Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos, стр. 71

Das Deck ruckte abermals, und Bolitho horte schwere Trummer im Zimmermannsgang poltern, wo Manner wie in einer Rattenfalle ertrunken waren.

Das Orlop und all die anderen Verschlage und Magazine hier unten waren seit dreiunddrei?ig Jahren in volliger Dunkelheit geblieben. Als man das alte Schiff nach hastiger Uberholung wieder in Dienst stellte, hatte die Werft hier hochstwahrscheinlich einiges ubersehen. Ungesehen und unentdeckt fra? die Faule, der Schwamm, an Planken und Spanten bis hinunter zum Kielschwein. Das Bombardement durch die San Mateo hatte ihr nur den Gnadensto? versetzt.

Bolitho lie? Allday die Luke schlie?en und bahnte sich den Weg nach oben.

Viele Erinnerungen wurden mit diesem Schiff untergehen: an Adam als Fahnrich, an Cheney, die er hier geliebt hatte. So viele Namen und Gesichter. Einige von ihnen waren jetzt dort drau?en in dem angeschlagenen Geschwader und sicherten die Prisen nach ihrem Sieg. Vielleicht beobachteten sie jetzt die sinkende

Hyperion und erinnerten sich, welch stolzes Schiff sie einst gewesen war. Wahrend die Jungen wie Fahnrich Springett… Er fluchte und hielt sich die Hand vor Augen. Nein, auch er war tot wie so viele andere, an die er sich nicht mehr erinnern konnte.

Allday murmelte:»Ich glaube, wir sollten lieber.»

Das Schiff schuttelte sich. Bolitho meinte, jetzt auch schon im Orlop glitzerndes Wasser zu sehen. Es sickerte durch die Decksplanken und wurde bald das Blut von Minchins Behelfstisch schwemmen.

Sie kletterten ein Deck hoher und sprangen zur Seite, als ein gro?er Zweiunddrei?igpfunder lebendig wurde und wie von unsichtbaren Handen gesto?en seine Stuckpforte rammte. Laden! Ausrennen! Feuern! Bolitho konnte beinahe die den Schlachtenlarm ubertonenden Befehle horen.

Auf dem Achterdeck warteten Keen und Jenour. Der Kommandant meldete sachlich:»Schiff ist geraumt, Sir Richard. «Er hob den Blick. Im nachmittaglichen Sonnenschein hing dort noch Bolithos Flagge.»Soll ich sie niederholen lassen?»

Bolitho trat an die Reling und packte das Holz, wie er es viele Male als Kommandant getan hatte und dann als Admiral.»Nein, Val. Das Schiff hat unter meiner Flagge gekampft, es soll mit ihr untergehen.»

Er blickte zur spanischen Asturias hinuber. Sie schien nun viel hoher aus dem Wasser zu ragen. Jetzt konnte er mehr von ihren Schaden sehen, von den Wunden, welche die Breitseiten der Hyperion geris sen hatten.

Dann wandte er sich wieder dem Batteriedeck und seinen Gefallenen zu. Sie hatten den Feind erfolgreich abgewehrt und zerstreut. Auch Parris mit der Pistole, die er als letzten Ausweg gewahlt hatte. Wenn man die treibenden Schiffe und die verlassenen Leichen betrachtete, wurde es ein fraglicher Sieg.

Bolitho flusterte:»Mein Schiff…«Er sprach, als ware er allein.»Wieder eine Hulk, aber diesmal in Ehren!«Dann stie? er sich von der Reling ab.»Ich bin soweit.»

Es dauerte noch eine ganze Stunde, ehe Hyperion untertauchte.

Sie sank langsam uber den Bug. Bolitho, der auf dem Achterdeck des Spaniers stand, horte das Wasser gierig in die Pforten laufen und Trummer mit sich rei?en, um dem Schiff den Rest zu geben. Selbst die spanischen Gefangenen, die sich am Schanzkleid versammelt hatten und zusahen, waren merkwurdig still.

Hangematten losten sich aus ihren Netzen und schwammen auf. Beim Ruderrad drehte sich ein Leichnam auf den Rucken, als ob er sich nur totgestellt hatte.

Bolitho merkte, da? er seinen Degengriff fest gegen den Facher in seiner Tasche pre?te.

Soviel verschwand mit der Hyperion. Ihm stockte der Atem, als die See unaufhaltsam dem Achterdeck entgegenrollte, bis nur noch die Poop, das Podest des Wachhabenden, und vorn die Mastspitze mit seiner Flagge herausragten.

Ihm fielen die Worte des gefallenen Naylor ein: Hyperion machte den Weg fur die anderen frei, wie sie es immer getan hatte.

Laut sagte er:»Es gibt keine bessere als dich, old Lady!»

Im nachsten Augenblick war sie verschwunden. Nur Schaum und Treibgut blieben zuruck, als sie kopfuber ihre letzte Reise zum Meeresgrund antrat.

Epilog

Am Rand der Klippe hielt Bolitho inne und spahte uber die Bucht von Falmouth. Es lag noch kein Schnee, aber der Wind, der das Kliff umbrauste und unten Gischt hochri?, war bitterkalt. Die niedrigen, dickbauchigen Wolken versprachen Graupel noch vor der Dunkelheit.

Bolitho fuhlte den Wind an seinen mit Salz und Regen getrankten Haaren zerren. Er hatte eine kleine Brigg beobachtet, die sich vom Heiford River durchschlug, sie aber aus den Augen verloren in dem winterlichen Dunst, der wie Rauch von der See hereinkam. Kaum zu fassen, da? morgen der erste Tag eines neuen Jahres war und da? er selbst nach seiner Ruckkehr noch immer ein Gefuhl des Verlustes und der Unglaubigkeit verspurte. Als Hyperion untergegangen war, hatte er sich damit zu trosten versucht, da? weder ihr Ende noch der Tod so vieler Manner vergebliche Opfer gewesen waren. Hatte sich das spanische Geschwader der Vereinigten Flotte Villeneuves in Cadiz anschlie?en konnen, ware Nelson wohl in die Rolle des Verlierers gedrangt worden.

Bolitho hatte sich schlie?lich auf der Fregatte Tybalt zur Reise nach Gibraltar eingeschifft und Herrick die Fuhrung des Geschwaders uberlassen, obwohl die meisten Schiffe unverzuglich eine Werftliegezeit benotigt hatten.

Beim Felsen hatten ihn die Ereignisse dann uberrascht. Die Vereinigte Flotte war ausgebrochen, ohne auf weitere Unterstutzung zu warten. Aber — ob nach Anzahl der Schiffe unterlegen oder nicht — Nelson hatte einen uberragenden Sieg errungen. In einer einzigen Schlacht hatte er zwei Drittel der spanisch-franzosischen Flotte vernichtet oder gekapert und dadurch jede Hoffnung Napoleons vereitelt, in England Fu? zu fassen. Aber die Schlacht vor Kap Trafalgar hatte Nelson das Leben gekostet. Trauer senkte sich uber die ganze Flotte, und auch an Bord der Tybalt, wo keiner der Manner Nelson jemals gesehen hatte, waren alle so erschuttert, als ob sie einen Freund verloren hatten. Der Sieg selbst wurde vollig von Nelsons Tod uberschattet, und als Bolitho schlie?lich Plymouth erreichte, entdeckte er, da? die Trauer auch in England die gleiche war.

Zu Bolithos Fu?en kochte die See. Er wickelte sich enger in seinen Umhang.

Er dachte an Nelson, den Mann, den er so gern getroffen hatte, um mit ihm von Seemann zu Seemann zu reden. Wie ahnlich ihrer beider Leben verlaufen war, gleich Parallelen auf dem Papier. Er entsann sich, Nelson einmal gesehen zu haben, wahrend des ungluckseligen Angriffs auf Toulon, aber nur aus der Ferne, an Bord des Flaggschiffs. Er hatte Bolitho zugewinkt, ein eher schmachtiger junger Kapitan, der spater die Welt verandern sollte. Sonderbar, das Flaggschiff, auf dem sich Nelson damals Befehle holte, war seine spatere Victory. Bolitho gedachte auch der wenigen Briefe, die er von ihm erhalten hatte, alle wahrend der letzten Monate auf der Hyperion. In seiner eigenartig schragen Handschrift, die er sich nach dem Verlust des rechten Arms angewohnt hatte:»Dort werden Sie entdecken, wie eifrig sie ihre Kriege mit Worten und Papier ausfechten, statt mit Kanonen und hartem Stahl…«Nelson hatte gegen hochtrabenden Pomp nie ein Blatt vor den Mund genommen.

Und dann jener Hinweis, so schicksalhaft fur Bolitho, als er Hyperion zum Flaggschiff verlangt hatte und sie ihm nur widerstrebend gegeben wurde:». Man gebe Bolitho jedes Schiff, das er verlangt. Er ist Seemann, kein Landmann. «Bolitho war froh, da? wenigstens Adam ihn getroffen hatte.

Er schaute zuruck auf den windumtosten Felsenpfad, der nach Pendennis Castle fuhrte. Die Befestigungsanlagen waren teilweise von Dunst oder niedrigen Wolken verborgen, der Rest sah grau und bedrohlich aus. Er wu?te nicht mehr, wie lange er schon spazieren gegangen und warum er uberhaupt hierher gekommen war. Auch nicht, ob er sich jemals so allein gefuhlt hatte.