Donner unter der Kimm: Admiral Bolitho und das Tribunal von Malta, стр. 5

Bolitho trat in die Schlafkammer und schaute in den Spiegel. Nachsten Monat wurde er siebenundvierzig. Wo waren die Jahre geblieben? Er sah zwar zehn Jahre junger aus, aber der Gedanke an die so schnell verstrichene Zeit bedruckte ihn. Er dachte an Belinda in Falmouth. Wurde er bei seiner Ruckkehr weitere Veranderungen vorfinden? Mit einer Grimasse wandte er sich vom Spiegel ab.»Falls ich zuruckkomme.»

Ozzard fuhr zusammen.»Sir?»

Bolitho lachelte.»Nichts. Ich war nur zu lange an Land.»

Ozzard verstaute Kleider in einem schonen alten Kleiderschrank. Bei einer seiner Schubladen zogerte er und begann die Hemden erneut glattzustreichen. Dabei beruhrte er die Miniatur einer jungen Frau mit langem, kastanienfarbenem Haar und grunen Augen. Wie schon sie ist, dachte er.

Twigg, sein neuer Helfer, lugte ihm uber die Schulter.»Hangen wir das Bild auf, Tom? Wenn ich so eine Frau hatte, tate ich das.»

«Zuruck an die Arbeit!«Ozzard schlo? die Schublade sorgfaltig. Es war nicht Twiggs Schuld, da? er das Bild mit einem von Lady Belinda verwechselt hatte. Ozzard aber wu?te es besser: Er hatte Bolitho ihren Namen rufen horen, als er schwer verwundet gewesen war: Cheney… Warum hatte sie sterben mussen? Er hob ein Paar Schuhe auf und starrte es blicklos an.

Das Deck schwankte leicht. Ozzard seufzte.

Dies war ein Leben, das er verstand. Und es war besser als das auf den Straflingsschiffen.

Drei Tage spater segelte das kleine, von Argonaute gefuhrte Geschwader bei kraftigem Nordwind mit Westkurs den Armelkanal hinunter.

Fur den Admiral war kein Brief mehr eingetroffen. Bo-litho verschlo? seinen in der Kassette und sah zu, wie das Land in der Abenddammerung hinter ihm versank. Mein England, wann sehe ich dich wieder?

Gleichgultig wie immer, verweigerte die See ihm jede Antwort.

II In Seenot

Bolitho schritt ubers Poopdeck und beobachtete die drei Linienschiffe in ihrem Kielwasser. Zwei lange Tage waren vergangen, seit sie vor Spithead Anker gelichtet hatten, und abgesehen vom Exerzieren mit Segeln und Geschutzen hatte nur wenig das Einerlei unterbrochen.

Inchs Helicon lag direkt achteraus, in Kiellinie folgten Dispatch und Icarus, die dazu allerdings erst ein paar unverblumte Ruffel vom Flaggschiff hatten erhalten mussen. Sie mu?ten jetzt lernen, auf Station zu bleiben und jedes Signal ohne Verzogerung zu beantworten. Spater hatten sie fur so etwas keine Zeit.

Weit an Steuerbord stand in Luv die einsame Fregatte Barracouta, bereit, vorm Wind heranzueilen, ein gesichtetes Schiff zu uberprufen oder ihre gro?eren Begleiter zu unterstutzen. Bolitho konnte sich alle Schiffe mit ihren Kommandanten vorstellen, obwohl er letztere vor dem Auslaufen nur kurz gesprochen hatte. Die Brigg Rapid und der verwegene kleine Kutter Supreme liefen dem Flaggschiff weit voraus und fungierten als seine Augen und Aufklarer.

Bolitho hatte die Lagebesprechung Keen uberlassen, als sich die Kommandanten in der Messe der Argonaute versammelten. Ansprachen, die nur einen Selbstzweck erfullten, ha?te er. Wenn sie erst Gibraltar erreicht hatten, wurde er genauer wissen, was von ihnen erwartet wurde; dann konnte er den anderen seine Absichten darlegen.

Inchs Gesicht war vor Freude ganz zerknittert, als er von Bolitho an Bord willkommen gehei?en wurde. Verandert hatte er sich nicht. Er war immer noch so eifrig und vertrauensselig, da? Bolitho seine Zweifel nie mit ihm hatte teilen konnen. Inch wurde allem zustimmen, was er tat, und ihm selbst bis an die Pforten der Holle folgen.

Bolitho wandte sich um und sah den Matrosen bei der Arbeit auf dem Batteriedeck zu. Ihm waren mehrere Gesichter aufgefallen, die er noch von Achates her kannte. Zu Keen hatte er bemerkt, es ehre den Kommandanten, da? sie sich freiwillig zum Dienst unter ihm gemeldet hatten. Da? Keen in sich hineingelachelt hatte, war ihm entgangen. Und der Gedanke, die Manner konnten sich vielleicht ihres Ad-mirals wegen gemeldet haben, kam Bolitho uberhaupt nicht.

Er hatte den leichtfu?igen, verwachsenen Stuckmeister Crocker wiedergesehen, der damals den Gro?mast weggesprengt und so das Gefecht beendet hatte. Auch er war unverandert, abgesehen von einer neuen Uniform. Er war nun Maat und selten weit entfernt, wenn an den Stucken exerziert wurde.

Auf dem Backbord-Seitendeck sah er Allday mit einem Jungen, den er fur den neuentdeckten Sohn hielt. Unglaublich! Er fragte sich, wann Allday sich dazu durchringen wurde, ihn in der Achterkajute zu prasentieren. Allday kannte besser als jeder andere Bolithos Widerwillen gegen Vetternwirtschaft und wurde bestimmt den richtigen Zeitpunkt wahlen.

Vom Vorschiff schlug es zwei Glasen, und Bolitho bewegte sich unruhig. Er fuhlte sich von diesem Schiff und den anderen, die seiner Flagge folgten, seltsam distanziert. Keen und seine Offiziere kummerten sich um alles; Tag fur Tag wurde die Besatzung der Argonaute dazu ermuntert und angetrieben, ein gutes Team zu bilden. Die Zeit, die das Klarmachen zum Gefecht, das Reffen oder Setzen der Segel in Anspruch nahm, wurde minutenweise verkurzt, aber Bo-litho konnte an alledem nur aus der Ferne teilhaben.

Die Stunden zogen sich trage dahin, und er beneidete Keen und die anderen Kommandanten, die ihre Tage mit Arbeit ausfullen konnten.

Er ging zur anderen Seite und starrte auf die stumpfe graue See und die anrollenden Wellenkamme hinunter. Hundert Meilen querab lag Lorient. Brest, wo dieses Schiff gebaut worden war, hatten sie in der Nacht passiert. Ob Argonaute das wohl gespurt hatte?

Seltsamerweise war auch Inchs Helicon eine franzosische Prise, hatte aber einen neuen Namen erhalten, wie es Sitte war, wenn der Feind schlecht gefochten hatte.

Bolitho beruhrte die Finknetze. Von Argonaute konnte das niemand behaupten. Sie hatte von Anfang bis Ende tapfer gekampft. Nelson mu?te die Beherrschung des Mittelmeers schwerfallen, wenn der Feind uber mehr Admirale von Joberts Schlag verfugte.

«An Deck! Rapid signalisiert, Sir!»

Bolitho schaute hoch zum Ausguck in seinem schwankenden Krahennest. Der Wind war umgesprungen und kam nun direkt von achtern. Er offnete den Mund, doch Keen war schon zur Stelle.»Aufentern, Mr. Sheaffe, aber flott!»

Bolitho sah den schlanken Midshipman rasch die Wanten erklimmen. Er war sechzehn, sah aber alter aus und alberte in seiner Freizeit oder auf Hundewache nur selten mit den anderen» jungen Gentlemen «herum.

Bolitho fragte sich kurz, ob sich auch Adam so ernst verhalten hatte, wenn er sein Sohn gewesen ware.

Endlich war Sheaffe in der Lage, sein gro?es Signalfernrohr auszurichten, und rief hinunter:»Von Supreme, wiederholt von Rapid, Sir!«Aller Augen ruhten auf seiner verkurzten Silhouette. Die Wolken schienen dicht uberm Masttopp dahinzujagen.»Im Suden Segel gesichtet!»

Keen schaute Bolitho an.»Franzosen, Sir?»

«Das mochte ich bezweifeln«, meinte Bolitho.»Gestern sahen wir Teile unseres Blockadegeschwaders. An dem mu?te sich der Feind erst vorbeigestohlen haben. «Er lachelte uber Keens Miene. Der Mann war enttauscht.

«Supreme soll nachsehen«, befahl Bolitho.»Sie tragt zwar nur Spielzeugkanonen, lauft aber jedem anderen Schiff davon.»

Entsprechende Signalflaggen wurden gehi?t und flatterten steif im Wind. Rapid gab das Signal an den Kutter weiter, der au?er Sicht des Flaggschiffs stand. Bolitho wu?te, da? Hallowes zum Leichtsinn neigte, und hoffte, da? er sich vorsah. Wenn nicht, wurde sein neues Kommando nur kurzlebig sein.

Da horte er neben sich Schritte und sah seinen Flaggleutnant die Signalgasten kritisch mustern. Als Sheaffe wieder an Deck rutschte, sagte Stayt:»Immer langsam. Das mu? noch besser klappen, Mr. Sheaffe, oder Sie bekommen es mit mir zu tun.»