Der Schwarm, стр. 212

»Das schafft kein Automat«, beschied Bohrmann. »Er kann keinen Impuls entwickeln.«

»Na wunderbar«, zischte Frost.

»Und wenn die Piloten den Russel einfach einholen?«, schlug Bohrmann vor. »Unter der Spannung muss er sich ja irgendwann losen.«

Van Maarten schuttelte den Kopf.

»Zu riskant. Der Schlauch konnte rei?en.«

Sie versuchten ihr Gluck, indem sie den Roboter aus verschiedenen Winkeln mit dem Brocken kollidieren lie?en. Um Mitternacht war klar, dass die Maschine es nicht schaffen wurde. Unterdessen bedeckte sich die gesauberte Flache wieder mit Wurmern, die von allen Seiten aus der Finsternis heranwimmelten.

»Das gefallt mir uberhaupt nicht«, knurrte Bohrmann. »Gerade hier, wo es instabil ist. Wir mussen zusehen, dass wir den Russel freibekommen, sonst sehe ich schwarz.«

Frost legte die Stirn in Falten. Nach einer Weile sagte er: »Gut. Dann sehen wir eben schwarz. Und zwar hochstpersonlich.«

Bohrmann sah ihn fragend an.

»Na ja.« Frost hob die Schultern. »Tief unten im Meer ist es schwarz, oder? Will sagen, wenn es Rambo nicht kann, bleibt nur einer, um runterzugehen. Die verrutschte Krone der Schopfung. Das sind vierhundert Meter. Dafur haben wir Spezialanzuge an Bord.«

»Du willst selber da runter?«, fragte Bohrmann entgeistert.

»Naturlich.« Frost reckte die Arme, dass es knackte. »Wo ist das Problem?«

15. August

Independence, Gronlandische See

Crowe hatte die Antwort der Yrr zum Anlass genommen, eine zweite, weit komplexere Nachricht in die Tiefe zu entsenden. Sie enthielt Informationen uber die menschliche Rasse, uber deren Evolution und Kultur. Vanderbilt war nicht besonders glucklich damit, aber Crowe brachte ihn schlie?lich zu der Einsicht, dass sie ohnehin nichts mehr verkehrt machen konnten. Die Yrr standen kurz davor, den Kampf zu gewinnen.

»Wir haben nach wie vor nur eine Chance«, sagte sie. »Wir mussen ihnen klar machen, dass wir es wert sind, weiter zu existieren. Das geht nur, indem wir ihnen moglichst viel von uns erzahlen. Vielleicht ist ja was dabei, das sie bis jetzt nicht in Erwagung gezogen haben. Das sie zum Nachdenken bringt.«

»Eine Schnittmenge der Werte«, sagte Li.

»Und sei sie noch so klein.«

Oliviera, Johanson und Rubin hatten sich im Labor vergraben. Sie wollten das Gallertwesen im Tank dazu bringen, sich zu teilen oder vollstandig zu diffundieren. Unablassig konferierten sie mit Weaver und Anawak. Weaver hatte ihre virtuellen Yrr mit einer kunstlichen DNA versehen und einen pheromonischen Botenstoff eingebaut. Es funktionierte. Theoretisch hatten sie damit bewiesen, dass die Einzeller zur Verschmelzung einen Duft benutzten, aber die Gallerte zeigte sich jeglicher Kooperation abgeneigt, was die praktische Beweisfuhrung anbetraf. Das Wesen — genauer gesagt, die Summe der Wesen — hatte sich in einen breiten Fladen verwandelt und war auf den Boden des Tanks gesunken.

Delaware und Greywolf werteten unterdessen die Filmaufnahmen der Delphinstaffeln aus, ohne etwas anderes zu erblicken als den Rumpf der Independence, vereinzelte Fische und weitere Delphine, die sich gegenseitig filmten. Sie verbrachten ihre Zeit abwechselnd vor den Monitoren des CIC oder im Welldeck, wo Roscovitz und Browning immer noch mit der Reparatur des Deepflight beschaftigt waren.

Li wusste, dass selbst die besten Leute irgendwann Gefahr liefen, sich festzufressen oder zu verzetteln, wenn man sie nicht von Zeit zu Zeit aus ihrer Arbeit riss und auf andere Gedanken brachte. Sie lie? sich die Wetterdaten ubermitteln und holte Prognosen uber deren Zuverlassigkeit ein. Alles sah danach aus, dass es bis zum folgenden Morgen ruhig und windstill sein wurde. Jetzt schon waren die Wellenberge im Vergleich zum Tagesbeginn abgeschwollen.

Also hatte sie Anawak um einige Minuten seiner Zeit gebeten und festgestellt, dass er uberraschend wenig uber die Kuche des hohen Nordens wusste. Sie delegierte die Verantwortung an Peak weiter, der sich nun erstmals in seiner militarischen Laufbahn ums Essen zu kummern hatte.

Im Folgenden fuhrte Peak eine Reihe von Telefonaten. Zwei Hubschrauber starteten zur gronlandischen Kuste. Am spaten Nachmittag gab Li bekannt, dass der Kuchenchef um 21.00 Uhr zu einer Party lud. Die Hubschrauber kehrten zuruck und brachten alles Mogliche mit, um ein gronlandisches Diner auf die Beine zu stellen. Auf dem Flugdeck vor der Insel wurden Tische, Stuhle und ein Buffet platziert, man schleppte eine Musikanlage nach drau?en und ordnete rings um den Platz Heizstrahler an, um die Kalte fern zu halten.

In der Kuche begann ein Riesenwirbel. Li war dafur bekannt, absonderliche Ideen aus dem Hut zu zaubern und darauf zu beharren, dass sie innerhalb kurzester Zeit umgesetzt wurden. Karibufleisch wanderte in Topfe und Pfannen. Maktaaq, knusprige Narwalhaut, wurde aufgeschnitten, aus Robbenstew eine Suppe zubereitet und Eiderenteneier wurden gekocht. Der Backer der Independence versuchte sich an Bannock, einem ungesauerten, flachen und recht schmackhaften Fladenbrot, dessen fachgerechte Zubereitung die Inuit zu jahrlichen Backwettbewerben trieb. Lachs und Wandersaibling wurden filettiert und zusammen mit Krautern gebraten, gefrorenes Walrossfleisch in eine Art Carpaccio verwandelt, Berge von Reis gegart. Peak, in kulinarischen Dingen restlos uberfordert, hatte einfach alles kommen lassen, was nicht schon vorratig war, und sich dabei blind auf die gronlandischen Berater verlassen. Nur eine Spezialitat war ihm suspekt erschienen: Roher Walrossdarm, wenngleich hei? angepriesen, gehorte nun wirklich zu den Dingen, auf die man seiner Ansicht nach verzichten konnte.

Fur Brucke und Maschinenraum hatte er eine Notbesetzung eingeteilt, ebenso fur das CIC. Ansonsten erschien punktlich um 21.00 Uhr die vollzahlige Bewohnerschaft der Independence an Deck: Crew, Wissenschaftler und Soldaten. So leer sich die Raume des Riesenschiffs tagsuber ausnahmen, so voll wurde es nun auf dem Dach. Rund 160 Menschen nahmen ihren alkoholfreien Begru?ungscocktail in Empfang und verteilten sich an Steh— und Sitztischen, bis das Buffet eroffnet wurde, und irgendwann begann jeder mit jedem zu reden.

Es war eine seltsame Party, die Li da ins Leben gerufen hatte — das stahlerne Hochhaus der Insel im Rucken und ringsum der Blick auf die einsame Weite des Meeres. Der Dunst war zuruckgewichen und hatte am Horizont surreale Wolkenberge geformt, zwischen denen sich immer wieder der tief stehende Sonnenball hervorschob. Die Luft prickelte kalt und klar, und uber allem wolbte sich ein tiefblauer Himmel.

Eine Weile schien jeder bemuht, die Themen auszuklammern, derentwegen sie hier waren. Es tat gut, sich uber andere Dinge zu unterhalten. Zugleich hatte es etwas Verkrampftes, beinahe Verzweifeltes, wie alle versuchten, die Konversation an der Oberflache zu halten, als seien sie per Zufall auf einer Vernissage zusammengetroffen. Kurz vor Mitternacht, im beginnenden Dammerlicht, brach dann der sprode Schutz, der sie vom Zweck ihres Hierseins abschirmte. Inzwischen duzten sich die meisten. Die Windlichter auf den Tischen entfalteten ihre gravitative Kraft. Man scharte sich zu Gruppchen, versammelte sich um die Schamanen der Aufklarung, um sich Trost zu holen, den diese nicht bieten konnten.

»Jetzt mal im Ernst«, sagte Buchanan kurz nach 1.00 Uhr zu Crowe. »Sie glauben doch nicht wirklich an intelligente Einzeller?«

»Und warum nicht?«, fragte Crowe.

»Na ja, ich bitte Sie. Wir reden von intelligentem Leben, richtig?«

»Sieht so aus.«

»Also …« Buchanan rang nach Worten. »Ich erwarte ja nicht, dass die uns ahnlich sehen, aber schon was Komplexeres als Einzeller. Man sagt, Schimpansen seien intelligent, Wale und Delphine, und sie haben alle einen komplexen Korperbau und ein gro?es Gehirn. Ameisen, haben wir gelernt, sind zu klein, um echte Intelligenz hervorzubringen. Wie soll das bei Einzellern funktionieren?«