Der Schwarm, стр. 264

Plotzlich waren sie raus aus dem Tunnel. Eine Flutwelle spuckte sie aus und spulte sie in den Hangar, der nun ebenfalls voll zu laufen begann.

Anawak startete den Au?enborder.

Nichts.

Komm schon, dachte er. Mach dich nicht wichtig, du Schei?teil! Spring endlich an.

Wieder nichts.

Spring an! Schei?teil! Schei?teil!!!

Unvermittelt rohrte der Motor los, und das Zodiac schoss davon. Anawak kippte hintenuber. Er bekam eine der Verstrebungen des Fahrerhauses zu fassen und zog sich zuruck in die Kabine. Seine Hande umschlossen das Lenkrad. Er jagte durch den Hangar, fuhr eine rasante Kurve und hielt mit voller Geschwindigkeit auf den Durchlass zur Steuerbordplattform zu.

Vor seinen Augen schrumpfte er.

Der Durchlass verlor an Hohe, je naher er ihm kam. Es war unglaublich, wie schnell sich das Deck fullte. Das Wasser stromte von unten und durch die Seiten herein, in grauen, zerklufteten Wellen. Aus den acht Metern Deckhohe des Hangars waren innerhalb von Sekunden vier geworden.

Weniger als vier.

Drei.

Der Au?enborder heulte gepeinigt auf.

Weniger als drei.

Jetzt!

Wie eine Kanonenkugel schossen sie ins Freie. Das Kabinendach schrammte hart an der Oberkante des Durchlasses entlang, dann flog das Zodiac uber einen Wellenkamm, hing einen Moment in der Luft und klatschte hart auf.

Die See war sturmisch. Graue Ungetume walzten sich heran. Anawak klammerte sich ans Lenkrad, dass seine Knochel wei? hervortraten. Er raste den nachsten Wellenberg hinauf und fiel in den dahinter liegenden Abgrund, stieg wieder empor, sturzte hinab. Dann drosselte er die Geschwindigkeit. Langsamer war besser. Jetzt sah er, dass die Wellen zwar hoch waren, aber nicht sehr steil. Er wendete das Zodiac um einhundertachtzig Grad, lie? sich von dem nachsten Berg, der heranrollte, hochheben, fuhr ganz langsam und sah hinaus.

Der Anblick war gespenstisch.

Aus der schieferfarbenen See ragte die in Flammen stehende Insel der Independence in einen dusteren Wolkenhimmel. Es sah aus, als sei mitten im Meer ein Vulkan ausgebrochen. Auch das Flugdeck lag inzwischen unter Wasser, nur die brennende Ruine behauptete sich noch trotzig gegen das unabwendbare Schicksal. Er hatte ein ordentliches Stuck zwischen sich und das versinkende Schiff gebracht, aber das Donnern der Flammen drang bis zu ihnen hinuber.

Atemlos sah er hinaus.

»Intelligente Lebensformen.« Crowe tauchte neben ihm auf, leichenblass, mit blauen Lippen und heftig zitternd. Sie krallte sich in seine Jacke, das verletzte Bein angewinkelt. »Man hat nichts als Arger mit ihnen.«

Anawak schwieg. Gemeinsam sahen sie zu, wie die Independence unterging.

FUNFTER TEIL

KONTAKT

Die Suche nach fremder Intelligenz ist immer die Suche nach der eigenen.

Carl Sagan
Traume

Wach auf!

Ich bin wach.

Wie kannst du das wissen? Um dich herum herrscht vollige Dunkelheit. Du naherst dich dem Urgrund der Welt. Was siehst du?

Nichts.

Was siehst du?

Ich sehe die grunen und roten Lichter der Instrumente vor mir. Anzeigen, die mich uber Innen— und Au?endruck in Kenntnis setzen, uber den Sauerstoffvorrat des Deepflight, uber den Neigungswinkel, mit dem ich abwarts gleite, die Treibstoffreserven, die Geschwindigkeit. Das Boot misst die chemische Zusammensetzung des Wassers und zeigt sie mir in Daten und Tabellen an. Die Sensoren erfassen die Au?entemperatur und liefern mir eine Zahl.

Was siehst du noch?

Ich sehe wirbelnde Partikel. Schneefall im Scheinwerferlicht. Organische Substanzen, die niedersinken. Das Wasser ist gesattigt mit organischen Verbindungen. Etwas trube. Nein, sehr trube.

Du siehst noch zu viel. Willst du nicht alles sehen?

Alles?

Weaver hat knapp eintausend Meter Abstand zwischen sich und die Wasseroberflache gebracht, ohne angegriffen worden zu sein. Weder ist sie Orcas noch Yrr begegnet. Das Deepflight arbeitet einwandfrei. In einer gro?en, ellipsoiden Spirale schraubt es sich nach unten. Hin und wieder geraten ein paar kleine Fische ins Licht und huschen gleich wieder davon. Detritus trudelt umher. Krill, winzige Krebschen, keines mehr als ein wei?er Punkt im Kegel der Scheinwerfer. Der Partikelreichtum schickt alles Licht zuruck an den Absender.

Seit zehn Minuten starrt sie nun angestrengt in den schmutzig grauen, durchwirbelten Kokon, den die Scheinwerfer dem Deepflight vorausschicken. Kunstlich beleuchtete Dunkelheit. Licht, das nichts erhellt. Zehn Minuten, in denen ihr jedes Gefuhl fur Oben und Unten abhanden gekommen ist. Alle paar Sekunden kontrolliert sie die Instrumente, die ihr sagen, was der Blick nach drau?en nicht verrat — wie schnell sie ist, wie steil sie fliegt, wie viel Zeit vergeht.

Die Verlasslichkeit des Computers.

Naturlich wei? sie, dass es ihre Stimme ist, mit der sie unmerklich in einen Dialog gerat. Es ist die Quintessenz gemachter Erfahrungen, angelernten und erlebten Lebens, dammernder Einsichten. Zugleich spricht etwas aus ihr und mit ihr, dessen Existenz ihr bislang verborgen war. Das Ding in ihrem Kopf stellt Fragen, unterbreitet Vorschlage, verwirrt sie.

Was siehst du?

Wenig.

Wenig ist noch ubertrieben. Nur Menschen kommen auf die absurde Idee, sich einem Wahrnehmungsapparat dort anzuvertrauen, wo er nachweislich versagt. Deine Instrumente in allen Ehren, aber um zu verstehen, wohin deine Reise geht, ist ein Lichtkegel denkbar ungeeignet, Karen. Dieses Licht dort ist ein enger Raum. Ein Gefangnis. Befreie deinen Verstand. Willst du alles sehen?

Ja.

Dann mach die Scheinwerfer aus.

Weaver zogert. Sie hatte es ohnehin vor. Es ist notwendig, um das blaue Leuchten in der Dunkelheit zu sehen, wenn es so weit ist. Aber wann ist es so weit? Uberrascht stellt sie fest, wie sehr sie sich an diesen lacherlichen Lichtkegel geklammert hat. Viel zu lange. Wie an eine Taschenlampe unter der Bettdecke. Der Reihe nach loscht sie die starken Spots, bis nur noch die Lampchen der Instrumente ubrig bleiben. Der Partikelregen ist verschwunden.

Perfekte Schwarze umgibt sie.

Polare Gewasser sind blau. Es gibt wenig chlorophyllhaltiges Leben im Nordpazifik, ebenso wie in bestimmten Gebieten rund um den antarktischen Kontinent. Dieses Blau wenige Meter unter der Oberflache hat etwas von einem Himmel. So wie ein Astronaut in einem Raumschiff das vertraute Blau immer dunkler werden sieht, je weiter er sich von der Erdoberflache entfernt, bis ihn schlie?lich die Schwarze des Weltraums umgibt, so sinkt das Tauchboot in umgekehrter Richtung einem lichtlosen Weltraum voller Ratsel entgegen, einem inner space. Im Grunde spielt es keine Rolle, ob man auf— oder absteigt. In beiden Fallen weichen mit den vertrauten Bildern die vertrauten Empfindungen oder das, was menschliche Sensorik in Gefuhle umsetzt, allem voran das Sehen, gefolgt von der Schwerkraft. Im Gegensatz zum Weltraum wird das Meer beherrscht von den Gesetzen der Gravitation, aber wer in eintausend Meter Tiefe und volliger Finsternis unterwegs ist, muss der Digitalanzeige Glauben schenken, die ihm sagt, ob er sich nach oben oder unten bewegt. Weder das Innenohr noch der Blick nach drau?en lassen derartige Aussagen zu.

Weaver ist auf maximale Sinkgeschwindigkeit gegangen. Kurz hat das Deepflight diesen polaren, auf den Kopf gestellten Himmel durchflogen, und sehr schnell ist es dunkler geworden. Als der Tiefenmesser 60 Meter anzeigte, ma? er zugleich noch vier Prozent des Lichts, das an der Oberflache herrschte, aber da hatte sie schon die Scheinwerfer eingeschaltet — eine Astronautin im Bemuhen, den Weltraum mit einer Lampe zu erhellen.