Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung, стр. 31

Aber Ozzard war in Gedanken ganz woanders. Er war in London, wieder auf der Stra?e in Wapping Wall, auf die er so verstort gerannt war — damals. Er horte wieder ihr Betteln und dann die Schreie. Und zuletzt die furchtbare Stille, nachdem er seine junge Frau und ihren Liebhaber mit der Axt erschlagen und zerhackt hatte, bis sein Arm erlahmte. Ozzard. An diesen Namen hatte sich der Schiffsarzt auf der Hyperion erinnert, der damals in London Gerichtsmediziner gewesen war. Da hatte der Steward mit dem sinkenden Schiff untergehen, ein Ende machen wollen mit all den blutigen Erinnerungen.

Aber es war anders gekommen.

«Also gut, nach London«, seufzte er.

X Im Zentrum der Macht

Admiral Lord Godschale gab sich so herzlich wie moglich, um Bolitho die Kuhle ihrer letzten Unterhaltung vergessen zu machen.»Wir sollten uns spater noch ausfuhrlich unterhalten, Sir Richard. Hier in der Admiralitat vertrocknen wir allzu leicht, wahrend bedeutende Manner wie Sie drau?en Gro?es leisten.»

Bolitho stand an einem der hohen Fenster und sah auf Stra?e und Park hinaus. Ruhte London eigentlich nie? Kutschen jeder Gro?e uberholten oder begegneten sich. Die Kutscher wollten ihr Konnen beweisen und lie?en zwischen den Radern nur wenige Zentimeter Platz. Herrenreiter und gelegentlich auch Damen im Sattel bildeten bunte Flecke zwischen den Wagen und Eselskarren der Handler. Die warme Septembersonne animierte die Menschen, lie? sie anhalten und Gesprache fuhren. Offiziere in ihren farbigen Rocken stromten aus den nahen Kasernen in den Park, offenbar auf der Suche nach weiblicher Gesellschaft.

«Wir sind alle nur so gut wie unsere Leute«, antwortete Bolitho.

Aber das hatte Godschale nicht gemeint, im Gegenteil. Sein neuer Adelstitel und die Macht, die er ihm verlieh, bestarkten ihn in der

Uberzeugung, da? kein Schiff oder Kommandant ohne die leitende Hand Seiner Lordschaft etwas Vernunftiges leisten konnten.

Bolitho sah zu, wie er Madeira einschenkte. Zur Zeit der Amerikanischen Revolution hatten sie beide Fregatten gefuhrt und waren sogar am selben Tag zu Kapitanen befordert worden. Doch an den jungen schneidigen Kommandanten Godschale erinnerte heute wenig. Er war zwar immer noch ungebeugt, kraftig gebaut und gutaussehend, doch seine rotliche Hautfarbe hatte er nicht an Deck im Sturm erworben. Indes war hinter dem gepflegten Au?eren ein stahlerner Wille zu spuren. Bolitho erinnerte sich noch sehr genau an ihr Treffen im letzten Jahr, als Godschale versucht hatte, ihn mit einer Intrige von Catherine weg und zu Belinda zuruck zu treiben.

Sicherlich war Godschale nicht in das Komplott eingeweiht gewesen, das Catherine ins Gefangnis gebracht hatte. Solch schmutzige Machenschaften hatten ihn Amt und Titel gekostet. Au?erdem hatte er niemals so plumpe Fehler gemacht. Nein, seine Schwachen waren Eitelkeit und unerschutterlicher Glaube an die eigene Klugheit. Insofern konnte er unwissentlich ein Werkzeug von Catherines Mann werden.

Bolitho wu?te nicht, wo sich dieser Viscount Somervell zur Zeit aufhielt. Es hie?, er sei im Auftrag des Konigs in Nordamerika. Er verdrangte den Gedanken an ihn, denn falls sie sich jemals von Angesicht zu Angesicht begegnen wurden, war der Ablauf abzusehen: Bolitho wurde ihn fordern. Somervell galt als erfahrener Duellant — doch nur mit Pistolen. Bolitho beruhrte den alten Degen an seiner Seite. Vielleicht wurde ihn ja jemand in Amerika von diesem Schurken befreien.

Godschale reichte ihm ein Glas.»So nachdenklich?«Er zog die Brauen hoch.»Auf die alten Tage, Sir Richard. Und aufkommendes Gluck!«Sie tranken.

Bolitho setzte sich und legte den Degen uber die ausgestreckten Beine.»Das franzosische Geschwader, erinnern Sie sich? Es durchbrach unsere Blockade, noch ehe wir zum Kap segelten. Hat man es aufgebracht?»

Godschale lachelte. Er wu?te, wie sehr diese Frage Bolitho interessierte, und fuhlte sich am langeren Hebel. Er wu?te auch, da? Catherine Lady Somervell hier in London war, sich um den Skandal nicht scherte und noch mehr Tratsch und Kritik provozierte. Es war mit Nelson schon schlimm genug gewesen, aber seine Affare war jetzt vergessen, ebenso wie Emma Hamilton selbst. Keiner wu?te, wo sie sich seit seinem Tod aufhielt.

Somervells Charakter und schlechter Ruf waren Godschale herzlich gleichgultig. Aber der Mann besa? Freunde, sehr machtige Freunde bei Hofe. Der Konig selbst hatte ihn gelegentlich vor Skandalen gerettet. Doch hatten er oder seine engsten Berater Somervell klugerweise aus London entfernt, bis das Problem zwischen dem Viscount und dem Vizeadmiral gelost war.

Godschale besa? genugend Feingefuhl, um zu spuren, wie beliebt Bolitho im Lande war. Nach Nelsons Tod war er sicherlich der am meisten verehrte Seeheld. Niemand zweifelte an seinem Mut, der ihm trotz seiner ungewohnlichen Strategie und Taktik oft Schlachten gewann. Trotzdem — in Friedenszeiten hatte man seine Affare mit Lady Somervell niemals geduldet. Die Gesellschaft hatte beide geschnitten, und Bolithos Karriere ware abrupt beendet worden.

Doch jetzt war Krieg, und Godschale wu?te einen Mann zu schatzen, der Schlachten gewann und die Nation begeisterte.

«Das gro?ere der beiden franzosischen Geschwader fuhrte unser alter Bekannter, Vizeadmiral Leissegues. Es entwischte seinen Bewachern. Sir John Duckworth, der vor Cadiz patrouillierte, erfuhr, da? ein franzosisches Geschwader vor Santo Domingo ankerte; er war Leissegues schon auf den Fersen gewesen, jetzt segelte er hinuber und stellte ihn. Es kam zu einem Gefecht Schiff gegen Schiff. Der Feind wurde zersprengt, aber die Imperial mit ihren 120 Kanonen fing Feuer und sank. Schade, wir hatten sie gern in unserer Flotte gesehen. Doch man kann eben nicht alles schaffen«, seufzte er. Das klang, als habe Seine Lordschaft das Gefecht in diesem Raum gewonnen. Er fuhr fort:»Mit dem kleineren franzosischen Geschwader gab es ein Gefecht, einige wenige Schiffe gingen verloren, aber der Feind kehrte in den Hafen zuruck.»

«Ich beneide Duckworth«, sagte Bolitho.»Ein entscheidendes Gefecht, gut geplant und gut ausgefuhrt. Napoleon kocht bestimmt vor Wut.»

Godschale fullte sein Glas nach.»Ihr Einsatz in Kapstadt war nicht weniger wichtig, Sir Richard. Wertvolle Schiffe konnten der Flotte zur Verfugung gestellt werden.»

Bolitho zuckte mit den Schultern.»Jeder erfahrene Kapitan hatte diese Aufgabe bewaltigen konnen.»

Godschale wackelte verneinend mit dem Zeigefinger.»Nicht doch, mein Lieber. Unsere Kommandanten brauchen dringend ein Leitbild, glauben Sie mir. «Er wechselte das Thema.»Aber ich habe weitere Neuigkeiten fur Sie. «Als er zu seinem Schreibtisch ging, sah Bolitho zum erstenmal, da? er hinkte. Wie Lord St. Vincent bu?te er wohl mit Gicht fur zuviel Portwein und das su?e Leben in der Heimat.

Godschale wedelte mit einigen Papieren.»Die Black Prince wird ein gutes Schiff und nach den strengsten Ma?staben gebaut. Haben Sie schon Ihren Flaggkapitan bestimmt?»

«Unter anderen Umstanden wurde ich um Kapitan Valentine Keen bitten. Aber er heiratet demnachst und war ziemlich lange hart eingesetzt. Also mu? ich wohl auf ihn verzichten.»

«Oh, wir haben einen Brief von Kapitan Keen bekommen. Darin bot er seine sofortigen Dienste an. Sonderbar, da? er sich nicht zuerst an Sie gewandt hat. «Wieder hob Godschale die Augenbrauen.»Ein guter Mann?»

«Ein guter Kommandant und ein verla?licher Freund. «Was war los mit Keen? Warum diese ungewohnliche Zuruckhaltung?

«Nun ja. In diesen harten Zeiten sind erfahrene Kapitane rar. «Godschale runzelte die Stirn.»Ich sehe also Ihrer schnellen Entscheidung entgegen. Es gibt naturlich viele Kommandanten, die sich darum rei?en, die Black Prince unter Ihrer Flagge zu segeln.»

«Bitte geben Sie mir Gelegenheit, der Sache nachzugehen, Mylord.»

Godschale strahlte ihn an.»Naturlich. Dafur hat man doch seine Freunde!»