Der Schwarm, стр. 7

»Das ist im Augenblick nicht mein Problem«, sagte Lund leicht gereizt. »Mein Problem ist, ob da uberhaupt gebaut werden kann. So weit drau?en haben wir noch nie gebohrt. Wir mussen die technischen Voraussetzungen prufen. Wir mussen unter Beweis stellen, dass wir umweltvertraglich arbeiten. Also gehen wir nachschauen, was da alles rumschwimmt und wie die Umwelt beschaffen ist, damit wir ihr nicht auf die Fu?e treten.«

Johanson nickte. Lund schlug sich mit den Ergebnissen der Nordseekonferenz herum, nachdem das norwegische Fischereiministerium bemakelt hatte, taglich wurden Millionen Tonnen verseuchten Produktionswassers ins Meer gepumpt. Produktionswasser wurde von den unzahligen Offshore-Anlagen in der Nordsee und vor Norwegens Kuste zusammen mit Ol aus dem Meeresboden gefordert, dem es Millionen Jahre lang beigemischt gewesen war, gesattigt mit Chemikalien. Gemeinhin wurde es bei der Forderung nur mechanisch von Olklumpen getrennt und direkt ins Meer geleitet. Jahrzehntelang hatte niemand diese Praxis infrage gestellt. Bis die Regierung beim norwegischen Institut fur Meereswissenschaften eine Studie in Auftrag gegeben hatte, deren Quintessenz Umweltschutzer wie Olkonzerne gleicherma?en aufschreckte. Gewisse Substanzen im Produktionswasser beeintrachtigten die Fortpflanzungszyklen des Kabeljaus. Sie wirkten wie weibliche Hormone. Mannliche Fische wurden unfruchtbar oder wechselten das Geschlecht. Inzwischen schienen auch andere Arten bedroht. Die Forderung nach einem sofortigen Einleitungsstopp kam auf, was die Olproduzenten zwang, nach Alternativen zu forschen.

»Es ist ganz richtig, dass sie euch auf die Finger gucken«, sagte Johanson. »Je genauer, desto besser.«

»Du hilfst mir wirklich weiter.« Lund seufzte. »Jedenfalls, beim Rumstochern am Hang sind wir ziemlich tief runtergegangen. Wir haben seismische Messungen durchgefuhrt und den Roboter auf 700 Meter geschickt, um Bilder zu machen.«

»Von Wurmern.«

»Wir waren vollig uberrascht. Wir hatten nicht erwartet, sie da unten vorzufinden.«

»Unsinn. Wurmer kommen uberall vor. Und oberhalb 700 Meter? Habt ihr sie da auch gefunden?«

»Nein.« Sie rutschte ungeduldig auf ihrem Stuhl hin und her. »Was ist jetzt mit den verdammten Biestern? Ich wurde die Sache gerne zu den Akten legen, wir haben noch einen Riesenhaufen Arbeit vor uns.«

Johanson stutzte das Kinn in die Hande.

»Das Problem mit deinem Wurm ist«, sagte er, »dass es eigentlich zwei Wurmer sind.«

Sie sah ihn verstandnislos an.

»Naturlich. Es sind zwei Wurmer.«

»Das meine ich nicht. Ich meine die Gattung. Wenn ich mich nicht irre, gehort er zu einer kurzlich entdeckten Art, von der man bis dato gar nichts wusste. Man hat sie im Golf von Mexiko entdeckt, wo sie sich auf dem Meeresboden rumtreibt und offenbar von Bakterien profitiert, die wiederum Methan als Energie-und Wachstumsquelle nutzen.«

»Methan, sagst du?«

»Ja. Und da beginnt es spannend zu werden. Deine Wurmer sind zu gro? fur ihre Spezies. Ich meine, es gibt Borstenwurmer, die werden zwei Meter lang und mehr. Ubrigens auch ziemlich alt. Aber das sind andere Kaliber, und sie kommen ganz woanders vor. Wenn deine identisch sind mit denen aus dem Mexikanischen Golf, mussen sie seit ihrer Entdeckung ordentlich gewachsen sein. Die vom Golf messen maximal funf Zentimeter, deine sind dreimal so lang. Au?erdem wurden sie am Norwegischen Kontinentalhang bislang nicht beschrieben.«

»Interessant. Wie erklarst du dir das?«

»Du machst mir Spa?! Ich kann es nicht erklaren. Die einzige Antwort, die ich im Moment parat habe, ist, dass ihr auf eine neue Art gesto?en seid. Herzlichen Gluckwunsch. Sie ahnelt au?erlich dem mexikanischen Eiswurm, in der Gro?e und bestimmten Merkmalen jedoch einem ganz anderen Wurm. Besser gesagt einem Wurmahnen, von dem wir glaubten, dass er langst ausgestorben sei. Einem kleinen kambrischen Ungeheuer. Es wundert mich nur …«

Er zogerte. Die Region war von den Olgesellschaften derart unter die Lupe genommen worden, dass ein Wurm dieser Gro?e langst hatte auffallen mussen.

»Nur?«, drangte Lund.

»Na ja, entweder sind wir alle blind gewesen, oder es hat deine neuen Freunde dort vorher nicht gegeben. Vielleicht stammen sie aus noch gro?erer Tiefe.«

»Was uns zu den Frage bringt, wie sie so hoch nach oben gelangen konnten.« Lund schwieg eine Weile. Dann sagte sie: »Wann kannst du den Bericht fertig haben?«

»Ich sehe schon, du machst mal wieder Stress.«

»Ich kann jedenfalls keinen Monat darauf warten!«

»Ist ja gut«, Johanson hob beschwichtigend die Hande. »Ich werde deine Wurmer in der Welt herumschicken mussen, aber wozu hat man seine Leute. Gib mir zwei Wochen. Und versuch nicht, mich noch weiter runterzuhandeln. Schneller geht’s beim besten Willen nicht.«

Lund erwiderte nichts. Wahrend sie vor sich hinstarrte, kam das Essen, aber sie ruhrte es nicht an.

»Und sie ernahren sich von Methan?«

»Von Methan fressenden Bakterien«, korrigierte sie Johanson. »Ein ziemlich verzwicktes symbiotisches System, uber das schlauere Leute mehr erzahlen konnen. Aber das gilt fur den Wurm, von dem ich glaube, dass er mit deinem verwandt ist. Noch ist nichts bewiesen.«

»Wenn er gro?er ist als der vom Mexikanischen Golf, hat er auch mehr Appetit«, sinnierte Lund.

»Mehr jedenfalls als du«, sagte Johanson mit Blick auf ihren unangetasteten Teller. »Ubrigens ware es hilfreich, wenn du weitere Exemplare deiner Monsterspezies auftreiben konntest.«

»Daran soll’s nicht mangeln.«

»Ihr habt noch welche?«

Lund nickte mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Dann begann sie zu essen. »Ein rundes Dutzend«, sagte sie. »Aber unten sind noch mehr.« »Viele?« »Ich musste schatzen.« Sie machte eine Pause. »Aber ich wurde sagen, ein paar Millionen.«

12. Marz

Vancouver Island, Kanada

Die Tage kamen und gingen, aber der Regen blieb.

Leon Anawak konnte sich nicht erinnern, wann es in den letzten Jahren so lange am Stuck geregnet hatte. Er schaute hinaus auf den einformig glatten Ozean. Der Horizont erschien als quecksilbrige Linie zwischen der Wasseroberflache und den tief hangenden Wolkenmassen. Dort hinten begann sich eine Pause abzuzeichnen vom tagelangen Geprassel. Genau lie? sich das nicht sagen. Ebenso gut konnte Nebel heranziehen. Der Pazifische Ozean schickte, was er wollte, im Allgemeinen ohne Vorankundigung.

Ohne die Linie aus den Augen zu lassen, beschleunigte Anawak die Blue Shark und fuhr ein Stuck weiter hinaus. Das Zodiac, wie die stark motorisierten, gro?en Schlauchboote genannt wurden, war voll besetzt. Zwolf Menschen in regenfesten Overalls, bewaffnet mit Feldstechern und Kameras, verloren gerade die Lust an der Sache. Weit uber anderthalb Stunden hatten sie ausgeharrt in Erwartung von Grau— und Buckelwalen, die im Februar die warmen Buchten von Baja California und die Gewasser um Hawaii verlassen hatten, um ihren Treck in die sommerlichen Futtergrunde der Arktis anzutreten. Sechzehntausend Kilometer legten sie jedes Mal zuruck. Ihre Reise fuhrte sie vom Pazifik durch das Beringmeer in die Tschuktschensee bis an die Packeisgrenze und mitten hinein ins Schlaraffenland, wo sie sich die Bauche voll schlugen mit Flohkrebsen und Garnelen. Wenn die Tage wieder kurzer wurden, traten sie erneut den langen Weg an, zuruck nach Mexiko. Dort, geschutzt vor ihren schlimmsten Feinden, den Orcas, brachten sie ihre Jungen zur Welt. Zweimal im Jahr passierten die Herden der riesigen Meeressauger British Columbia und die Gewasser vor Vancouver Island — Monate, in denen Orte wie Tofino, Ucluelet und Victoria mit ihren Whale-Watching-Stationen ausgebucht waren.

Nicht so in diesem Jahr.

Langst hatten Vertreter der einen oder anderen Spezies Kopf oder Fluke fur das obligatorische Foto herhalten mussen. Die Wahrscheinlichkeit, den Saugern zu begegnen, war um diese Zeit so hoch, dass Davies Whaling Station Walsichtungen garantierte und fur den gegenteiligen Fall kostenlose Wiederholungsfahrten anbot. Ein paar Stunden ohne Sichtungen mochten vorkommen, ein Tag galt schon als ausgesprochenes Pech. Eine ganz Woche bot Anlass, sich Sorgen zu machen, aber eigentlich kam es nicht vor.