Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im ostlichen Mittelmeer, стр. 89

Wegen des Pulverqualms und wegen der treibenden Transporter, die zum Teil brannten und die Rauchwand noch verstarkten, hatte niemand das langsame, vorsichtige Naherkommen der Nicator bemerkt. Sie scho? aus allen Rohren auf den Franzosen, der hilflos zwischen dem sparlichen Feuer aus den SteuerbordHeckgeschutzen der Lysander und den wutenden Breitseiten der Nicator lag und nicht entkommen konnte.

«Laufbrucken freimachen!«befahl Bolitho; er horte Kugeln der Nicator durch die Takelage fegen.

Herrick zeigte auf Saxby, der wild um das Stag herumtanzte, an dem Bolithos Kommodorestander hing. Weder dieser noch die Kriegsflagge waren eingeholt.

Bald war es vorbei; als die hurra brullenden Matrosen und Seesoldaten auf das Deck des Franzosen sturmten, ging die Trikolore nieder und verschwand im Rauch.

Eine Viertelstunde spater erschien ein Leutnant der Nicator an Bord, wahrend alle drei Schiffe, ineinander verstrickt, vorm Wind dahindrifteten und Sieger wie Besiegte sich einmutig der Verwundeten annahmen.

Der Leutnant sah sich an Deck um und nahm den Hut ab.»Es — es tut mir leid, Sir. Wir sind wieder zu spat gekommen. So einen

Kampf wie den Ihren habe ich noch nie gesehen. «Er blickte zu Kampanje hinuber, wo verwundete Marine-Infanteristen weggetragen wurden.

«Und Captain Probyn?«fragte Herrick schroff.

«Gefallen, Sir. «Der Leutnant reckte das Kinn hoch.»Im Scharfschutzenfeuer. War sofort tot.»

In hellem Schrecken schrie ein Mann, der zum Orlopdeck geschafft wurde; Bolitho dachte an Luce und Farquhar und Javal. Und an so viele andere.

«War das, bevor Sie uns zu Hilfe kamen — oder nachher?«fragte er.

Der Leutnant machte ein sehr verlegenes Gesicht.»Vorher, Sir. Aber ich bin sicher, da?…»

Bedeutsam blickte Bolitho Herrick an. Die Nicator war viel zu weit entfernt gewesen, unerreichbar fur jede franzosische Musketenkugel. Bei einer Untersuchung wurde der wahre Sachverhalt schwer aufzuklaren und unmoglich zu beweisen sein. Aber jemand hatte, von Scham und Seelenqual getrieben, Probyn niedergeschossen, der dastand und ohne zu helfen zusah, wie Lysander und Immortalite vernichtet wurden.

Mit ernstem Lacheln sah er den bleichen Leutnant an.»Nun, Sie sind jedenfalls noch rechtzeitig gekommen.»

«Wir mu?ten doch, Sir«, sagte der junge Offizier und sah zur Seite.»Wir haben das Signal gesehen: Nahkampf. Das war uns genug«, sagte er leise.

Da erschien Pascoe auf dem Achterdeck, und Bolitho eilte hinuber und schlo? seinen Neffen in die Arme. Der fremde Leutnant wandte den Blick von dieser Szene ab und sah hoch in einen Fleck blauen Himmels auf das immer noch wehende Signal.

«Sto?en Sie von dem Franzosen ab, Thomas, sobald Mr. Grubbs Leute mit dem Ruder fertig sind«, sagte Bolitho.»Er hat gut gekampft, aber noch eine Prise kann ich nicht gebrauchen, wenn Brueys mit seiner ganzen Flotte in der Nahe ist.»

Herrick ging zur Reling und gab den Befehl an Leutnant Steere weiter, der aus dem unteren Batteriedeck gekommen war.

Grubb schlurfte unter der Kampanje hervor. Sein verwittertes Gesicht war schwarz von Rauch und Pulverschmiere.

«Sie reagiert jetzt aufs Ruder, Sir. Klar zum Ablegen!»

Herrick sagte leise:»Er hort Sie nicht, Mr. Grubb. Er starrt nur auf das Signal und denkt an alle, die es nicht mehr sehen konnen und nie mehr sehen werden. Ich kenne ihn.»

Stumm ging der Master zu seinen Rudergasten hinuber, und Herrick sagte zu dem tief erschutterten Pascoe:»Bleiben Sie bei ihm, Adam. Ich komme furs erste schon ohne Sie zurecht. Versuchen Sie, ihm das zu erklaren: Sie haben es nicht fur irgendein Signal getan — sondern fur ihn.»

Epilog

Captain Thomas Herrick trat in die Kajute und wartete, bis Bolitho von seinem Schreibtisch aufblickte.

«Der Ausguck hat soeben den Felsen von Gibraltar in Nordwest gesichtet, Sir. Mit einigem Gluck konnen wir noch vor Sonnenuntergang dort vor Anker gehen.»

«Danke, Thomas. Ich habe es gehort. «Das klang etwas abwesend.»Sie konnen schon den Salut fur den Admiral vorbereiten.»

«Und dann gehen Sie von Bord, Sir«, erwiderte Herrick melancholisch.

Bolitho stand auf und trat langsam zum Fenster. Die Nicator segelte etwa eine halbe Meile achteraus; Marssegel und Kluver standen sehr bleich im Sonnenlicht. Dahinter konnte er die unordentliche Formation der gekaperten Versorgungsschiffe ausmachen; au?erdem eine franzosische Fregatte im Schlepptau, die schwer havariert und reparaturbedurftig war.

Von Bord gehen. Die Lysander verlassen. Das war es eben. Alle diese Wochen und Monate voller Enttauschung, Hochstimmung, Stolz. Die schwere Knochenarbeit. Die Schrecken der Schlacht. Jetzt lag das alles hinter ihm. Bis zum nachsten Mal.

Er horte die Hammerschlage und den scharfen Ton der Zimmermannsaxte. Da ging die Arbeit am Schiff weiter, die in dem Moment begonnen hatte, als Grubb meldete, da? die Lysander wieder auf das Ruder reagiere und sie von dem franzosischen Zweidecker losgekommen seien. Es kam ihm immer noch wie ein Wunder vor, da? das Gros der franzosischen Flotte weiter auf Sudostkurs nach

Agypten gesegelt war. Vielleicht hatte Brueys immer noch geglaubt, dieses kleine Geschwader Bolithos hatte seinen wohlverteidigten Versorgungskonvoi nur aus taktischen Grunden, namlich der Verzogerung wegen, angegriffen, und eine andere Flotte sammle sich bereits, um ihm den Weg nach Alexandria zu verlegen.

Zerschossen und durchlochert, auf jeder muhsamen Meile Wasser ubernehmend, war die Lysander vor dem Wind gesegelt; provisorische Reparaturen wurden unterwegs ausgefuhrt, die Toten bestattet, die zahlreichen Verwundeten versorgt.

Dann waren sie mit der Nicator zusammen wieder westwarts gelaufen und hatten dabei vor einer Serie starkerer Boen ebenso Angst gehabt wie vor einem feindlichen Angriff. Aber die Franzosen hatten andere Sorgen; und einige Tage spater, als der Ausguck der Lysander eine kleine Segelpyramide sichtete, hatten Bolitho und die Mannschaften beider Schiffe mit einer Mischung aus Ehrfurcht und innerer Bewegung der Fregatte entgegengesehen, die auf sie zukam, und in deren Kielwasser, schwarz und braun in der hellen Sonne, nicht ein Geschwader folgte, sondern eine ganze Flotte. Ein Zufall, gewi?; aber es war schwer vorzustellen, da? nicht auch Wunder dabei mitgespielt hatten.

Leutnant Gilchrist war mit der schwer havarierten Fregatte Buz-zard nicht wie befohlen direkt nach Gibraltar gesegelt, sondern hatte, aus Grunden, die bisher noch nicht ans Licht gekommen waren, in Syrakus Station gemacht. Und dort, enttauscht und nach dem fruchtlosen Streifzug nach Alexandria aller Illusionen beraubt, ruhte sich die britische Flotte aus, mit Nelsons Flaggschiff Vangu-ard in der Mitte.

Aber Gilchrists vager Bericht genugte Nelson offenbar, um sofort wieder auszulaufen. Und zwar nach Alexandria, wo er die ubriggebliebenen franzosischen Transporter angetroffen hatte, die im Hafen Schutz suchten. Aber nordostlich, ungefahr dort, wo Bolitho es vorausgesagt hatte, lag die franzosische Flotte vor Anker, in guter Ordnung und mit starken Kraften.

Die Lysander, deren Mannschaft zur Halfte tot oder verwundet war, hatte sich am Rande des Kampfes gehalten: der >Battle of the N-le<, wie sie spater in England hie?. [29] Sie hatte am Abend begon-

nen und die ganze Nacht getobt; und als die Morgenrote kam, gab es so viele Wracks, da? Bolitho sich nur daruber wundern konnte, welcher Kampfeswut der Mensch fahig war.

Nelson hatte sich weder von der franzosischen Formation abschrecken lassen, noch von der Tatsache, da? viele Schiffe mit Trossen verbunden waren, um einen Durchbruch zu verhindern; er hatte die franzosische Verteidigung umsegelt und von der Landseite her angegriffen. Denn an der Kuste gab es keine schwere Artillerie, die ihn hatte daran hindern konnen, und so vermochte er seine taktische Geschicklichkeit und seine Energie ganz auf seinen ebenso entschlossenen Gegner zu konzentrieren.

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bei uns: Seeschlacht von Abukir