Der Schwarm, стр. 25

»Und wenn schon«, sagte Johanson schlie?lich. »Architheuten sind scheu. Was kummert es euch? Bis heute ist kein Mensch je von einem Riesenkraken angegriffen worden.«

»Augenzeugen sagen was anderes.«

»Mein Gott, Tina! Sie mogen ein bisschen an dem einen oder anderen Boot gezogen haben. Aber wir unterhalten uns doch hier nicht ernsthaft uber die Bedrohung der Erdolforderung durch Riesenkraken. Du musst zugeben, das ist lacherlich.«

Lund betrachtete skeptisch die Vergro?erungen der Bilder. Dann schloss sie die Datei.

»Okay. Hast du was fur mich? Irgendwelche Resultate?«

Johanson zog den Umschlag hervor und offnete ihn. Ein dicker Packen eng bedruckten Papiers steckte darin.

»Du lieber Himmel!«, entfuhr es Lund.

»Warte. Es muss eine Zusammenfassung geben. — Ah, hier!«

»Lass sehen.«

»Gleich.« Er uberflog den Kurzbericht. Lund stand auf und ging zum Fenster. Dann begann sie im Raum herumzuwandern.

»Sag schon.«

Johanson zog die Brauen zusammen und blatterte in dem Packen. »Hm. Interessant.«

»Spuck’s aus.«

»Sie bestatigen, dass es sich um Polychaten handelt. Sie schreiben au?erdem, sie seien zwar keine Taxonomen, gelangen aber zu dem Resultat, dass der Wurm verbluffende Ahnlichkeit mit Hesiocaeca methanicola aufweist. In diesem Zusammenhang wundern sie sich uber die extrem ausgepragten Kiefer und schreiben weiter … das ist jetzt Detailkram … ah, hier steht’s. Sie haben die Kiefer untersucht. Sehr kraftig und eindeutig zum Bohren und Graben gedacht.«

»So weit waren wir doch schon«, rief Lund ungeduldig.

»Warte. Sie haben noch mehr mit ihm angestellt.

Untersuchung der stabilen Isotopenzusammensetzung, und da ist auch die Analyse aus dem Massenspektrometer. — Oha! Unser Wurm ist minus 90 Promille leicht.«

»Kannst du dich verstandlich ausdrucken?«

»Er ist tatsachlich methanotroph. Er lebt in Symbiose mit Bakterien, die Methan abbauen. Augenblick, wie soll ich’s dir erklaren? Also, Isotope … du wei?t, was Isotope sind?«

»Atome eines chemischen Elements mit gleicher Kernladung, aber unterschiedlichem Gewicht.«

»Sehr gut, setzen. Kohlenstoff zum Beispiel gibt es in unterschiedlicher Schwere. Es gibt Kohlenstoff 12 und Kohlenstoff 13. Wenn du was frisst, worin vorwiegend leichter Kohlenstoff ist, also ein leichteres Isotop, wirst du auch leichter. Klar?«

»Wenn ich was fresse. Ja. Logisch.«

»Und in Methan ist sehr leichter Kohlenstoff. Wenn der Wurm in Symbiose mit Bakterien lebt, die dieses Methan fressen, dann werden dadurch erst mal die Bakterien leicht, und wenn der Wurm dann die Bakterien frisst, wird er auch leicht. Und unserer ist sehr leicht.«

»Ihr Biologen seid komische Leute. Wie kriegt ihr so was raus?«

»Wir tun schreckliche Dinge. Wir trocknen den Wurm und zermahlen ihn zu Wurmpulver, und das kommt dann in die Messmaschine. So, schauen wir weiter. Rasterelektronenmikroskopie … sie haben die DNA angefarbt … sehr grundliche Vorgehensweise …«

»Rei? dich los!« Lund kam zu ihm heruber und zupfte an dem Papier. »Ich will keine akademische Abhandlung, ich will begreifen, ob wir da unten bohren konnen.«

»Ihr konnt …« Johanson zog das Blatt aus ihren Fingern und las die letzten Zeilen. »Na, wunderbar!«

»Was?«

Er hob den Kopf. »Die Biester stecken randvoll mit Bakterien. Innen und au?en. Endosymbionten und Exosymbionten. Deine Wurmer scheinen die reinsten Omnibusse fur Bakterien zu sein.«

Lund sah unsicher zuruck. »Und was hei?t das?«

»Es ist widersinnig. Dein Wurm lebt ganz eindeutig im Methanhydrat. Er platzt fast vor Bakterien. Er geht nicht auf Beute und bohrt keine Locher. Stattdessen liegt er faul und fett im Eis. Trotzdem hat er Riesenkiefer zum Bohren, und die Horden am Hang kamen mir alles andere als fett und faul vor. Ich fand sie ausgesprochen agil.«

Wieder schwiegen sie eine Weile. Schlie?lich sagte Lund: »Was tun sie da unten, Sigur? Was sind das fur Tiere?«

Johanson zuckte die Achseln.

»Ich wei? es nicht. Vielleicht sind sie tatsachlich geradewegs aus dem Kambrium zu uns heraufgekrochen. Keine Ahnung, was sie da machen.« Er zogerte. »Ich habe ebenso wenig eine Ahnung, ob es eine Rolle spielt. Was sollen sie schon gro? tun? Sie walzen sich durch die Gegend, aber sie werden kaum Pipelines anknabbern.«

»Was knabbern sie dann an?«

Johanson starrte auf die Zusammenfassung des Berichts.

»Es gibt noch eine Adresse, die uns daruber Auskunft geben konnte«, sagte er. »Wenn die es nicht rausfinden, werden wir wohl warten mussen, bis wir von selber drauf kommen.«

»Darauf wurde ich ungerne warten.«

»Gut. Ich schicke ein paar Exemplare hin.« Johanson reckte die Glieder und gahnte. »Vielleicht haben wir ja Gluck, und sie kommen mit dem Forschungsschiff, um selber einen Blick darauf zu werfen. So oder so wirst du dich gedulden mussen. Einstweilen konnen wir nichts tun. Darum, wenn du gestattest, wurde ich jetzt gerne fruhstucken und Kare Sverdrup gute Ratschlage zuteil werden lassen.«

Lund lachelte. Besonders zufrieden sah sie nicht aus.

5. April

Vancouver Island und Vancouver, Kanada

Das Geschaft kam wieder in Schwung.

Unter anderen Umstanden hatte Anawak Shoemakers Freude vorbehaltlos geteilt. Die Wale kehrten zuruck. Der Geschaftsfuhrer sprach von nichts anderem mehr. Und tatsachlich fanden sie sich der Reihe nach wieder ein, Grauwale und Buckelwale, Orcas und sogar einige Minkwale. Naturlich war auch Anawak glucklich uber den Umstand ihrer Wiederkehr. Nichts hatte er mehr herbeigesehnt. Nur hatte er es vorgezogen, ihre Ruckkehr mit ein paar Antworten verbunden zu wissen, etwa auf die Frage, wo sie sich die ganze Zeit uber rumgetrieben hatten, dass kein Satellit und keine Messsonde sie hatten aufspuren konnen. Zudem ging ihm seine denkwurdige Begegnung nicht mehr aus dem Kopf. Er war sich vorgekommen wie eine Laborratte. Die beiden Wale hatten ihn mit einer Ruhe und Grundlichkeit unter die Lupe genommen, als liege er auf dem Seziertisch.

Waren es Kundschafter?

Um was auszukundschaften?

Abwegig!

Er schloss die Kasse und trat nach drau?en. Die Touristen hatten sich am Ende des Piers versammelt. Sie sahen aus wie ein Spezialkommando in ihren orangefarbenen Ganzkorperanzugen. Anawak sog die frische Morgenluft in sich hinein und folgte ihnen.

Hinter sich horte er jemanden im Laufschritt naher kommen.

»Dr. Anawak!«

Er blieb stehen und wandte den Kopf. Alicia Delaware tauchte neben ihm auf. Sie hatte die roten Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug eine modische blaue Sonnenbrille.

»Nehmen Sie mich mit?«

Anawak betrachtete sie. Dann sah er hinuber zum blauen Rumpf der Blue Shark. »Wir sind voll besetzt.«

»Ich bin den ganzen Weg gerannt.«

»Tut mir Leid. In einer halben Stunde fahrt die Lady Wexham. Die ist viel komfortabler. Gro?, beheizte Innenkabinen, Snackbar …«

»Will ich nicht. Sie haben doch sicher noch irgendwo einen Platz. Hinten vielleicht!«

»Wir sind schon zu zweit in der Kabine, Susan und ich.«

»Ich brauche keinen Sitzplatz.« Sie lachelte. Mit ihren gro?en Zahnen sah sie aus wie ein sommersprossiges Kaninchen. »Bitte! Sie haben doch keinen Grund, sauer zu sein, oder? Ich mochte wirklich gerne mit Ihnen rausfahren. — Eigentlich nur mit Ihnen, um ehrlich zu sein.«

Anawak runzelte die Stirn.

»Gucken Sie nicht so!« Delaware verdrehte die Augen. »Ich habe Ihre Bucher gelesen und bewundere Ihre Arbeit, das ist alles.«

»Den Eindruck hatte ich nicht.«

»Kurzlich im Aquarium?« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schwamm druber. Bitte, Dr. Anawak, ich bin nur noch einen Tag hier. Sie wurden mir eine Riesenfreude machen.«

»Wir haben unsere Bestimmungen.« Es klang lahm und kleinkariert.