Der Schwarm, стр. 48

»Na und?«

Delaware breitete die Hande aus. »Ich dachte, ihr wollt rausfinden, warum das alles passiert.« »Ich wusste nicht, was dich das angeht.« »Hor endlich auf, deinen Arger an mir auszulassen!«, fuhr sie ihn an. »Ich ware da drau?en fast gestorben, und das ist eben mal ein paar Stunden her. Ich konnte heulend in deiner Schei?ambulanz sitzen, stattdessen versuche ich zu helfen. Wollt ihr’s nun wissen oder nicht?«

Anawak holte tief Luft.

»Okay.«

»Hast du gesehen, welche Tiere die Lady Wexham angegriffen haben?« »Ja. Grau— und Buckel …« »Nein.« Delaware schuttelte ungeduldig den Kopf.

»Nicht welche Spezies. Welche Individuen! Hast du sie identifizieren konnen?«

»Es ging alles zu schnell.«

Sie lachelte. Es war kein frohliches Lacheln, aber immerhin ein Lacheln »Die Frau, die wir aus dem Wasser gezogen haben, war mit mir auf der Blue Shark. Steht unter Schock. Komplett weggetreten. Trotzdem, wenn ich was will, lasse ich nicht locker …«

»Allerdings.«

»und ich sah diese Kamera um ihren Hals hangen. Sie war gut befestigt, deshalb ist sie im Wasser nicht verloren gegangen. Jedenfalls, als ihr rausgefahren seid, konnte ich mich kurz mit ihr unterhalten. Sie hat die ganze Zeit uber gefilmt! Auch noch, als Greywolf anruckte. Irgendwie war sie schwer von ihm beeindruckt, also hat sie weitergefilmt, ihn naturlich.« Sie machte eine Pause. »Wenn ich mich recht erinnere, lag die Lady Wexham aus unserer Sicht hinter Greywolf.«

Anawak nickte. Plotzlich wurde ihm klar, worauf Delaware hinauswollte.

»Sie hat den Angriff gefilmt«, sagte er.

»Sie hat vor allem die Wale gefilmt, die das Schiff angegriffen haben. Ich wei? ja nicht, wie gut du im Identifizieren von Walen bist — aber du lebst hier und kennst die Tiere. Und ein Video ist geduldig.«

»Du hast vorsorglich vergessen zu fragen, ob du die Kamera behalten darfst?«, vermutete Anawak. Sie hob das Kinn und sah ihn herausfordernd an. »Na und?« Er drehte die Kamera in den Handen. »Gut. Ich schau’s mir an.« »Wir schauen es uns an«, sagte Delaware. »Ich will in der ganzen Geschichte mit dabei sein. Und frag mich um Himmels willen nicht, warum. Es steht mir schlicht und einfach zu, okay?«

Anawak starrte sie an.

»Au?erdem«, fugte sie hinzu, »bist du ab jetzt nett zu mir.«

Langsam lie? er den Atem entweichen und betrachtete mit geschurzten Lippen die Kamera. Er musste zugeben, dass Delawares Idee bislang das Beste war, das sie hatten.

»Ich bemuhe mich«, murmelte er.

12. April

Trondheim, Norwegen

Die Einladung erreichte Johanson, als er Vorbereitungen traf, hinaus zum See zu fahren.

Nach seiner Ruckkehr aus Kiel hatte er Tina Lund von dem Experiment im Tiefsee-Simulator erzahlt. Es war ein kurzes Gesprach gewesen. Lund steckte bis uber beide Ohren in diversen Projekten und verbrachte die verbleibende Zeit mit Kare Sverdrup. Johanson war es so vorgekommen, als sei sie nicht richtig bei der Sache. Etwas schien sie zu beschaftigen, das nicht mit ihrer Arbeit zu tun hatte, aber er gab sich taktvoll und vermied es, sie danach zu fragen.

Einige Tage spater rief Bohrmann an, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen. Sie hatten in Kiel weiter mit den Wurmern experimentiert. Johanson, der bereits gepackt hatte und eben im Begriff stand, das Haus zu verlassen, beschloss, seine Abreise um die Dauer eines weiteren Telefonats zu verschieben und Lund uber die Neuigkeiten ins Bild zu setzen, aber sie lie? ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Diesmal wirkte sie aufgeraumter.

»Kannst du nicht bald mal zu uns rauskommen?«, schlug sie vor.

»Wohin? Ins Institut?«

»Nein, ins Statoil-Forschungszentrum. Wir haben die Projektleitung zu Besuch. Aus Stavanger.«

»Was soll ich dabei? Denen die Gruselgeschichten erzahlen?«

»Das hab ich selber schon getan. Jetzt sind sie scharf auf Einzelheiten. Ich habe vorgeschlagen, dass du sie ihnen lieferst.«

»Warum ausgerechnet ich?«

»Warum denn nicht?«

»Ihr habt doch Gutachten vorliegen«, sagte Johanson.

»Stapelweise. Ich kann auch nur das weitergeben, was andere herausfinden.«

»Du kannst mehr«, sagte Lund. »Du kannst … deinen Gefuhlen Ausdruck verleihen.«

Johanson war einen Augenblick sprachlos.

»Sie wissen, dass du kein Experte fur Olbohrungen bist und ebenso wenig ein wirklicher Spezialist fur Wurmer oder so was«, fuhr sie hastig fort. »Aber du genie?t einen ausgezeichneten Ruf an der NTNU, du bist neutral und nicht vorbelastet wie wir. Wir urteilen nun mal aus anderen Blickwinkeln.«

»Ihr urteilt aus dem Blickwinkel der Machbarkeit.«

»Nicht nur! Schau mal, es ist so, dass bei Statoil ein Haufen Leute zusammensitzt, von denen jeder etwas ganz Bestimmtes am besten kann, und …«

»Fachidioten eben.«

»Uberhaupt nicht!« Sie klang verargert. »Mit Fachidioten ist dieses Geschaft nicht zu machen. Hier steckt nur jeder zu tief drin. Wir hangen alle mit dem Kopf unter Wasser, mein Gott, wie soll ich es ausdrucken … Wir brauchen eben mehr Meinungen von au?en.«

»Ich verstehe nicht viel von eurem Geschaft.«

»Naturlich zwingt dich keiner.« Lund klang allmahlich gereizt. »Du kannst es auch bleiben lassen.«

Johanson verdrehte die Augen. »Schon gut. Ich habe nicht vor, dich hangen zu lassen. Es gibt tatsachlich ein paar Neuigkeiten aus Kiel und …«

»Kann ich das als Ja verbuchen?«

»Ja. In Herrgotts Namen. Wann findet dieses Treffen statt?«

»Es gibt mehrere Treffen in nachster Zeit. Eigentlich hangen wir standig zusammen.«

»Na schon. Es ist Freitag. Ubers Wochenende bin ich weg, und Montag konnte ich …«

»Das ist …« Sie stockte. »Das ware eigentlich …«

»Ja?«, sagte Johanson gedehnt, von bosen Vorahnungen geplagt.

Sie lie? einige Sekunden verstreichen.

»Was hast du uberhaupt vor am Wochenende?«, fragte sie im Plauderton. »Willst du zum See?«

»Klug erkannt. Willst du mit?«

Sie lachte. »Warum nicht?«

»Hoho! Und was sagt Kare dazu?«

»Mir doch egal. Was soll er dazu sagen?« Sie schwieg eine Sekunde. »Ach verdammt!«

»Warest du doch nur in allem so gut wie in deinem Job«, sagte Johanson so leise, dass er nicht sicher war, ob sie es verstanden hatte.

»Sigur, bitte! Kannst du deinen Ausflug nicht verschieben? Wir treffen uns in zwei Stunden, und ich dachte … es ist ja nicht weit von hier, und es dauert auch nicht lange. Du bist im Nu wieder drau?en. Du kannst heute Abend noch losfahren.«

»Ich …«

»Wir mussen einfach weiterkommen in der Sache. Wir haben einen Zeitplan, und du wei?t, was das alles kostet, und jetzt gibt es schon die ersten Verzogerungen, blo? weil …«

»Ich mach’s ja!«

»Du bist ein Schatz.«

»Soll ich dich abholen?«

»Nein, ich werde dort sein.«

»Oh, ich freue mich. Danke! Das ist wirklich lieb von dir.« Sie legte auf. Johanson betrachtete wehmutig seinen gepackten Koffer.

Als er den gro?en Konferenzraum des Statoil-Forschungszentrums betrat, war die angespannte Stimmung mit Handen zu greifen. Lund sa? in Begleitung dreier Manner an einem schwarz polierten Tisch von ausladenden Dimensionen. Spate Nachmittagssonne fiel herein und verlieh dem in Glas, Stahl und dunklen Tonen gehaltenen Interieur etwas Warme. Die Wande waren mit hochkopierten Diagrammen und technischen Zeichnungen regelrecht tapeziert.

»Hier ist er«, sagte die Dame vom Empfang und lieferte Johanson ab, als sei er ein Weihnachtspaket. Einer der Manner stand auf und kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Er hatte kurz geschnittenes, schwarzes Haar und trug eine modische Brille.

»Thor Hvistendahl, Stellvertretender Direktor des Statoil-Forschungszentrums«, stellte er sich vor. »Entschuldigen Sie, dass wir so kurzfristig Ihre Zeit beanspruchen, aber Frau Lund versicherte uns, Sie hatten nichts Besseres vor.«