Hermann und Dorothea, стр. 8

Polyhymnia

Der Weltburger

Aber es sa?en die drei noch immer sprechend zusammen,

Mit dem geistlichen Herrn der Apotheker beim Wirte,

Und es war das Gesprach noch immer ebendasselbe,

Das viel hin und her nach allen Seiten gefuhrt ward.

Aber der treffliche Pfarrer versetzte, wurdig gesinnt, drauf:

«Widersprechen will ich Euch nicht. Ich wei? es, der Mensch soll

Immer streben zum Bessern; und, wie wir sehen, er strebt auch

Immer dem Hoheren nach, zum wenigsten sucht er das Neue.

Aber geht nicht zu weit! Denn neben diesen Gefuhlen

Gab die Natur uns auch die Lust zu verharren im Alten

Und sich dessen zu freun, was jeder lange gewohnt ist.

Aller Zustand ist gut, der naturlich ist und vernunftig.

Vieles wunscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig;

Denn die Tage sind kurz, und beschrankt der Sterblichen Schicksal.

Niemals tadl' ich den Mann, der immer, tatig und rastlos

Umgetrieben, das Meer und alle Stra?en der Erde

Kuhn und emsig befahrt und sich des Gewinnes erfreuet,

Welcher sich reichlich um ihn und um die Seinen herum hauft;

Aber jener ist auch mir wert, der ruhige Burger,

Der sein vaterlich Erbe mit stillen Schritten umgehet

Und die Erde besorgt, so wie es die Stunden gebieten.

Nicht verandert sich ihm in jedem Jahre der Boden,

Nicht streckt eilig der Baum, der neugepflanzte, die Arme

Gegen den Himmel aus, mit reichlichen Bluten gezieret.

Nein, der Mann bedarf der Geduld; er bedarf auch des reinen,

Immer gleichen, ruhigen Sinns und des graden Verstandes.

Denn nur wenige Samen vertraut er der nahrenden Erde,

Wenige Tiere nur versteht er, mehrend, zu ziehen;

Denn das Nutzliche bleibt allein sein ganzer Gedanke.

Glucklich, wem die Natur ein so gestimmtes Gemut gab!

Er ernahret uns alle. Und Heil dem Burger des kleinen

Stadtchens, welcher landlich Gewerb mit Burgergewerb paart!

Auf ihm liegt nicht der Druck, der angstlich den Landmann beschranket;

Ihn verwirrt nicht die Sorge der viel begehrenden Stadter,

Die dem Reicheren stets und dem Hoheren, wenig vermogend,

Nachzustreben gewohnt sind, besonders die Weiber und Madchen.

Segnet immer darum des Sohnes ruhig Bemuhen

Und die Gattin, die einst er, die gleichgesinnte, sich wahlet.»

Also sprach er. Es trat die Mutter zugleich mit dem Sohn ein,

Fuhrend ihn bei der Hand und vor den Gatten ihn stellend.

«Vater«, sprach sie,»wie oft gedachten wir, untereinander

Schwatzend, des frohlichen Tags, der kommen wurde, wenn kunftig

Hermann, seine Braut sich erwahlend, uns endlich erfreute!

Hin und wider dachten wir da; bald dieses, bald jenes

Madchen bestimmten wir ihm mit elterlichem Geschwatze.

Nun ist er kommen, der Tag; nun hat die Braut ihm der Himmel

Hergefuhrt und gezeigt, es hat sein Herz nun entschieden.

Sagten wir damals nicht immer: er solle selber sich wahlen?

Wunschtest du nicht noch vorhin, er mochte heiter und lebhaft

Fur ein Madchen empfinden? Nun ist die Stunde gekommen!

Ja, er hat gefuhlt und gewahlt und ist mannlich entschieden.

Jenes Madchen ist's, die Fremde, die ihm begegnet.

Gib sie ihm; oder er bleibt, so schwur er, im ledigen Stande.»

Und es sagte der Sohn:»Die gebt mir, Vater! Mein Herz hat

Rein und sicher gewahlt; Euch ist sie die wurdigste Tochter.»

Aber der Vater schwieg. Da stand der Geistliche schnell auf,

Nahm das Wort und sprach:»Der Augenblick nur entscheidet

Uber das Leben des Menschen und uber sein ganzes Geschicke;

Denn nach langer Beratung ist doch ein jeder Entschlu? nur

Werk des Moments, es ergreift doch nur der Verstand'ge das Rechte.

Immer gefahrlicher ist's, beim Wahlen dieses und jenes

Nebenher zu bedenken und so das Gefuhl zu verwirren.

Rein ist Hermann, ich kenn ihn von Jugend auf, und er streckte

Schon als Knabe die Hande nicht aus nach diesem und jenem.

Was er begehrte, das war ihm gema?; so hielt er es fest auch.

Seid nicht scheu und verwundert, da? nun auf einmal erscheinet,

Was Ihr so lange gewunscht. Es hat die Erscheinung furwahr nicht

Jetzt die Gestalt des Wunsches, so wie Ihr ihn etwa geheget.

Denn die Wunsche verhullen uns selbst das Gewunschte; die Gaben

Kommen von oben herab, in ihren eignen Gestalten.

Nun verkennet es nicht, das Madchen, das Eurem geliebten,

Guten, verstandigen Sohn zuerst die Seele bewegt hat.

Glucklich ist der, dem sogleich die erste Geliebte die Hand reicht,

Dem der lieblichste Wunsch nicht heimlich im Herzen verschmachtet!

Ja, ich seh es ihm an, es ist sein Schicksal entschieden.

Wahre Neigung vollendet sogleich zum Manne den Jungling.

Nicht beweglich ist er; ich furchte, versagt Ihr ihm dieses,

Gehen die Jahre dahin, die schonsten, in traurigem Leben.»

Da versetzte sogleich der Apotheker bedachtig,

Dem schon lange das Wort von der Lippe zu springen bereit war:

«La?t uns auch diesmal doch nur die Mittelstra?e betreten!

Eile mit Weile! das war selbst Kaiser Augustus' Devise.

Gerne schick ich mich an, den lieben Nachbarn zu dienen,

Meinen geringen Verstand zu ihrem Nutzen zu brauchen:

Und besonders bedarf die Jugend, da? man sie leite.

La?t mich also hinaus; ich will es prufen, das Madchen,

Will die Gemeinde befragen, in der sie lebt und bekannt ist.

Niemand betriegt mich so leicht; ich wei? die Worte zu schatzen.»

Da versetzte sogleich der Sohn mit geflugelten Worten:

«Tut es, Nachbar, und geht und erkundigt Euch. Aber ich wunsche,

Da? der Herr Pfarrer sich auch in Eurer Gesellschaft befinde;

Zwei so treffliche Manner sind unverwerfliche Zeugen.

Oh, mein Vater! sie ist nicht hergelaufen, das Madchen,

Keine, die durch das Land auf Abenteuer umherschweift,

Und den Jungling bestrickt, den unerfahrnen, mit Ranken.

Nein; das wilde Geschick des allverderblichen Krieges,

Das die Welt zerstort und manches feste Gebaude

Schon aus dem Grunde gehoben, hat auch die Arme vertrieben.

Streifen nicht herrliche Manner von hoher Geburt nun im Elend?

Fursten fliehen vermummt, und Konige leben verbannet.

Ach, so ist auch sie, von ihren Schwestern die beste,

Aus dem Lande getrieben; ihr eignes Ungluck vergessend,

Steht sie anderen bei, ist ohne Hulfe noch hulfreich.

Gro? sind Jammer und Not, die uber die Erde sich breiten;

Sollte nicht auch ein Gluck aus diesem Ungluck hervorgehn

Und ich, im Arme der Braut, der zuverlassigen Gattin,

Mich nicht erfreuen des Kriegs, so wie Ihr des Brandes Euch freutet?»

Da versetzte der Vater und tat bedeutend den Mund auf:

«Wie ist, o Sohn, dir die Zunge gelost, die schon dir im Munde

Lange Jahre gestockt und nur sich durftig bewegte!

Mu? ich doch heut erfahren, was jedem Vater gedroht ist:

Da? den Willen des Sohns, den heftigen, gerne die Mutter

Allzu gelind begunstigt und jeder Nachbar Partei nimmt,

Wenn es uber den Vater nun hergeht oder den Ehmann.

Aber ich will euch zusammen nicht widerstehen; was hulf' es?

Denn ich sehe doch schon hier Trotz und Tranen im voraus.

Gehet und prufet und bringt in Gottes Namen die Tochter

Mir ins Haus; wo nicht, so mag er das Madchen vergessen!»

Also der Vater. Es rief der Sohn mit froher Gebarde:

«Noch vor Abend ist Euch die trefflichste Tochter bescheret,

Wie sie der Mann sich wunscht, dem ein kluger Sinn in der Brust lebt.

Glucklich ist die Gute dann auch, so darf ich es hoffen.

Ja, sie danket mir ewig, da? ich ihr Vater und Mutter

Wiedergegeben in Euch, so wie sie verstandige Kinder

Wunschen. Aber ich zaudre nicht mehr; ich schirre die Pferde

Gleich und fuhre die Freunde hinaus auf die Spur der Geliebten,

Uberlasse die Manner sich selbst und der eigenen Klugheit,

Richte, so schwor ich Euch zu, mich ganz nach ihrer Entscheidung,

Und ich seh es nicht wieder, als bis es mein ist, das Madchen.»

Und so ging er hinaus, indessen manches die andern

Weislich erwogen und schnell die wichtige Sache besprachen.

Hermann eilte zum Stalle sogleich, wo die mutigen Hengste

Ruhig standen und rasch den reinen Hafer verzehrten

Und das trockene Heu, auf der besten Wiese gehauen.

Eilig legt' er ihnen darauf das blanke Gebi? an,

Zog die Riemen sogleich durch die schon versilberten Schnallen

Und befestigte dann die langen, breiteren Zugel,

Fuhrte die Pferde heraus in den Hof, wo der willige Knecht schon

Vorgeschoben die Kutsche, sie leicht an der Deichsel bewegend.

Abgemessen knupften sie drauf an die Waage mit saubern

Stricken die rasche Kraft der leicht hinziehenden Pferde.

Hermann fa?te die Peitsche; dann sa? er und rollt' in den Torweg.

Als die Freunde nun gleich die geraumigen Platze genommen,

Rollte der Wagen eilig und lie? das Pflaster zurucke,

Lie? zuruck die Mauern der Stadt und die reinlichen Turme.

So fuhr Hermann dahin, der wohlbekannten Chaussee zu,

Rasch, und saumete nicht und fuhr bergan wie bergunter.

Als er aber nunmehr den Turm des Dorfes erblickte

Und nicht fern mehr lagen die gartenumgebenen Hauser,

Dacht' er bei sich selbst, nun anzuhalten die Pferde.

Von dem wurdigen Dunkel erhabener Linden umschattet,

Die Jahrhunderte schon an dieser Stelle gewurzelt,

War mit Rasen bedeckt ein weiter grunender Anger

Vor dem Dorfe, den Bauern und nahen Stadtern ein Lustort.

Flach gegraben befand sich unter den Baumen ein Brunnen.

Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich steinerne Banke,

Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig hervorquoll,

Reinlich, mit niedriger Mauer gefa?t, zu schopfen bequemlich.

Hermann aber beschlo?, in diesem Schatten die Pferde

Mit dem Wagen zu halten. Er tat so und sagte die Worte:

«Steiget, Freunde, nun aus und geht, damit Ihr erfahret,

Ob das Madchen auch wert der Hand sei, die ich ihr biete.

Zwar ich glaub es, und mir erzahlt Ihr nichts Neues und Seltnes;

Hatt' ich allein zu tun, so ging' ich behend zu dem Dorf hin,

Und mit wenigen Worten entschiede die Gute mein Schicksal.

Und Ihr werdet sie bald vor allen andern erkennen;

Denn wohl schwerlich ist an Bildung ihr eine vergleichbar.

Aber ich geb Euch noch die Zeichen der reinlichen Kleider:

Denn der rote Latz erhebt den gewolbeten Busen,