Der Schwarm, стр. 181

»Also ein Baggerschiff?«

»Nicht in der Gro?e.« Der Mann uberlegte. »Vielleicht ein Bohrschiff? Nein, zu schwerfallig. Besser eine schwimmende Plattform. Wir arbeiten ja schon mit so was. Ein Pontonsystem, am besten eine klassische Halbtaucher-Konstruktion wie in der Offshoretechnik, nur dass wir sie nicht mit Trossen verankern werden, sondern wie ein richtiges Schiff uber die See bewegen. Das Ding muss manovrierfahig sein.« Er ging ein Stuck abseits und begann etwas von Resonanzfrequenzen und Seegangserregung vor sich hin zu murmeln. Dann kam er zuruck. »Ein Halbtaucher ist gut. Hochste Seegangsstabilitat, flexibel, der ideale Trager fur einen Kranausleger, der ordentlich was stemmen muss. Vor Namibia liegt so ein Ding, das wir schnell umbauen konnten. Es verfugt uber 6000-V-Dusenpropeller, und ein paar Seitenstrahler bekommen wir notfalls auch noch angeschraubt.«

»Die Heerema?«, fragte die Geschaftsfuhrerin.

»Richtig.«

»Wollten wir die nicht ausmustern?«

»Schrottreif ist sie nicht. Die Heerema verfugt uber zwei Hauptverdrangungskorper, das Deck ruht auf sechs Saulen, also alles, wie es sein muss. Gut, sie stammt von 1978, aber fur diesen Zweck durfte es reichen. Es ware der schnellste Weg. Wir haben keinen Bohrturm, sondern zwei Kranausleger. Uber einen davon werden wir den Schlauch runterlassen. Das Hochpumpen ist ebenfalls kein Problem. Und wir konnen Schiffe anlanden, um die Wurmer fortzuschaffen.«

»Klingt nett«, sagte Frost. »Wann konnen wir damit rechnen?« »Unter normalen Umstanden in einem halben Jahr.« »Und unter diesen?«

»Ich kann nichts versprechen. Sechs bis acht Wochen, wenn wir sofort loslegen.« Der Techniker sah ihn an. »Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht. Wir sind gut in so was. Trotzdem, falls wir es in der Zeit schaffen, betrachten Sie es bitte als ein Wunder.«

Frost nickte. Er sah hinaus auf den Atlantik. Blau und schon lag er vor ihm. Er versuchte sich vorzustellen, wie das Wasser plotzlich sechshundert Meter in die Hohe wuchs.

»Das ist gut«, sagte er. »Wunder sind im Augenblick sehr gefragt.«

DRITTER TEIL

INDEPENDENCE

Ich bin der Uberzeugung, dass es — ebenso wie mathematische Grundregeln — universelle, vom Menschen unabhangige Rechte und Werte gibt, allen voran das Recht auf Leben. Das Dilemma ist, wo stehen sie geschrieben? Und wer anders konnte sie verleihen als der Mensch? Wir mogen akzeptieren, dass au?erhalb unserer Wahrnehmung Rechte und Werte existieren, aber wir konnen uns nicht au?erhalb unserer Wahrnehmung stellen. Es ist, als solle die Katze daruber befinden, ob Mause gefressen werden durfen oder nicht.

Leon Anawak, aus »Selbsterkenntnis und Bewusstsein«

12. August

Gronlandische See

Samantha Crowe legte ihre Notizen aus der Hand und schaute hinaus.

Der CH-53 Super Stallion ging schnell tiefer. Eine steife Brise ruttelte den 30 Meter langen Transporthubschrauber durch. Er schien auf die helle Plattform im Meer zuzufallen, und Crowe fragte sich, wie ein derart riesiges Ding uberhaupt die Meere befahren konnte — und zugleich: Wie kann man auf etwas so Kleinem landen?

950 Kilometer nordostlich von Island lag die USS Independence LHD-8 uber dem Gronlandischen Tiefseebecken, eine schwimmende Stadt, fremd und schroff, mit der Ausstrahlung eines Raumgleiters aus Alien. Zwei Hektar Freiheit und 97000 Tonnen Diplomatie, wie es die Navy ausdruckte. Der gro?te taktische Helikoptertrager der Welt wurde fur die nachsten Wochen ihr Zuhause sein, ihre neue Adresse wurde lauten: USS Independence LHD8, 75° nordlicher Breite, 3500 Meter uber dem Meeresboden.

Ihr Auftrag: ein Gesprach zu fuhren. Die Maschine kurvte. Mit Schwung drehte der Super Stallion auf den Landepunkt ein und setzte federnd auf. Durchs Seitenfenster sah sie einen Mann in gelber Arbeitsjacke, der den Helikopter in seine Parkposition winkte. Jemand von der Crew half ihr, die Gurte zu losen und ihre Ausrustung abzulegen, den Helm mit Kopfhorern, Rettungsweste, Schutzbrille. Der Flug war rau gewesen, und Crowe fuhlte sich wackelig auf den Beinen. Mit unsicheren Schritten verlie? sie die Maschine uber die Rampe im Heck, trat unter dem Schwanz des Super Stallion hervor und schaute sich um.

Nur wenige Maschinen waren auf dem Flugdeck zu sehen. Die Leere steigerte den surrealen Eindruck. Sie erblickte eine schier endlose asphaltierte Flache, gesprenkelt mit Befestigungspunkten, 257,25 Meter lang und 32,6 Meter breit. Crowe wusste das sehr genau. Sie war Mathematikerin mit einem Faible fur exakte Zahlen, also hatte sie im Vorfeld versucht, so viel wie moglich uber die USS Independence herauszubekommen, aber soeben kapitulierte die Theorie vor der Wirklichkeit. Die echte Independence hatte nichts mit Schemazeichnungen und technischen Daten zu tun. Ein schwerer Geruch von Ol und Kerosin lag in der Luft, hei?es Gummi und Salz mischten sich hinein, und alles wurde von einem scharfen Wind ubers Deck gefegt, der an ihrem Overall zerrte.

Kein Ort, an den man gerne reiste.

Manner in farbigen Jacken und Ohrenschutzern liefen umher. Einer kam auf sie zu, wahrend Soldaten ihr Gepack ins Freie schleppten. Er trug eine wei?e Jacke. Crowe versuchte sich zu erinnern. Wei?, das waren die Sicherheitsverantwortlichen. Die Gelben dirigierten die Hubschrauber an Deck, rot Gekleidete sorgten fur Treibstoff und Gefechtsmaterial. Gab es nicht auch Braune? Und welche in Lila? Wofur waren die Braunen noch gleich zustandig?

Die Kalte fuhr ihr unter die Haut.

»Folgen Sie mir«, schrie der Mann gegen den Larm der langsamer werdenden Rotorflugel an. Er zeigte hinuber zu dem einzigen Aufbau des Tragers. Wie ein mehrstockiger, von uberdimensionalen Antennen und Sensoren gekronter Hauserblock entwuchs er der Steuerbordseite. Crowes Rechte tastete mechanisch zur Hufte, wahrend sie hinter ihm her ging. Dann fiel ihr ein, dass sie durch den Overall nicht an ihre Zigaretten kam. Auch im Hubschrauber hatte sie nicht rauchen durfen. Es machte ihr nichts aus, bei windigem Wetter in die Arktis zu fliegen, aber der stundenlange Verzicht auf Nikotin war ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack.

Ihr Begleiter offnete ein Luk. Crowe betrat die Insel, wie der Aufbau im Navy-Jargon hie?. Nachdem sie eine Doppelschleuse passiert hatte, schlug ihr frische, saubere Luft entgegen. Wie eine Hohle wirkte die Insel auf Crowe, erstaunlich eng. Der Deckverantwortliche ubergab sie einem hoch gewachsenen Schwarzen in Uniform, der sich als Major Salomon Peak vorstellte. Sie schuttelten einander die Hande. Peak wirkte steif, als sei er den Umgang mit Zivilisten nicht gewohnt. Crowe hatte wahrend der letzten Wochen mehrfach mit ihm konferiert, allerdings nur telefonisch. Sie durchschritten einen winkligen Flur und kletterten uber steile, leiterartige Niedergange tiefer ins Innere des Schiffs, gefolgt von den Soldaten mit dem Gepack. An einer Wand prangte in gro?en Lettern LEVEL 02.

»Sie werden sich frisch machen wollen«, sagte Peak und offnete eine von vielen identisch aussehenden Turen zu beiden Seiten. Dahinter lag ein uberraschend geraumiges, ansprechend eingerichtetes Zimmer, mehr eine kleine Suite. Crowe hatte gelesen, dass privater Raum an Bord eines Hubschraubertragers auf das ertragliche Minimum reduziert war und die Soldaten in Schlafsalen nachtigten. Peak hob die Brauen, als sie eine entsprechende Bemerkung machte.

»Wir wurden Sie wohl kaum zu den Marines stecken«, sagte er. Dann umspielte ein Lacheln seine Mundwinkel.

»Auch die Navy wei?, was sie ihren Gasten schuldig ist. Das hier ist Flaggland.«

»Flaggland?«