsleuten anzutun belieben.

Saint George.

Das Vergnugen, Sie kennen zu lernen, hat bei uns die Bedenklichkeit uberwunden, da? wir beschwerlich sein konnten.

Clavigo.

Personen, die der erste Anblick empfiehlt, sollten die Bescheidenheit nicht so weit treiben.

Beaumarchais.

Freilich kann Ihnen nicht fremd sein, von Unbekannten besucht zu werden, da Sie durch die Vortrefflichkeit Ihrer Schriften sich ebensosehr in auswartigen Reichen bekannt gemacht haben, als die ansehnlichen Amter, die Ihro Majestat Ihnen anvertrauen, Sie in Ihrem Vaterlande distinguieren.

Clavigo.

Der Konig hat viele Gnade fur meine geringe Dienste, und das Publikum viel Nachsicht fur die unbedeutenden Versuche meiner Feder; ich wunschte, da? ich einigerma?en etwas zu der Verbesserung des Geschmacks in meinem Lande, zur Ausbreitung der Wissenschaften beitragen konnte. Denn sie sind's allein, die uns mit andern Nationen verbinden, sie sind's, die aus den entferntesten Geistern Freunde machen und die angenehmste Vereinigung unter denen selbst erhalten, die leider durch Staatsverhaltnisse ofters getrennt werden.

Beaumarchais.

Es ist entzuckend, einen Mann so reden zu horen, der gleichen Einflu? auf den Staat und auf die Wissenschaften hat. Auch mu? ich gestehen, Sie haben mir das Wort aus dem Munde genommen, und mich geradeswegs auf das Anliegen gebracht, um dessen willen Sie mich hier sehen. Eine Gesellschaft gelehrter wurdiger Manner hat mir den Auftrag gegeben, an jedem Orte, wo ich durchreiste und Gelegenheit fande, einen Briefwechsel zwischen ihnen und den besten Kopfen des Konigreichs zu stiften. Wie nun kein Spanier besser schreibt als der Verfasser der Blatter, die unter dem Namen» Der Denker «so bekannt sind, ein Mann, mit dem ich die Ehre habe zu reden —

Clavigo macht eine verbindliche Beugung.

Beaumarchais.

Und der eine besondere Zierde der Gelehrten ist, indem er gewu?t hat, mit seinen Talenten einen solchen Grad von Weltklugheit zu verbinden; dem es nicht fehlen kann, die glanzenden Stufen zu besteigen, deren ihn sein Charakter und seine Kenntnisse wurdig machen — ich glaube, meinen Freunden keinen angenehmern Dienst leisten zu konnen, als wenn ich sie mit einem solchen Manne verbinde.

Clavigo.

Kein Vorschlag in der Welt konnte mir erwunschter sein, meine Herren: ich sehe dadurch die angenehmsten Hoffnungen erfullt, mit denen sich mein Herz oft ohne Aussicht einer glucklichen Gewahrung beschaftigte. Nicht da? ich glaubte, durch meinen Briefwechsel den Wunschen Ihrer gelehrten Freunde genugtun zu konnen; so weit geht meine Eitelkeit nicht. Aber da ich das Gluck habe, da? die besten Kopfe in Spanien mit mir zusammenhangen, da mir nichts unbekannt bleiben mag, was in unserm weiten Reiche von einzelnen, oft verborgenen Mannern fur die Wissenschaften, fur die Kunste getan wird, so sahe ich mich bisher als einen Kolporteur an, der das geringe Verdienst hat, die Erfindungen anderer gemeinnutzig zu machen; nun aber werd' ich durch Ihre Dazwischenkunft zum Handelsmann, der das Gluck hat, durch Umsetzung der einheimischen Produkte den Ruhm seines Vaterlandes auszubreiten und daruber es noch mit fremden Schatzen zu bereichern. Und so erlauben Sie, mein Herr, da? ich einen Mann, der mit solcher Freimutigkeit eine so angenehme Botschaft bringt, nicht wie einen Fremden behandle; erlauben Sie, da? ich frage, was fur ein Geschaft, was fur ein Anliegen Sie diesen weiten Weg gefuhrt hat? Nicht, als wollt ich durch diese Indiskretion eine eitle Neugierde befriedigen; nein, glauben Sie vielmehr, da? es in der reinsten Absicht geschieht, alle Krafte, allen Einflu?, den ich etwa haben mag, fur Sie zu verwenden; denn ich sage Ihnen zum voraus, Sie sind an einen Ort gekommen, wo sich einem Fremden zu Ausfuhrung seiner Geschafte, besonders bei Hofe, unzahlige Schwierigkeiten entgegensetzen.

Beaumarchais.

Ich nehme ein so gefalliges Anerbieten mit allem Dank an. Ich habe keine Geheimnisse fur Sie, mein Herr, und dieser Freund wird bei meiner Erzahlung nicht zu viel sein; er ist sattsam von dem unterrichtet, was ich Ihnen zu sagen habe.

Clavigo betrachtet Saint George mit Aufmerksamkeit.

Beaumarchais.

Ein franzosischer Kaufmann, der bei einer starken Anzahl von Kindern wenig Vermogen besa?, hatte viele Korrespondenten in Spanien. Einer der reichsten kam vor funfzehn Jahren nach Paris und tat ihm den Vorschlag:»Gebt mir zwei von Euren Tochtern, ich nehme sie mit nach Madrid, und versorge sie. Ich bin ledig, bejahrt, ohne Verwandte, sie werden das Gluck meiner alten Tage machen, und nach meinem Tode hinterla? ich ihnen eine der ansehnlichsten Handlungen in Spanien. «Man vertraute ihm die altste und eine der jungern Schwestern. Der Vater ubernahm, das Haus mit allen franzosischen Waren zu versehen, die man verlangen wurde, und so hatte alles ein gutes Ansehn, bis der Korrespondent mit Tode abging, ohne die Franzosinnen im geringsten zu bedenken, die sich denn in dem beschwerlichen Falle sahen, allein einer neuen Handlung vorzustehen.

Die altste hatte unterdessen geheiratet, und unerachtet des geringen Zustandes ihrer Glucksguter erhielten sie sich durch gute Auffuhrung und durch die Annehmlichkeit ihres Geistes eine Menge Freunde, die sich wechselsweise beeiferten, ihren Kredit und ihre Geschafte zu erweitern.

Clavigo wird immer aufmerksamer.

Beaumarchais.

Ungefahr um eben die Zeit hatte sich ein junger Mensch, von den Kanarischen Inseln burtig, in dem Hause vorstellen lassen.

Clavigo verliert alle Munterkeit aus seinem Gesicht, und sein Ernst geht nach und nach in eine Verlegenheit uber, die immer sichtbarer wird.

Beaumarchais.

Ungeachtet seines geringen Standes und Vermogens nimmt man ihn gefallig auf. Die Frauenzimmer, die eine gro?e Begierde zur franzosischen Sprache an ihm bemerkten, erleichtern ihm alle Mittel, sich in weniger Zeit gro?e Kenntnisse zu erwerben.

Voll von Begierde, sich einen Namen zu machen, fallt er auf den Gedanken, der Stadt Madrid das seiner Nation noch unbekannte Vergnugen einer Wochenschrift im Geschmack des englischen» Zuschauers «zu geben. Seine Freundinnen lassen es nicht ermangeln, ihm auf alle Art beizustehn; man zweifelt nicht, da? ein solches Unternehmen gro?en Beifall finden wurde; genug, ermuntert durch die Hoffnung, nun bald ein Mensch von einiger Bedeutung werden zu konnen, wagt er es, der jungsten einen Heuratsvorschlag zu tun.

Man gibt ihm Hoffnung.»Sucht Euer Gluck zu machen«, sagt die alteste,»und wenn Euch ein Amt, die Gunst des Hofes, oder irgend sonst ein Mittel ein Recht wird gegeben haben, an meine Schwester zu denken, wenn sie Euch denn andern Freiern vorzieht, kann ich Euch meine Einwilligung nicht versagen.»

Clavigo bewegt sich in hochster Verwirrung auf seinem Sessel.

Beaumarchais.

Die jungste schlagt verschiedene ansehnliche Partien aus; ihre Neigung gegen den Menschen nimmt zu und hilft ihr die Sorge einer ungewissen Erwartung tragen; sie interessiert sich fur sein Gluck wie fur ihr eigenes, und ermuntert ihn, das erste Blatt seiner Wochenschrift zu geben, das unter einem vielversprechenden Titel erscheint.

Clavigo ist in der entsetzlichsten Verlegenheit.

Beaumarchais ganz kalt.

Das Werk macht ein erstaunendes Gluck; der Konig selbst, durch diese liebenswurdige Produktion ergetzt, gab dem Autor offentliche Zeichen seiner Gnade. Man versprach ihm das erste ansehnliche Amt, das sich auftun wurde. Von dem Augenblicke an entfernt er alle Nebenbuhler von seiner Geliebten, indem er ganz offentlich sich um sie bemuhte. Die Heirat verzog sich nur in Erwartung der zugesagten Versorgung. — Endlich, nach sechs Jahren Harrens, ununterbrochener Freundschaft, Beistand und Liebe von seiten des Madchens, nach sechs Jahren Ergebenheit, Dankbarkeit, Bemuhungen, heilige Versicherungen von seiten des Mannes, erscheint das Amt — und er verschwindet.