Der Schwarm, стр. 37

»Aber?« »Ich wei? nicht, ob’s ein Aber gibt. Angeblich arbeitet Subsis problemlos in funfzehnhundert Meter Tiefe. Der Hersteller meint, zweitausend waren auch kein Problem, und die Olkonzerne wunschen sich funftausend.« »Ist das realistisch?« »Mittelfristig schon. Ich glaube, alles, was im kleinen Ma?stab funktioniert, klappt auch im gro?en, und die Vorteile liegen auf der Hand. Sehr bald schon werden die automatischen Fabriken die Plattformen abgelost haben.«

»Sie scheinen die allgemeine Euphorie nicht recht zu teilen«, bemerkte Johanson.

Eine Pause entstand. Bohrmann kratzte sich am Hinterkopf. Er sah aus, als wisse er nicht recht, wie er darauf antworten solle.

»Was mir Sorgen macht, ist weniger die Fabrik. Es ist die Naivitat der ganzen Herangehensweise.«

»Die Station ist ferngesteuert?«

»Komplett. Vom Land aus.«

»Das hei?t, etwaige Reparaturen und Wartungsarbeiten ubernehmen Roboter.«

Bohrmann nickte.

»Verstehe«, sagte Johanson nach einer Weile.

»Die Sache hat ein Fur und Wider«, sagte Bohrmann. »Wenn Sie in unbekanntes Gebiet vordringen, ist das immer riskant. Und die Tiefsee ist unbekanntes Gebiet, machen wir uns nichts vor. Insofern ist es richtig, dass wir versuchen, unsere Einsatzmittel zu automatisieren, anstatt Menschenleben zu gefahrden. Es ist in Ordnung, wenn wir einen Tauchroboter runterschicken, um Vorgange zu beobachten oder ein paar Proben zu entnehmen. Aber das hier ist etwas anderes. Wie wollen Sie einen Unfall, bei dem Ol unter Hochdruck aus dem Bohrloch schie?t, in funftausend Meter Tiefe wieder unter Kontrolle bringen? Sie kennen ja nicht mal wirklich das Terrain. Alles, was Sie kennen, sind Messungen. In der Tiefsee sind wir blind. Wir konnen mit Hilfe von Satelliten, mit Fachersonar oder seismischen Wellen eine Karte der Meeresbodenmorphologie anlegen, die bis auf den halben Meter genau ist. Wir delektieren Gas-und Olvorkommen mit bodensimulierenden Reflektoren, sodass die Karte hinterher sagt, hier kannst du bohren, hier ist Ol, da sind Hydrate, und da druben musst du aufpassen … Aber was da unten ist — wirklich ist! —, wissen wir trotzdem nicht.«

»Meine Rede«, murmelte Johanson.

»Wir sehen die Auswirkungen unseres Tuns nicht. Wir konnen nicht einfach mal runterflitzen, wenn die Fabrik Mist baut. Missverstehen Sie mich nicht, ich bin keineswegs gegen die Rohstoffforderung. Aber ich bin dagegen, Fehler zu wiederholen. Als der Olboom losging, hat man sich keine Gedanken daruber gemacht, wie man den ganzen Schrott wieder entsorgt bekommt, den man da so lustig ins Meer gestellt hatte, Man hat Abwasser und Chemikalien in die See und in die Flusse geleitet nach dem Motto, sie werden’s schon schlucken, radioaktives Zeug im Ozean versenkt, Ressourcen und Lebensformen ausgebeutet und vernichtet, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie komplex die Zusammenhange sind.«

»Aber die automatischen Fabriken werden kommen?«

»Zweifellos. Sie sind wirtschaftlich, sie erschlie?en Vorkommen, an die menschliche Arbeitskrafte nie rankamen. Und als Nachstes sturzt sich dann alles aufs Methan. Weil es sauberer verbrennt als alle anderen fossilen Brennstoffe.

— Stimmt! — Weil ein Wechsel von Ol und Kohle zu Methan den Treibhauseffekt verlangsamen wird. — Auch richtig. — Es ist alles richtig, solange es sich unter Idealbedingungen abspielt. Aber die Industrie verwechselt den Idealfall gerne mit der Wirklichkeit. Sie will ihn damit verwechseln. Sie wird sich von allen Prognosen immer die sonnigste heraussuchen, damit es schneller losgehen kann, auch wenn man nichts wei? uber den Kosmos, in den man da eingreift.«

»Aber wie soll das uberhaupt gehen?«, fragte Johanson. »Wie will man Hydrat fordern, wenn es sich auf dem Weg zur Oberflache zersetzt?«

»Auch da kommen wieder automatische Fabriken ins Spiel. Man schmilzt das Hydrat in gro?er Tiefe, indem man es zum Beispiel erwarmt, fangt das frei werdende Gas in Trichtern auf und leitet es nach oben. Es klingt prima, aber wer garantiert, dass solche Schmelzaktionen nicht eine Kettenreaktion auslosen und sich die Katastrophe aus dem Palaozan wiederholt?«

»Glauben Sie wirklich, das sei moglich?«

Bohrmann breitete die Hande aus.

»Jeder unuberlegte Eingriff ist ein Selbstmordkommando. Aber es geht schon los. Indien, Japan und China sind sehr rege.« Er lachelte freudlos. »Und die wissen auch nicht, was da unten ist. Sie wissen gar nichts.«

»Wurmer«, murmelte Johanson. Er dachte an die Videoaufnahme, die der Victor von dem Gewimmel am Meeresgrund gemacht hatte. Und von dem ominosen Geschopf, das so schnell im Dunkeln verschwunden war.

Wurmer. Monster. Methan. Klimakatastrophe.

Man sollte schnell noch etwas trinken.

11. April

Vancouver Island und Clayoquot Sound, Kanada

Der Anblick versetzte Anawak in Wut.

Uber zehn Meter ma? das Tier vom Kopf bis zur Fluke. Es war einer der gro?ten Transient Orcas, die er je gesehen hatte, ein gewaltiges Mannchen. In dem halb geoffneten Rachen schimmerten die typischen dicht gepackten Reihen kleiner kegelformiger Zahne. Wahrscheinlich war das Tier schon ziemlich alt, dennoch schien es vor Kraft zu strotzen. Nur wenn man genauer hinsah, bemerkte man die Stellen, an denen die schwarzwei?e Haut nicht mehr glanzte, sondern stumpf und schorfig wirkte. Das eine Auge war geschlossen, das andere verdeckt.

So riesig der Orca war, konnte er keinem Lachs mehr gefahrlich werden. Er lag auf der Seite im feuchten Sand, und er war tot.

Anawak hatte das Tier sofort erkannt. In den Registern wurde es unter der Bezeichnung J-19 gefuhrt, aber seine sabelartig gebogene Ruckenfinne hatte ihm den Spitznamen Dschinghis eingetragen. Er ging um den Orca herum und fand ein Stuck abseits John Ford, den Direktor des Forschungsprogramms fur Meeressauger im Vancouver Aquarium, im Gesprach mit Sue Oliviera, der Laborleiterin in Nanaimo, und einem dritten Mann. Sie standen unter den strandnahen Baumen. Ford winkte Anawak heran.

»Dr. Ray Fenwick vom Kanadischen Institut fur Ozeanische Wissenschaften und Fischerei«, stellte er den Unbekannten vor.

Fenwick war angereist, um die Autopsie vorzunehmen. Nachdem Dschinghis’ Tod bekannt geworden war, hatte Ford vorgeschlagen, die Vivisektion zur Abwechslung nicht hinter verschlossenen Turen, sondern direkt am Strand stattfinden zu lassen. Er wollte einer moglichst gro?en Gruppe von Presseleuten und Studenten Einblick in die Anatomie eines Orcas gewahren.

»Au?erdem wirkt es anders am Strand«, hatte er gesagt. »Nicht so antiseptisch und distanziert. Wir haben einen toten Orca und das Meer direkt vor der Nase. Es ist sein Lebensraum, nicht unserer. Er liegt quasi vor seiner Haustur. Wenn wir die Autopsie hier durchfuhren, erwecken wir mehr Verstandnis, mehr Mitleid, mehr Betroffenheit. Es ist ein Trick, aber er funktioniert.«

Sie hatten die Angelegenheit zu viert besprochen, Ford, Fenwick, Anawak und Rod Palm von der marinen Forschungsstation auf Strawberry Isle, einer winzigen Insel in der Bucht von Tofino. Die Strawberry -Leute erforschten von dort aus die Okosysteme des Clayoquot Sound. Palm selber hatte sich in der Populationskunde von Orcas einen Namen gemacht. Sie waren schnell ubereingekommen, die Obduktion offentlich durchzufuhren, weil es fur Aufmerksamkeit sorgen wurde. Und Aufmerksamkeit hatten die Orcas wei? Gott notig.

»Dem au?eren Anschein nach ist er an einer bakteriologischen Infektion gestorben«, sagte Fenwick auf Anawaks Fragen. »Aber ich will mich nicht zu vorwitzigen Prognosen versteigen.«

»Sie versteigen sich nicht«, sagte Anawak duster. »Erinnert ihr euch, 1999? Sieben tote Orcas, und alle infiziert.«

»The torture never stops«, summte Oliviera die Textzeile eines alten Frank-Zappa-Songs. Sie sah ihn an und machte eine konspirative Kopfbewegung. »Komm mal mit.«