Der Schwarm, стр. 87

Frank sah Anawak lange an. Dann grinste er wieder sein knitteriges Grinsen. »War das nicht ein schoner, pathetischer Indianervortrag, mein Freund? Komm, lass uns was trinken gehen. Ach, zu dumm — du trinkst ja nicht.«

1. Mai

Trondheim, Norwegen

Eigentlich hatten sie sich in der Cafeteria treffen wollen, bevor sie gemeinsam hochgingen zum gro?en Palaver, aber Lund erschien nicht. Johanson trank einen Kaffee und sah den Zeigern der Uhr hinter der Theke zu, wie sie uber das Zifferblatt krochen. Mit ihnen krochen die Wurmer, ebenso stoisch und unbeirrbar, ohne innezuhalten. Mit jeder Sekunde bohrten sie sich tiefer ins Eis, jetzt in diesem Moment, ohne dass es eine Moglichkeit gab, sie aufzuhalten.

Johanson frostelte.

Die Zeit verstreicht nicht, sie lauft ab, flusterte eine Stimme in ihm.

Der Beginn von etwas.

Ein Plan. Alles ist gesteuert …

Abwegiger Gedanke. Wessen Plan? Was planten Heuschrecken, wenn sie die Ernte eines Sommers wegfra?en? Nichts. Sie kamen, und sie hatten Hunger. Was planten Wurmer, was planten Algen oder Quallen?

Was plante Statoil?

Skaugen war aus Stavanger hergeflogen. Er wollte einen detaillierten Bericht. Wie es aussah, war er ein Stuck weitergekommen und drangte nun darauf, die Resultate zu vergleichen. Es war Lunds Idee gewesen, Johanson vorher unter vier Augen zu sprechen, um eine gemeinsame Position zu vertreten, aber nun trank er seinen Kaffee allein.

Wahrscheinlich war sie aufgehalten worden. Vielleicht von Kare, dachte er. Sie hatten auf dem Schiff und danach nicht mehr uber ihr Privatleben gesprochen, und Johanson hatte es vermieden, sie danach zu fragen. Er hasste Aufdringlichkeit und Indiskretion, und augenblicklich schien sie alle Zeit fur sich selbst zu brauchen.

Sein Handy schellte. Es war Lund.

»Wo zum Teufel bist du?«, rief Johanson. »Ich musste deinen Kaffee mittrinken.«

»Tut mir Leid.«

»So viel Kaffee bekommt mir nicht. Im Ernst, was ist los?«

»Ich bin schon oben im Konferenzraum. Ich hatte die ganze Zeit vor, dich anzurufen, aber wir waren au?erordentlich beschaftigt.«

Ihre Stimme klang seltsam.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Johanson.

»Klar. Magst du hochkommen? Du kennst ja mittlerweile den Weg.«

»Ich bin gleich da.«

Lund war also schon im Haus. Dann hatten sie wohl etwas besprochen, was nicht fur Johansons Ohren bestimmt war.

Wenn schon. Es war ihr verdammtes Bohrprojekt.

Als er den Konferenzraum betrat, standen Lund, Skaugen und Stone vor einer gro?en Karte, die das Areal der geplanten Bohrung zeigte. Der Projektleiter redete unterdruckt auf Lund ein. Sie wirkte genervt. Auch Skaugen machte kein gluckliches Gesicht. Er wandte den Kopf, als Johanson hereinkam, und lie? ein halbherziges Lacheln um seine Mundwinkel spielen. Hvistendahl stand im Hintergrund und telefonierte.

»Bin ich zu fruh?«, fragte Johanson vorsichtig.

»Nein, es ist gut, dass Sie kommen.« Skaugen wies auf den schwarz polierten Tisch. »Setzen wir uns.«

Lund hob den Blick. Erst jetzt schien sie Johanson zu bemerken. Sie lie? Stone mitten im Wort stehen, kam zu ihm heruber und kusste ihn auf die Wange.

»Skaugen will Stone abservieren«, flusterte sie. »Du musst uns dabei helfen, horst du?«

Johanson lie? sich nichts anmerken. Sie wollte, dass er Stimmung machte. War sie verruckt geworden, ihn in diese Situation zu bringen?

Sie nahmen Platz. Hvistendahl klappte sein Handy zu. Am liebsten ware Johanson gleich wieder gegangen, um sie mit ihren Problemen allein zu lassen. Unterkuhlt sagte er: »Nun, vorweg, ich habe gezielter recherchiert als ursprunglich besprochen. Soll hei?en, ich habe speziell Forscher und Institute ausgesucht, die ihrerseits Auftrage von Energieunternehmen erhalten oder von diesen konsultiert werden.«

»War das klug?«, fragte Hvistendahl erschrocken. »Ich dachte, wir wollten moglichst unauffallig in den … ahm, Wald hineinhorchen.«

»Der Wald war zu gro?. Ich musste ihn eingrenzen.«

»Sie haben hoffentlich niemandem gesagt, dass wir …«

»Keine Bange. Ich habe einfach nur nachgefragt. Ein neugieriger Biologe der NTNU.«

Skaugen schurzte die Lippen. »Ich schatze, Sie wurden mit Informationen nicht gerade uberschuttet.«

»Wie man’s nimmt.« Johanson deutete auf die Kladde mit den Ausdrucken. »Zwischen den Zeilen schon. Wissenschaftler sind schlechte Lugner, sie hassen es, Politik zu machen. Was ich hier habe, ist ein Dossier der Zwischentone. Hier und da kann man den Maulkorb formlich sehen. Jedenfalls bin ich der unabdingbaren Uberzeugung, dass unser Wurm schon anderswo aufgefallen ist.«

»Sie sind uberzeugt?«, fragte Stone. »Aber Sie wissen es nicht.«

»Bislang hat es niemand direkt zugegeben. Aber ein paar Leute wurden plotzlich sehr neugierig.« Johanson sah Stone direkt an. »Ausnahmslos Forscher, deren Institute eng mit der Rohstoffindustrie zusammenarbeiten. Einer davon befasst sich sogar explizit mit dem Abbau von Methan.«

»Wer?«, fragte Skaugen scharf.

»Jemand in Tokio. Ein gewisser Ryo Matsumoto. Sein Institut, genauer gesagt. Mit ihm selber habe ich nicht gesprochen.«

»Matsumoto? Wer soll das sein?«, fragte Hvistendahl.

»Nippons fuhrender Hydratforscher«, erwiderte Skaugen. »Er hat schon vor Jahren in den kanadischen Permafrostboden Probebohrungen durchgefuhrt, um ans Methan zu kommen.«

»Als ich seinen Leuten die Daten uber den Wurm schickte, wurden sie ungemein hektisch«, fuhrte Johanson weiter aus. »Sie stellten Gegenfragen. Sie wollten wissen, ob der Wurm in der Lage sei, Hydrat zu destabilisieren. Und ob er in gro?erer Anzahl aufgetreten ist.«

»Das muss nicht zwangslaufig hei?en, dass Matsumoto uber den Wurm Bescheid wei?«, sagte Stone.

»Doch. Weil er fur die JNOC arbeitet«, knurrte Skaugen.

»Die Japan National Oil Corporation? Die sind in Sachen Methan unterwegs?«

»Und wie. Matsumoto hat 2000 angefangen, im Nankai-Trog verschiedene Fordertechniken zu erproben. Uber die Testergebnisse wurde Stillschweigen bewahrt, aber seitdem lasst er gerne verlauten, schon in wenigen Jahren mit dem kommerziellen Abbau beginnen zu wollen. Er singt das Hohelied des Methanzeitalters wie kein Zweiter.«

»Na schon«, sagte Stone. »Aber er hat nicht bestatigt, den Wurm gefunden zu haben.«

Johanson schuttelte den Kopf. »Stellen Sie sich unser Detektivspielchen doch mal umgekehrt vor. Wir wurden gefragt. Namentlich ich als Reprasentant der sogenannten unabhangigen Forschung. Der Betreffende, ebenfalls ein freier Forscher und zugleich Berater der JNOC, schiebt wissenschaftliche Neugierde vor, irgendwas. Ich werd’s ihm naturlich nicht auf die Nase binden, dass wir uber die Viecher Bescheid wissen. Aber ich bin aufgeschreckt. Ich will wissen, was er herausgefunden hat. Also werde ich ihn ausquetschen, so wie Matsumotos Leute mich gelochert haben, und dabei mache ich einen Fehler. Ich stelle allzu konkrete Fragen. Zu gezielt. Wenn mein Gesprachspartner nicht blode ist, wird er schnell dahinter kommen, dass er bei mir ins Schwarze getroffen hat.«

»Wenn das stimmt«, sagte Lund, »haben wir das gleiche Problem vor Japan.«

»Das sind keine Beweise«, beharrte Stone. »Sie haben keinen einzigen Beweis, Dr. Johanson, dass au?er uns noch jemand auf den Wurm gesto?en ist.« Er beugte sich vor. Die Rander seiner Brille blitzten auf. »Mit dieser Art Information kann niemand etwas anfangen. Nein, Dr. Johanson! Die Wahrheit ist, dass kein Mensch das Auftreten des Wurms voraussehen konnte, weil er eben nirgendwo sonst aufgetreten ist. Wer sagt Ihnen, dass Matsumoto nicht einfach interessiert ist?«

»Mein Bauch«, erwiderte Johanson ungeruhrt.

»Ihr … Bauch?«

»Er sagt mir auch, dass da noch mehr ist. Auch die Sudamerikaner haben den Wurm gefunden.«