Der Schwarm, стр. 75

»Und wen informieren wir jetzt?«, fragte Sahling.

»Hm.« Suess legte den Finger an die Oberlippe. »Wie war das noch? Die Angelegenheit ist vertraulich, richtig?

Wir mussten also erst mal Johanson ins Bild setzen.« »Warum nicht gleich Statoil?«, schlug Sahling vor. »Nein.« Bohrmann schuttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall.« »Du glaubst, die kehren es unter den Tisch?« »Johanson ist die bessere Option. Wie ich ihn einschatze, ist er neutraler als die Schweiz. Wir sollten ihm die Entscheidung uberlassen, wann …«

»Es bleibt keine Zeit, jemandem was zu uberlassen«, unterbrach ihn Sahling. »Wenn die Simulation auch nur annahernd wiedergibt, was am Hang passiert, mussten wir streng genommen die norwegische Regierung verstandigen.«

»Dann gleich auch samtliche Nordseestaaten!«

»Gute Idee. Nimm Island dazu.«

»Augenblick mal!« Suess hob die Hande. »Wir fuhren hier doch keinen Kreuzzug.« »Darum geht’s nicht.« »Darum geht es wohl. Noch ist es nur eine Simulation.« »Schon, aber …« »Nein, er hat Recht«, unterbrach ihn Bohrmann. »Wir konnen nicht die Pferde scheu machen, einfach damit es jeder wei?. Wir wissen es ja selber nicht genau. Ich meine, wir wissen, wie es sich abspielt, aber die Resultate sind Hochrechnungen. Augenblicklich konnen wir lediglich sagen, dass gro?e Mengen Methan in die Atmosphare gelangen werden.«

»Traumst du?«, rief Sahling. »Wir wissen verdammt genau, was passieren wird.« Bohrmann betastete unwillkurlich die Stelle, an der sein Schnurrbart nachwuchs. »Na gut. Wir konnen es veroffentlichen. Es reicht fur ein Dutzend Titelseiten. Aber was waren die Folgen?«

»Was sind die Folgen«, sinnierte Suess, »wenn in der Zeitung steht, dass die Erde von einem Meteoriten getroffen wird?«

»Haltst du den Vergleich fur treffend?«

»Irgendwie schon.«

»Ich bin der Meinung, wir sollten das nicht alleine entscheiden«, sagte Mirbach. »Gehen wir schrittweise vor. Zuallererst reden wir mit Johanson. Er ist schlie?lich der Kontaktmann. Au?erdem, wenn wir es aus rein wissenschaftlicher Warte betrachten, gebuhrt ihm die Ehre.«

»Welche Ehre?«

»Er hat die Wurmer entdeckt.«

»Nein, Statoil hat sie entdeckt. Aber meinetwegen. Johanson die Ehre. Und dann?«

»Holen wir die Regierungen ins Boot.« »Und veroffentlichen die Sache?« »Warum denn nicht? Alles wird veroffentlicht. Wir wissen von koreanischen und iranischen Nuklearprogrammen und dass irgendwelche Idioten Milzbranderreger freisetzen. Wir wissen alles uber BSE, uber die Schweinepest und uber genmanipuliertes Gemuse. In Frankreich erkranken und sterben die Leute gerade zu Dutzenden und Hunderten an irgendwelchen Bakterien aus verseuchten Schalentieren. Herrgott, die rennen ja nicht gleich in die Berge, um sich zu verstecken.«

»Nein«, sagte Bohrmann. »Naturlich nicht. Aber wenn wir offentlich uber einen Storegga-Effekt nachdenken …« »Dafur sind die Daten zu oberflachlich«, sagte Suess. »Die Simulation zeigt, wie schnell die Zersetzung voranschreitet. Damit zeigt sie auch alles Weitere.«

»Aber sie sagt nicht definitiv, was dann passiert.«

Bohrmann setzte zu einer Antwort an, aber Suess hatte Recht. Sie konnten sich denken, was passierte, aber sie konnten es nicht beweisen. Wenn sie jetzt damit rauskamen, ohne dass ihre Theorie hieb— und stichfest war, wurde die Ol-Lobby alles runterreden. Ihre Argumentation wurde zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. Es war zu fruh.

»Also gut«, sagte er. »Wie lange brauchen wir, um ein verbindliches Ergebnis vorzulegen?«

Suess runzelte die Stirn. »Eine weitere Woche, denke ich.«

»Das ist verdammt lang«, sagte Sahling.

»Na, hor mal!« Mirbach schuttelte entgeistert den Kopf. »Das ist verdammt schnell. Wenn du heute ein taxonomisches Urteil uber einen neuen Wurm einholen willst, kannst du dich auf monatelanges Daumchendrehen einrichten, und wir …«

»Das ist in der gegebenen Situation verdammt lang.«

»Trotzdem«, beschied Suess. »Falscher Alarm bringt nichts. Wir machen weiter.«

Bohrmann nickte. Er konnte den Blick nicht vom Monitor losen. Die Simulation war zu Ende. Dennoch ging sie weiter. Sie setzte sich fort vor seinem geistigen Auge, und was er sah, lie? ihn schaudern.

29. April

Trondheim, Norwegen

Sigur Johanson betrat Olsens Buro. Er machte die Ture hinter sich zu und setzte sich dem Biologen gegenuber. »Hast du Zeit?«

Olsen grinste. »Ich habe mich fur dich krumm gelegt«, sagte er.

»Was hast du rausgefunden?«

Olsen senkte verschworerisch die Stimme. »Womit sollen wir anfangen? Monstergeschichten? Naturkatastrophen?«

Er machte es spannend. Auch gut.

»Womit willst du denn anfangen?«

»Na ja.« Olsen blinzelte ihn listig an. »Wie ware es, wenn zur Abwechslung du mal anfangst? Warum sagst du mir nicht, wozu ich tagelang den Watson fur dich spiele — Holmes!«

Johanson fragte sich erneut, wie viel er Olsen erzahlen konnte. Ihm war klar, dass sein Gegenuber vor Neugierde platzte. Ihm selber ware es nicht anders gegangen. Aber dann wurde es binnen weniger Stunden die komplette NTNU wissen.

Plotzlich kam ihm eine Idee. Sie klang abwegig genug, um glaubhaft zu sein. Olsen wurde ihn fur bescheuert halten, aber damit lie? sich leben. Er senkte die Stimme ebenfalls und sagte: »Ich habe mir Gedanken daruber gemacht, als Erster mit einer Theorie rauszukommen.«

»Namlich.«

»Alles ist gesteuert.«

»Was?«

»Ich meine, diese Anomalien. Die Quallen. Das Verschwinden der Boote. Die Todes— und Vermisstenfalle. Mir kam einfach die Idee, dass es zwischen alldem einen hoheren Zusammenhang gibt.«

Olsen sah ihn verstandnislos an. »Nennen wir es eine hohere Planung.« Johanson lehnte sich zuruck, um zu sehen, wie Olsen den Brocken schluckte. »Und was willst du damit erreichen? Bist du auf den Nobelpreis aus oder auf einen Platz in der Geschlossenen?« »Weder noch.« Olsen starrte ihn weiter an. »Du verarschst mich.« »Nein.« »Doch. Du redest von … was wei? ich? Vom Teufel?

Finsteren Machten? Grunen Mannchen? Akte X?« »Es ist nur ein Gedanke. Ich meine, es muss einen Zusammenhang geben, oder? Alle moglichen Phanomene ergeben sich zur gleichen Zeit, haltst du das fur einen Zufall?« »Ich wei? nicht.« »Siehst du. Du wei?t es eben nicht. Ich auch nicht.« »Welche Art Zusammenhang stellst du dir denn vor?« Johansons Hande zerteilten sachte die Luft. »Das kommt nun wieder darauf an, was du zu bieten hast.« »Ach so.« Olsen verzog die Mundwinkel. »Schon hingedrechselt. Du bist doch kein Idiot, Sigur. Da ist doch noch mehr.«

»Erzahl mir was, dann sehen wir weiter.«

Olsen zuckte die Achseln, offnete eine Schublade und zog einen Packen Papier hervor. »Die Internet-Ausbeute«, sagte er. »Wenn ich nicht so ein gottverdammter Pragmatiker ware, konnte ich glatt auf die Idee kommen, den Quatsch zu glauben, den du da verzapfst.«

»Also, was gibt’s?«

»Alle Strande Mittel— und Sudamerikas sind inzwischen gesperrt. Die Menschen gehen nicht mehr ins Wasser, und die Quallen verstopfen den Fischern die Netze. Costa Rica, Chile und Peru sprechen von einem apokalyptischen Gequabbel. Nach der Portugiesischen Galeere ist eine weitere Art aufgekreuzt, sehr klein, mit extrem langen und giftigen Tentakeln. Anfangs hielt man sie fur Seewespen, aber es sieht eher nach ganz was anderem aus. Eine neue Art vielleicht.«

Schon wieder eine neue Art, dachte Johanson. Nie gesehene Wurmer, nie gesehene Quallen …

»Und die Seewespen vor Australien?«

»Das gleiche Theater.« Olsen wuhlte in seinem Papier

stapel. »Werden immer mehr. Katastrophe fur die Fischer, und der Tourismus liegt sowieso auf der Schnauze.«

»Was ist mit den Fischen in der Gegend? Gehen ihnen die Quallen nicht zu Leibe?«

»Verschwindibus.«