Galeeren in der Ostsee: Konteradmiral Bolitho vor Kopenhagen, стр. 71

«Auf die Enterer!»

Mit knirschendem Gerausch stie?en die beiden Schiffsrumpfe wie zu einer letzten Umarmung zusammen. Rahen und Tauwerk verstrickten sich, und die Mundungen der Kanonen zeigten aneinander vorbei, als die beiden Schiffe, hilflos ineinander verschlungen, nach Lee abtrieben.

Clinton schwang seinen Stock.»Auf sie, Soldaten!»

Die rotrockigen Seesoldaten schritten zum Angriff, stachen mit ihren aufgepflanzten Bajonetten in die Enternetze, in die danische Seeleute von der anderen Seite Locher zu schlagen versuchten.

Manner fielen aufschreiend zwischen die beiden Bordwande und wurden — menschliche Fender — von den in der Dunung gegeneinan-dersto?enden Schiffskorpern zerquetscht. Andere versuchten zu entkommen und wurden von ihren Kameraden zertreten oder — kurz bevor sie sich in Sicherheit wahnten — in den Rucken geschossen. Eine Pike stie? durch das Netz und verfehlte nur knapp Alldays Brust. Browne hatte sie zur Seite gesto?en und schlug nun dem Angreifer mit dem Degen quer uber das Gesicht, bevor er ihm mit einem kraftigen Sto? den Rest gab. Wie gerettete Schiffbruchige auf einem Felsen standen Grubb und seine Manner um das nutzlos gewordene Steuerrad, feuerten mit Pistolen auf die Gestalten auf der feindlichen Laufbrucke und Hutte, wahrend ihre verwundeten Genossen, so schnell sie konnten, ihre Waffen nachluden.

Pascoe kam mit den Bedienungen der Karronaden nach achtern gerannt, sein Sabel blinkte matt im Pulverqualm.

Schliddernd hielt er an, wobei Blut an seinen Fu?en hochspritzte, und schrie:»Sir, die Indomitable hat ein Signal gesetzt!»

Herrick fluchte und feuerte seine Pistole auf den Kopf eines Mannes ab, der gerade uber die Hangemattsnetze klettern wollte.

«Signale? Gottverdammmich, dafur haben wir jetzt keine Zeit.»

Browne wischte sich mit dem Handrucken die Augen und senkte seinen Degen.»Die Indomitable wiederholt ein Signal von der Flotte, Sir. Es ist Nummer neununddrei?ig und hei?t: >Gefecht abbrechen

Bolitho schaute uber den schwer mitgenommenen Rumpf und die nachgeschleppten Wanten der Indomitable hinweg. Eine Fregatte, eine von Nelsons Flotte, stand au?erhalb der auf dem Wasser liegenden Wolken von Pulverqualm, als wolle sie ihnen zu Hilfe kommen, aber an ihren Rahen flatterten die Signalflaggen: >Feuer einstellend

Wolfe wies mit seinem Sabel auf das langsseits liegende Schiff, als die danischen Seeleute nacheinander ihre Waffen fallen lie?en und mit gebeugten Kopfen dastanden wie Kreaturen, fur die alles zu Ende ist.

Herrick befahl:»Nehmen Sie unsere Prise in Besitz, Mr. Wolfe!«Er wandte sich um und suchte nach dem anderen Linienschiff und den ubriggebliebenen Galeeren, die gerade im Rauch verschwanden, um in ihrem Hafen Schutz zu suchen.

Die See war bedeckt mit Treibgut aller Art. Freund und Feind arbeiteten Hand in Hand, um einander zu helfen und Uberlebende zu retten, ohne sich darum zu scheren, wer nun eigentlich gewonnen hatte. Es gab auch viele Leichen, und Inchs Odin lag so tief im Wasser, da? es schien, als wurde sie jeden Augenblick kentern. Nur die Styx machte den Eindruck, als sei sie unbeschadigt, aber es war wohl nur die Entfernung, die ihre Wunden verbarg. Auch sie nahm nun Segel weg, um zwischen dem Treibgut nach Uberlebenden zu suchen.

Bolitho legte den Arm um die Schulter seines Neffen und fragte:»Mochtest du noch immer eine Fregatte kommandieren, Adam?»

Aber die Antwort ging in dem Jubelgeschrei unter, das immer lauter und wilder von Schiff zu Schiff ubersprang und in das selbst die Verwundeten mit krachzenden Stimmen einfielen, dankbar, da? sie noch lebten, da? sie wieder einmal — oder auch das erste schreckliche Mal — davongekommen waren.

Herrick sammelte seinen Hut auf und schlug ihn uber dem Knie aus. Dann setzte er ihn auf und sagte:»Die Benbow ist ein gutes Schiff. Ich bin stolz auf sie.»

Bolitho lachelte seinem Freund zu. Er spurte die Mudigkeit und Erschopfung der Manner mit den rauchgeschwarzten, grinsenden Gesichtern, die ihn umstanden.

«Manner, nicht Schiffe entscheiden, sagten Sie einmal, Thomas. Erinnern Sie sich?»

Grubb schneuzte sich gerauschvoll und sagte dann:»Wir haben wieder Steuerwirkung, Sir.»

Bolitho schaute Browne an. Es war nahe dran gewesen, und er war nicht sicher, wie die Sache geendet hatte, wenn die Fregatte nicht erschienen ware. Vielleicht waren die Englander und die Danen einander ahnlich, wenn sie kampften. Wenn es so war, dann ware bei Anbruch der Dunkelheit wohl niemand mehr am Leben gewesen.

Browne fragte mit heiserer Stimme:»Ein Signal, Sir?»

«Aye. Signal an alle: >Geschwader Linie bilden vor oder hinter Flaggschiff, wie es kommt<.»

Die Flagge >Ran an den Feind< sank von der Rah herunter, und als sie von der Flaggleine abgesteckt war, nahm Allday sie und deckte sie uber den toten Midshipman.

Bolitho beobachtete das; er sagte ruhig:»Wir kehren zur Flotte zuruck, Kapitan Herrick.»

Sie sahen einander an: Bolitho, Herrick, Pascoe und Allday. Jeder hatte jedem wahrend der Schlacht Kraft gegeben. Und diesmal gab es auch fur die Zukunft einiges zu erhoffen.

Selbst wenn das Wetter dem zerzausten und ausgebluteten Geschwader freundlich gesonnen blieb, war viel zu tun. Kontakte von Schiff zu Schiff mu?ten hergestellt, Tote bestattet und wichtigste Reparaturen vor der Heimfahrt ausgefuhrt werden.

Aber fur diesen einen kostbaren Augenblick lohnte es sich, mit neuer Hoffnung nach vorn zu schauen.

Epilog

Der offene Kutschwagen machte auf dem Scheitelpunkt der Anhohe eine Pause, wahrend der die Pferde wieder zu Atem kamen und der

Staub sich ringsum niederschlug.

Bolitho nahm seinen Dreispitz ab und erlaubte der Junisonne, sein Gesicht zu bescheinen. Er horte das Summen der Insekten in der Hek-ke und das ferne Muhen der Kuhe — landliche Gerausche, die er lange entbehrt hatte.

Adam Pascoe, der neben ihm sa?, schaute nach vorn auf die Dacher von Falmouth und daruber hinweg auf das glitzernde Wasser von Carrick Roads. Auf dem gegenuberliegenden Sitz, die Fu?e fest auf verschiedene Seekisten gestellt, schaute Allday zufrieden in die Runde. In diesem friedlichen Augenblick nach der seit Plymouth anhaltenden Durchruttelei war er in seine Gedanken versunken.

Die Fahrt uber das Moor und an einsamen Bauernhofen und winzigen Dorfern vorbei war wie eine innere Reinigung gewesen, dachte Bolitho. Nach all den Wochen und Monaten auf See und schlie?lich nach diesem morderischen Kampf, bevor Nelson die Feuereinstellung befohlen und einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte, wurden Bolitho und seine Gefahrten von der friedlichen Landschaft Cornwalls aufs tiefste beruhrt.

Die Benbow lag jetzt, zusammen mit den anderen Veteranen des Ostseegeschwaders, in Plymouth vor Anker. Mit Ausnahme von Inchs Odin, die es wegen ihrer schweren Unterwasserschaden nur bis zur Nore geschafft hatte.

Es war erst zwei Monate her, seit sie die feuerroten Galeeren wie ertappte Attentater in ihre Hafen zuruckgejagt hatten, und schon jetzt war es schwer zu glauben, was sich da ereignet hatte. Die grunen Hugel, die wei?en Punkte der Schafe auf ihren Hangen, das Kommen und Gehen von Bauernkarren und Erntewagen waren so vollig verschieden vom leidvollen und disziplinierten Leben an Bord eines Kriegsschiffes.

Nur das auffallende Fehlen von jungen Mannern in den Dorfern und auf den Feldern gab einen Hinweis darauf, da? Krieg war; sonst schien alles so, wie Bolitho es in fernen Landern und auf fremden Meeren vor Augen gehabt hatte.

Die Schlacht von Kopenhagen, wie sie jetzt genannt wurde, wurde als gro?er Sieg gepriesen. Durch ihre entschlossene Aktion hatten die britischen Geschwader Danemark vollig handlungsunfahig gemacht. Zar Pauls Hoffnungen auf eine machtvolle Allianz waren dahin.