Der Stolz der Flotte: Flaggkapitan Bolitho vor der Barbareskenkuste, стр. 6

Bolitho nahm seinen Hut.»Ich wei?, Sir.»

Die zusammengepferchte Welt jenseits dieser paneelverkleideten Schottenwand! Auf See, in der Schlacht, kampften und starben sie, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Die standigen Anforderungen der harten Disziplin und die Gefahr lie?en wenig Raum. Aber wenn der Funke einmal die latente Kraft in diesen Mannern zundete, dann konnte alles mogliche passieren; dann hatte es keinen Zweck zu sagen, man hatte nichts gewu?t oder ware ihnen zu fern gewesen.

Als er wieder auf dem Achterdeck war, merkte er die Veranderung. Wie konnte man auch erwarten, da? so etwas geheim bleibt? Neuigkeiten breiteten sich auf einem vollgestopften Schiff aus wie ein Waldbrand, ohne da? jemand sagen konnte, wie das moglich war.

Er winkte Keverne und sagte knapp:»Gehen Sie bitte nach achtern zu Captain Rook. «Das brunette Gesicht Kevernes erstarrte zu einer erwartungsvollen Maske.»Sie werden dann die Leutnants und die hoheren Deckoffiziere uber die allgemeine Lage informieren. Sie sind fur das Schiff verantwortlich, bis ich wieder an Bord bin. Veranlassen Sie, da? die Kranken und Verwundeten an Land gebracht werden, aber nicht in unseren Booten — verstanden?»

Keverne offnete den Mund, schlo? ihn aber wieder und nickte nur.

«Ich sage Ihnen jetzt, was los ist«, fuhr Bolitho fort.»Es gehen Geruchte um von einer Meuterei in der Nore-Flotte. Falls ein Fremder versucht, an Bord zu kommen, ist er abzuweisen. Ist das nicht moglich, so wird er festgenommen und sofort in Einzelhaft gesteckt.»

Keverne fa?te an seinen Degengriff.»Wenn ich so einen verdammten See-Advokaten [10] erwische, dann werde ich ihm schon zeigen, wo es langgeht, Sir. «Gefahrlich blitzten seine Augen.

Unbewegt sah Bolitho ihm ins Gesicht.»Sie werden tun, was ich befehle, Mr. Keverne. Nicht mehr und nicht weniger. «Er wandte sich um und schaute nach Alldays untersetzter Gestalt aus. Er stand bei den Netzen.»Lassen Sie sofort meine Bootsbesatzung antreten.»

«Sie nehmen Ihr eigenes Boot, Sir?«fragte Keverne.

«Wenn ich denen nicht trauen kann«, erwiderte Bolitho kalt,»nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben — dann ist die Lage vollig aussichtslos.»

Ohne ein weiteres Wort schritt er die Treppe hinunter zur Fallreepspforte, wo bereits die Ehrenwache wartete. Unten lag auch schon das schwankende Boot.

Er blieb noch einen Moment stehen und sah auf sein Schiff zuruck und auf die Mannschaft, die bereits geschaftig Bahren aufriggte und den Kranken die Niedergange hinaufhalf. Seiner Gewohnheit nach hatte er dafur gesorgt, da? jeder Mann, der neu an Bord kam, Dienstkleidung fa?te. Darin war er anders als manche geizigen Kommandanten, die ihre Manner in den Lumpen herumlaufen lie?en, die sie angehabt hatten, als sie in der Stadt oder auf dem Dorf gepre?t worden waren. Doch im Moment fand er keinen Trost beim Anblick der weiten Hosen, der karierten Hemden, der gesunden Gesichter und der allgemeinen Geschaftigkeit. Auf Kleidung und anstandiges Essen, wenn es nur irge nd verfugbar war, hatten sie ein Recht; das war keine Gnade, die ein gottahnlicher Kommandant austeilte. Und es war wenig genug Gegenleistung fur das, was die Manner gaben.

Er verdrangte diese Gedanken, luftete den Hut zum Achterdeck und zur Ehrenwache hin und kletterte dann hinunter in die Gig, welche Allday absichtlich zwischen den Kutter und den turmhohen Schiffsrumpf manovriert hatte.

«Legt ab!«Allday blinzelte in die Sonne und pa?te genau auf, da? die Gig klar von dem anderen Boot und der Bordwand kam.

«Rudert an! Zu. gleich!»

Dann, als die Gig Fahrt aufnahm und die Riemen sich im exakten Gleichtakt hoben und senkten, blickte er auf Bolithos Rucken hinunter und kniff die Lippen zusammen. Er kannte Bolithos Stimmungen beinahe besser als seine eigenen und konnte sich recht wohl vorstellen, was dieser jetzt dachte. Meuterei in dem Dienst, den er liebte und fur den er alles hingegeben hatte! Durch den Bootsmann des Kutters, einen ehemaligen Schiffskameraden, wu?te Allday Bescheid. Wie konnte auch ein solches Geheimnis langer als ein paar Minuten Geheimnis bleiben?

Sein Auge glitt uber Bolithos straffe Schultern mit den komischen neuen Goldepauletten und uber das jettschwarze Haar unter dem Dreispitz. Der hat sich kaum verandert, dachte er, obwohl er uns alle durch eine Gefahr nach der anderen getragen hat!

Wutend starrte er den Bugmann an, der nicht aufpa?te und einer Mowe nachsah, die voraus nach einem Fisch herabscho?, und uberdachte dann, was den Captain von Rechts und Gottes wegen in Fal-mouth hatte erwarten sollen: seine reizende Frau und sein Kind, die ihn froh willkommen hie?en. Statt dessen hatte er nichts als Arger und mu?te wieder einmal anderer Leute Arbeit neben seiner eigenen machen.

Jetzt trommelten Bolithos Finger im Takt auf den Degengriff. All-day entspannte sich etwas, als er das sah. Sie beide hatten viel zusammen erlebt und geleistet. Dieser Degen fa?te das alles weit besser zusammen, als Worte oder Gedanken es konnten.

Die Gig schwang herum und glitt in den Schatten der Pier, der Bugmann schlug den Haken ein, Allday nahm seinen Hut ab, Bolitho stand auf, kletterte uber das Dollbord und die abgetretenen, wohlbekannten Stufen hinauf.

Er hatte Allday gerade jetzt gern bei sich gehabt, aber es ware falsch gewesen, die Gig ohne Aufsicht zu lassen.

«Sie kehren zum Schiff zuruck, Allday. «Er sah Besorgnis in des Bootsfuhrers Augen aufblitzen und fugte gelassen hinzu:»Ich wei? ja, wo Sie sind, wenn ich Sie brauche.»

Allday blieb noch einen Moment stehen und sah Bolitho nach, der zwischen zwei salutierenden Milizsoldaten auf den Kai trat. Halblaut murmelte er:»Bei Gott, Kapt'n, wir brauchen Sie!»

Dann sah er auf die mu?igen Rudergasten hinunter und knurrte:»Na, ihr faulen Hunde, la?t mal sehen, ob ihr dieses Boot heute noch in Fahrt kriegt!»

Der Schlagmann, ein abgeharteter Vollmatrose mit dickem rotem

Haar, sagte mit zusammengebissenen Zahnen:»Haste Angst, wir kriegen was von der Schweinerei zu horen?»

Allday sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. Also wu?ten sie es schon. Er grinste.»Ein Wort ist wie Dung, Mann. Es mu? breitgestreut werden, wenn's wirken soll. «Und etwas leiser:»Also liegt es an uns, da? das nicht geschieht — oder?»

Als er sich umschaute, war Bolitho bereits au?er Sicht. Was mochte wohl zu Hause auf ihn warten?

II Der Besucher

Ein paar Minuten lang stand Bolitho reglos und starrte auf sein Haus. Er war absichtlich nicht durch die Stadt gegangen, sondern hatte den enggewundenen, angenehm landlich duftenden, heckenumwachsenen Feldweg genommen. Nun stand er im hellen Sonnenschein und spurte, wie still es war, und wie hart das Land gegen seine Schuhsohlen druckte. Es war alles so anders als an Bord, es fehlten die standigen Gerausche, die standige Bewegung. Diese Erkenntnis uberraschte und erfreute ihn sonst jedesmal. Diesmal allerdings war es nicht dasselbe. Mit halbem Ohr lauschte er auf das freundliche Summen der Bienen, das ferne Gebell eines Schaferhundes, der die Herde umkreiste; aber seine Augen ruhten auf dem Haus. Kantig und kompromi?los stand es vor dem Himmel und den sanften Hangen, die es umgaben und zur Landzunge hinunterfuhrten.

Mit einem Seufzer schritt er weiter, seine Schuhe wirbelten Staub auf, und er blinzelte in die grelle Sonne. Als er das breite Tor in der Steinmauer durchschritten hatte, stockte er wieder — er hatte lieber nicht herkommen sollen, dachte er.

Doch als die Doppeltur oben an den Treppenstufen aufging und er Ferguson erblickte, seinen einarmigen Verwalter, und die beiden Dienstmadchen hinter ihm, die ihn begru?en wollten, da war ihr Lacheln so aufrichtig erfreut, da? er fur den Augenblick seine eigenen truben Gedanken verga? und geruhrt war.

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10

Bezeichnung fur einen querulierenden (>sein Recht suchendem<) Matrosen — was manchmal als Vorstufe zur Meuterei angesehen wurde.