Der Schwarm, стр. 204

Aber Johanson hatte keine Lust.

Stattdessen stapfte er die Rampe hinauf.

Die Ausma?e des riesigen Hangardecks verloren sich in kubistischen Schatten. Immer noch war niemand zu sehen. Er warf einen Blick auf die Stelle, wo sie die Flasche geoffnet hatten, und fand die Kiste in der Dunkelheit verborgen.

Rubin konnte sie nicht gesehen haben.

Aber er hatte Rubin gesehen!

Wozu schlafen? Er sollte sich diese Wand noch einmal ansehen.

Zu seiner Enttauschung und Verwunderung blieb die Inspektion ergebnislos. Mehrfach schritt er sie ab, fuhr mit den Fingern uber die vernieteten Stahlplatten, uber Rohre und Kasten, aber Oliviera schien Recht zu behalten. Er musste einer Tauschung zum Opfer gefallen sein. Da war nichts, weder eine Tur noch irgendeine Form von Durchgang.

»Ich tausche mich aber nicht«, sagte er leise zu sich selber.

Sollte er doch schlafen gehen? Aber dann wurde ihm die Sache im Kopf umherwandern. Vielleicht empfahl es sich, jemanden zu fragen. Li zum Beispiel oder Peak, Buchanan oder Anderson. Aber was, wenn er sich tatsachlich getauscht hatte?

Irgendwie peinlich.

Du bist Forscher, dachte er trotzig. Dann forsche.

Ohne Eile zog er sich in den heckwartigen Teil des Hangars zuruck, setzte sich auf die Kiste, die Oliviera und ihm als provisorische Kneipe gedient hatte, und wartete. Der Platz war nicht schlecht. Selbst wenn man am Ende zu der Einsicht gelangte, dass migranegeplagte Kollegen nicht durch Wande gingen, lie? es sich hier eine Weile aushalten mit Blick auf die See.

Er trank einen Schluck aus der Flasche.

Der Bordeaux erwarmte ihn. Seine Augenlider begannen schwerer zu werden. Mit jeder Minute legten sie einige Gramm zu, bis er sie kaum noch offen halten konnte. Tatsachlich war er doch mude, nur dass Johanson zu den Menschen zahlte, die sich weigerten, der Natur Verfugungsgewalt uber ihren Korper zu geben. Irgendwann, als nichts mehr in der Flasche war, dammerte er schlie?lich weg, und sein Geist trieb hinaus auf die dunstbedeckte gronlandische See.

Ein leises, metallisches Gerausch schreckte ihn auf.

Zuerst wusste er nicht, wo er war. Dann spurte er die Stahlwand des Hangars schmerzhaft im Kreuz. Uber dem Meer hatte sich der Himmel aufgehellt. Er rappelte sich hoch und sah zur Wand hinuber.

Ein Teil davon stand offen.

Benommen rutschte Johanson von seiner Kiste. Da hatte sich ein Tor aufgetan, vielleicht drei Meter im Quadrat.

Leuchtend hob es sich gegen den dunklen Stahl ab.

Sein Blick wanderte zu der leeren Flasche auf der Kiste.

Traumte er?

Langsam begann er, auf das helle Quadrat zuzugehen.

Im Naherkommen erkannte er, dass dort ein Gang mit nackten Wanden mundete. Neonrohren verstrahlten kaltes Licht. Nach wenigen Metern stie? der Gang gegen eine Wand und knickte seitlich ab.

Johanson spahte ins Innere und lauschte.

Von jenseits erklangen Stimmen und Gerausche. Unwillkurlich trat er einen Schritt zuruck. Er uberlegte, ob es nicht besser ware, schnellstmoglich von hier zu verschwinden. Immerhin befand er sich auf einem Kriegsschiff. Irgendeine Funktion wurde der Bereich schon haben. Etwas, das man Zivilisten nicht unbedingt auf die Nase band.

Dann dachte er an Rubin.

Nein! Wenn er jetzt das Weite suchte, wurde ihm nur pausenloses Grubeln bevorstehen.

Rubin war hier gewesen!

Johanson ging hinein.

14. August

Heerema, vor La Palma, Kanaren

Bohrmann versuchte, das schone Wetter zu genie?en, aber es gab nichts zu genie?en. Nicht mit Millionen Wurmern vierhundert Meter unter sich und Abermilliarden Bakterien, die sich in beangstigend kurzer Zeit ihren Weg durch die feinen Hydratverastelungen im Vulkankegel La Palmas bahnten.

Er ging uber die Plattform zum Haupthaus. Die Heerema war ein Halbtaucher, eine schwimmende Plattform von mehrfacher Fu?ballfeldgro?e. Das rechteckige Deck ruhte auf sechs quer verstrebten Saulen, die massigen Pontons entwuchsen. Auf dem Trockenen glich die Insel einem uberdimensionierten, plumpen Katamaran. Jetzt waren die Pontons teilgeflutet und nicht zu sehen unter der Wasseroberflache. Nur ein Teil der sechs Saulen ragte aus den Wellen. Mit 21 Meter Tiefgang und einer Verdrangung von uber 100000 Tonnen befand sich die schwimmende Insel in einer au?erst stabilen Position. Halbtaucher steckten selbst in schweren Sturmen die leidigen Tauch— und Stampfbewegungen weg. Vor allem waren sie wendig und vergleichsweise schnell. Zwei Dusenpropeller befahigten die Heerema zu einer Transitgeschwindigkeit von immerhin sieben Knoten, mit denen sie sich in den vergangenen Wochen von Namibia nach La Palma hochgearbeitet hatte. Im Heck lag ein zweistockiges Gebaude, das Mannschaftsquartiere, Messe und Kuche, Brucke und Kontrollraum in sich vereinte. Frontseitig ragten zwei gewaltige Krane in die Hohe. Jeder davon hob 3000 Tonnen. Uber den rechten Kran wurde der Saugrussel in die Tiefe gelassen, der andere senkte das dazugehorige Beleuchtungssystem ab, eine separate Einheit mit integrierten Kameras. Vier Leute in den hoch gelegenen Fuhrerhausern waren ausschlie?lich damit befasst, Russel und Lichtinsel zu koordinieren und zu steuern.

»Garraad!«

Frost kam von einem der Krane zu ihm herubergelaufen. Bohrmann hatte ihm angeboten, ihn der Einfachheit halber Gerd zu nennen, aber Frost bestand in breitestem Texanisch auf der korrekten Form. Gemeinsam betraten sie das Heckgebaude und den abgedunkelten Kontrollraum. Einige Leute aus Frosts Team und Techniker von De Beers waren anwesend, auch Jan van Maarten. Der Technische Leiter hatte innerhalb kurzester Zeit das versprochene Wunder vollbracht. Der erste Tiefseewurmstaubsauger der Menschheitsgeschichte war einsatzbereit.

»Gut, Leute«, trompetete Frost, wahrend sie hinter den Technikern Aufstellung nahmen. »Der Herr sei mit uns. Wenn das hier klappt, nehmen wir uns Hawaii vor. Gestern war ein Roboter unten und entdeckte an der Sudostflanke Gewurm in rauen Mengen. Danach brach die Verbindung ab. Auch andere Vulkaninseln werden gezielt attackiert, ganz wie ich’s mir dachte. Aber dem Bosen keine Chance! Wir putzen sie weg mit unserem Russel. Wir saubern die ganze Welt von dem Geschmei?!«

»Schone Idee«, sagte Bohrmann leise. »Wir haben hier ein uberschaubares Gebiet. Willst du mit dieser einen Konstruktion den kompletten amerikanischen Kontinentalhang saubern?«

»Quatsch!« Frost sah ihn erstaunt an. »Hab ich doch nur wegen der Motivation gesagt.«

Bohrmann hob die Brauen und richtete seine Blicke wieder auf die Monitore. Er hoffte, dass die ganze Sache uberhaupt funktionierte. Selbst wenn sie die Wurmer da unten wegbekamen, stand immer noch die Frage im Raum, wie viele der Bakterienkonsortien schon ins Eis gelangt waren. Insgeheim qualte ihn die Sorge, dass es langst zu spat war, den Absturz des Cumbre Vieja zu verhindern. Nachts traumte er von einem gigantischen Wasserdom, der sich bis in die Wolken hob und uber den Ozean auf ihn zu raste, und er wachte jedes Mal schwei?gebadet auf. Dennoch ubte sich Bohrmann in Optimismus. Es wurde schon klappen. Und vielleicht schafften sie es ja an Bord der Independence, die unbekannte Macht zum Einlenken zu bewegen. Wenn die Yrr zur Zerstorung eines ganzen Abhangs fahig waren, konnten sie ihn wohl auch wieder reparieren.

Frost hielt eine weitere flammende Ansprache gegen alle Feinde der Menschheit und lobte das De-Beers-Team uber den grunen Klee. Dann gab er das Zeichen, den Russel und die Lichtinsel runterzulassen.

Die Lichtinsel war ein mehrfach gefalteter, gigantischer Flutlichtstrahler. Im Augenblick, da sie am Kranausleger uber den Wellen hing, bildete sie ein kompaktes Bundel aus Stangen und Streben, zehn Meter lang und angefullt mit Leuchten und Kameraobjektiven. Nun wurde sie abgesenkt und verschwand im Meer, uber Glasfaser mit der Heerema verbunden. Nach zehn Minuten blickte Frost auf die Anzeige des Tiefenmessers und sagte: »Stopp.« Van Maarten gab den Befehl an den Piloten weiter. »Aufklappen«, fugte er hinzu. »Erst mal halbe Flache.