Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya, стр. 15

IV Kampfgeist

Sieben Tage nach dem Treffen der Kommandanten wartete Bolitho immer noch ungeduldig auf neue Nachrichten. Ihm kam es so vor, als hatte die Welt jenseits von Styx ihn vergessen oder schon abgeschrieben.

Die beiden anderen Fregatten hatte er absichtlich nach Belle Ile geschickt, damit sie die Insel und ihre Zufahrten fur alle sichtbar kontrollierten. So mu?ten die Franzosen glauben, die Blockade sei in vollem Umfang aufrechterhalten. Und wahrend Styx im Suden auf einem Dreieckskurs mit jeweils zwanzig Meilen langen Seiten langsam hin und her kreuzte, hielt die kleine Brigg Verbindung zwischen den drei Schiffen.

Die Untatigkeit machte Bolitho fast verruckt; nur mit Muhe hielt er sich zuruck, wenn er bei jedem Ruf aus dem Ausguck oder bei jeder ungewohnten Unruhe drau?en an Deck sturzen wollte. Auch das Wetter war keine gro?e Hilfe. Der Wind war abgeflaut und nur noch eine schwache Brise, die kaum die blaugraue Oberflache des Golfs krauselte. Die Mannschaft hatte sich an die Gegenwart ihres Admirals gewohnt und wurde allmahlich nachlassig und schnodderig. Es gab gelegentlich Seeleute, die uber dem Splei?en und Betakeln, dem Polieren und Nahen sich ein schnelles Nickerchen erlaubten, und manche enterten nur auf, um oben an einem sicheren Platz ungestorter schlafen zu konnen.

Bolitho war es nicht entgangen, da? weder Neale noch Browne die ausbleibende Unterstutzung erwahnten, die sie aus dem Suden oder dem Norden langst hatte erreichen sollen. Beauchamps Befehle hatten inzwischen in Aktionen umgesetzt werden mussen, selbst aus Gibraltar hatten die versprochenen Morserboote langst eintreffen sollen, deren Hilfe er so dringend benotigte. Wenn Browne schwieg, dann bedeutete das, da? er und nicht sein Konteradmiral recht behielt: Sie hatten keine Unterstutzung mehr zu erwarten, denn Beauchamps sorgfaltig ausgearbeiteter Einsatzplan blieb offenbar absichtlich in irgendeiner Stahlkassette der Admiralitat liegen, bis man ihn unbeschadet vergessen konnte.

Allday betrat die Kajute und nahm Bolithos Sabel von der Wand, um ihn wie jeden Tag zu polieren. Zogernd blieb er stehen, wahrend seine machtige Gestalt leicht mit den Bewegungen des Schiffes hin und her schwankte.

«Die Brigg konnte auch aufgehalten worden sein, Sir«, sagte er schlie?lich.»Sie hat den Wind von vorn, und es braucht Zeit, durch den Kanal zu kreuzen. Ich wei? noch, als wir…»

Bolitho schuttelte den Kopf.»Jetzt nicht mehr. Ich wei?, du meinst es gut, aber sie hatte viele Tage Zeitreserve, selbst bei schlechtestem Wetter. Diese Kuriere verstehen ihr Handwerk.»

Allday seufzte.»Trotzdem brauchen Sie sich keine Vorwurfe zu machen, Sir. «Er wartete ab, ob Bolitho ihm diese Bemerkung verubeln wurde.»Seit Tagen kommen Sie mir vor wie ein Falke an der Fessel, der fliegen will, aber nicht kann.»

Bolitho lie? sich auf die Bank unter den Heckfenstern sinken. Seltsam, da? er mit seinem vierschrotigen Bootsfuhrer uber so vieles sprechen konnte, was er Neale oder seinen anderen Offizieren gegenuber niemals auch nur angedeutet hatte. Es hatte auf sie gewirkt wie Schwache oder Unsicherheit — beides Eigenschaften, die den Ausschlag gaben, wenn die Luft voll Eisen war und Mut so notig wie nie zuvor.

Vielleicht hatte Allday ja recht gehabt, und dieser neue Auftrag war zu fruh gekommen nach der kraftezehrenden Ostsee. Schlie?lich mu?te Allday das besser wissen als alle anderen, denn er hatte ihn auf seinen Armen davongetragen, als seine Wunde wieder aufgebrochen und er fast daran gestorben war.

Also fragte er nur:»Und was tut dein gefesselter Falke, Allday?»

Allday hob den alten Sabel vor die Augen und lie? die Sonnenreflexe darauf spielen, bis die Schneide wie ein Goldfaden glanzte.

«Er wartet auf den richtigen Moment, Sir. Wenn sein Los die Freiheit ist, dann wird er sie auch irgendwann gewinnen.»

Beide blickten zur Decke, uberrascht vom Ruf des Ausgucks, dessen Stimme durch das offene Skylight zu ihnen herunterdrang:»An Deck! Segel Backbord achteraus!»

Schritte polterten uber die Decksplanken, und eine andere Stimme bellte:»Verstandigen Sie den Kommandanten, Mr. Man-ning! Mr. Kilburne, entern Sie auf, aber blitzartig!»

Bolitho und Allday wechselten Blicke. Jetzt kam das, was Bo-litho am meisten ha?te: warten, untatig bleiben, statt an Deck zu sturzen zu den anderen und sich selbst ein Bild zu machen. Aber nein, der Kommandant war Neale.

Stimmen erklangen auf dem Achterdeck, blieben jetzt aber unverstandlich. Entweder hatte Neales Erscheinen die Lautstarke gedampft, oder es lag an der Tatsache, da? das Skylight uber der Achterkajute zugeklappt war.

Allday murmelte:»Hol sie der Teufel — die brauchen eine Ewigkeit.»

Doch als dann endlich ein atemloser Midshipman hereinsturzte und mit besten Empfehlungen des Kommandanten meldete, da? ein Segel von Backbord achteraus zu ihnen aufschlo?, fand er seinen Admiral gelassen und seelenruhig auf der Heckbank sitzen und seinem ganz aufs Sabelpolieren konzentrierten Bootsfuhrer zuschauen.

Oben auf dem Achterdeck brannte die Sonne und warf den Schatten des Riggs wie ein riesiges Gitternetz auf die wei?gescheuerten Decksplanken.

Bolitho trat zu Neale an die Finknetze. Wie alle anderen Offiziere hatte er seinen schweren Rock abgelegt und trug nur Hemd und Breeches, weshalb er sich in nichts von seinen Untergebenen abhob. Wenn irgendeiner von den rund zweihundertvierzig Mannern an Bord den Admiral nach zwei Wochen immer noch nicht erkannte, dachte Bolitho, dann war ihm eben nicht mehr zu helfen.

Neale berichtete:»Der Ausguck rief etwas von zwei Schiffen, Sir. Aber bei dem Hitzeflimmern la?t es sich noch nicht genau sagen.»

Bolitho nickte; vor lauter Ungeduld war ihm entgangen, da? er den Kommandanten fast grimmig angefunkelt hatte.

«An Deck! Es ist eine Brigg, Sir!«Nach einer Pause setzte Kilburne hinzu:»Und — und noch eine Brigg, Sir!»

Der Master brummte mi?billigend:»Da soll doch der Teufel dreinfahren!»

Neale legte die Hande trichterformig um den Mund und rief nach oben:»Was soll das hei?en, verdammt noch mal — Sir?»

Der Zweite Offizier, der die Wache hatte, wollte in die Bresche springen.»Ich konnte aufentern, Sir, und.»

«Sie bleiben hier!«Neale fuhr zu seinem Ersten Offizier herum.»Mr. Pickthorn, da ich offenbar von lauter Blinden und Kruppeln umgeben bin, mu? ich Sie bitten, oben nach dem Rechten zu sehen.»

Pickthorn ve rbi? sich ein Grinsen und war schon halbwegs die Webeleinen aufgeentert, ehe Neale sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden hatte.

Die Luft vibrierte unter den Schallwellen eines entfernten Kanonenschusses, und Bolitho mu?te sich nach Lee abwenden, um seine Ungeduld zu verbergen.

«Deck! Es ist die Rapid, Sir! Sie verfolgt ein anderes kleines Schiff, vermutlich eine Yawl.»

Neale spahte zum Toppstander hinauf und zu den lustlos killenden Segeln.»Hol's der Henker! Wir haben keine Chance, sie einzuholen!»

Scharf fragte Bolitho:»Welcher Kurs zur Ile d'Yeu?«Neale dachte offenbar immer noch an die unerreichbare Prise, deshalb beantwortete der Master Bolithos Frage.»Genau Ost,

Sir.»

Bolitho kam quer ubers Deck heran, wobei er die neugierigen Blicke der Umstehenden vollig ignorierte.

«Wenden Sie das Schiff, Kapitan Neale, und kreuzen Sie nach Luv auf!«befahl er.»Wenn Sie auf Signaldistanz an Rapid heran sind, befehlen Sie ihr, die Verfolgung abzubrechen.»

Pickhorn landete mit einem Poltern an Deck. Heiser berichtete er:»Die Yawl lauft um ihr Leben, Sir. Aber Rapid kommt schnell auf!«Er erntete nur gespanntes Schweigen.»Sir?»

«Signal an Rapid: Verfolgung abbrechen! Dann alle Mann an Deck und klar zur Wende. «Neale warf Bolitho einen schnellen Blick zu.»Die Verfolgung ubernehmen jetzt wir.»

Pickthorn konnte ihn nur anstarren.»Verstehe«, sagte er dann.»Aye, Sir, sofort!»