Der Stolz der Flotte: Flaggkapitan Bolitho vor der Barbareskenkuste, стр. 46

Wieder schaute er zur Kimm. Die Segel waren schon viel naher, und er konnte erkennen, wie sich die glanzenden Reihen der langen Riemen in exaktem Gleichtakt hoben und senkten. Die hellen Lateinersegel wirkten noch bedrohlicher; und er konnte sich die freudige Erwartung der Piraten angesichts einer so leichten Beute ausmalen.

«Was sollen wir tun?«fragte Witrand und breitete die Hande aus.»Sie wurden auch Sie toten, capitaine, wir mussen zusammenhalten.»

Bolitho hob die Schultern.»Normalerweise wurde ich Boote zu Wasser lassen und versuchen, das Schiff umzudrehen. Dann konnten wir ihnen eine Breitseite verpassen. Aber Boote haben wir nicht, au?er dem kleinen, mit dem ich an Bord gekommen bin. «Er rieb sich das Kinn.»Jedenfalls ware das ziemlich viel verlangt.»

«Aber um Gottes willen, Mann! Wollen Sie hier stehen und nichts tun?«Er deutete auf die stummen Zuschauer, denen langsam klar wurde, welch neue Bedrohung mit den immer naher herangleitenden Fahrzeugen auf sie zukam.»Und was wird mit denen da — eh? Wollen Sie sie umkommen lassen? Sie der Folter der Vergewaltigung aussetzen? Sie mussen doch irgendwas tun!»

Bolitho lachelte grimmig.»Sie sind wirklich ruhrend um ihr Leben besorgt. Seit Beginn unserer Bekanntschaft haben Sie sich in mancher Hinsicht verandert. «Ehe der Franzose antworten konnte, befahl er scharf:»Lassen Sie sofort meine Offiziere und Matrosen frei und geben Sie ihnen die Waffen wieder!«Und als es in Witrands Augen wutend aufblitzte, sagte er grob:»Sie haben keine Wahl, m'sieur. Und wenn wir heute sterben sollen, dann mochte ich das lieber mit dem Degen in der Hand.»

Witrand nickte.»Das ist wahr. Einverstanden.»

«Dann lassen Sie Senior Pareja nach achtern bringen. Er kann dolmetschen.»

Witrand winkte bereits einen Matrosen heran.»Und der Wind?«fragte er.»Wird Wind aufkommen?»

«Gegen Abend vielleicht, wenn es kuhler wird. «Bolitho sah ihn bedeutsam an.»Aber wenn wir es nicht schaffen, dann spielt auch das keine Rolle mehr.»

Minuten spater waren Meheux und die anderen bei ihm auf der Kampanje. Ashton hatte noch Schmerzen und stutzte sich schwer auf des Leutnants Arm.

Auf dem Hauptdeck sah Bolitho den ebenfalls befreiten Unteroffizier McEwen sowie sechs Matrosen — die anderen waren wohl noch so betrunken, da? sie nicht hochzukriegen waren. Vielleicht starben sie, ohne eine Ahnung zu haben, was uberhaupt los war… Um so besser fur sie, dachte Bolitho.

«Sie brauchen mich, Captain?«Das war Luis Pareja, schuchtern und furchtsam. Bolitho lachelte ihn freundlich an. Er war unter Bewachung gewesen, hatte also keine privaten Abmachungen mit dem Franzosen getroffen.»Sie mussen jedem sagen, was ich von ihm will«, erklarte Bolitho, und Pareja warf einen angstvollen Blick uber die Reling.»Von Ihnen wird sehr viel abhangen, Senor. Davon, wie Sie sprechen, und was Sie dabei fur ein Gesicht machen. «Er lachelte wieder.»Also gehen wir zusammen aufs Achterdeck, ja?»

Pareja blinzelte zu ihm empor.»Zusammen, Captain?«Dann nickte er heftig; und die plotzliche Entschlossenheit auf seinem runden Gesicht wirkte ruhrend.

Erregt flusterte Meheux:»Wie konnen wir sie abschlagen, Sir?»

«Holen Sie unsere Manner heran und stellen Sie aus ihnen eine Geschutzbedienung zusammen. Die beste Kanone kommt in die Achterkajute. Sie mussen sie da irgendwie montieren — schwierig, aber es mu? klappen, und zwar sehr schnell. In einer Stunde konnen diese Boote in Schu?weite sein. Vielleicht schon eher. «Er fa?te den Leutnant bei seinem zerfetzten Rock.»Und hissen Sie unsere Flagge wieder, Mr. Meheux!«Witrand offnete schon den Mund zum Protest, schwieg aber und wandte sich zur Reling.»Wenn wir kampfen«, schlo? Bolitho,»dann unter unserer eigenen Flagge.»

Allday sah zu, wie die Flagge am Gro?mast emporstieg, und bemerkte grinsend:»Ich wurde eine ganze Menge darauf wetten, da? diese gottverdammten Seerauber noch nie so ein Schiff des Konigs gesehen haben wie diese alte Tante!»

Bolitho sah Pareja an.»Und jetzt, Senor, kommen Sie mit. Heute wollen wir zusammen ein wenig Marinegeschichte machen — eh?»

Aber als er in all die zu ihm emporgerichteten Gesichter sah, die Frauen, die ihre Kinder an sich pre?ten, ihre wachsende Verzagtheit und Angst, da konnte er nur mit Muhe und Not seine wahren Empfindungen vor ihnen verbergen.

X Dem Tode entronnen

«Jetzt dauert es nicht mehr lange, Sir. «Grindle hakte die Daumen in den Gurtel und beobachtete gelassen die sich nahernde Flottille. In der letzten halben Stunde hatten die Boote sich zur Linie formiert; das Manover ging ohne Eile oder sichtbare Anstrengung vor sich, als hatten sie alle Zeit der Welt. Als sie jetzt stetig im Bogen auf die Backbordseite der Navarra zufuhren, sahen sie aus wie ein historischer Aufzug oder wie Rudergaleeren. Dieser Eindruck wurde noch durch das dumpfe Trommeln verstarkt, das den Mannern an den Riemen ermoglichte, gleichma?ig Takt zu halten.

Die vorderste Schebecke war noch etwa eine Meile entfernt, aber schon konnte Bolitho an ihrem langen, schnabelformigen Bug den Pulk dunkelhautiger Gestalten erkennen, die wahrscheinlich das Buggeschutz fur den ersten Angriff fertig machten. Die Segel waren bei allen Booten aufgegeit, und er konnte am Vormast den blauen, gespaltenen Wimpel mit dem Halbmondemblem ausmachen.

Er ri? sich vom Anblick der stetig und zielbewu?t naher kommenden Boote los und sagte zu Grindle:»Ich gehe mal kurz unter Deck. Passen Sie gut auf, bis ich zuruck bin.»

Wahrend er den Kampanjeniedergang hinabstieg, versuchte er, sich darauf zu konzentrieren, was er bis jetzt getan hatte, und suchte nach einem Loch in seinem fadenscheinigen Verteidigungsplan. Als Pareja seine Befehle ubersetzte, hatte er die Gesichter sowohl der Mannschaft als auch der Passagiere genau beobachtet. Fur sie war jeder Plan besser, als hilflos dazustehen wie Schafe, die auf den Schlachter warten. Aber jetzt, als sie sich geduckt im Schiff zusammendrangten und diesem gleichma?igen, selbstsicheren Trommelschlag lauschten, mochte sich ihr erster Hoffnungsschimmer bald in Panik verwandeln. Wenn sie nur mehr Zeit gehabt hatten! Aber nach der Breitseite der Euryalus war die Navarra in einem so traurigen Zustand, da? schnelle Reparatur nicht moglich war. Das Schiff lag zu tief im Wasser, und selbst wenn Wind aufkam, wurde sie ohne Besan nur schlecht segeln. Sie hatten die Kampanje-Geschutze uber Bord werfen mussen, um das Achterschiff zu entlasten, das am meisten abbekommen hatte. Der Gedanke, da? diese Geschutze gerade jetzt, da sie am notigsten gebraucht wurden, auf dem Meeresgrund lagen, war nicht eben ermutigend.

In der Heckkajute waren Meheux und seine Manner fieberhaft an der Arbeit, um ihren Anteil an dem Plan zu erfullen. Die Navarra besa? zwei starke Heckgeschutze; eins davon war jedoch durch eine Kugel der Euryalus zerschmettert worden. Aber das andere war von seinem ungunstigen Platz an Steuerbord verholt worden und stand jetzt mitten in der Kajute, die Mundung auf das Fenster gerichtet. Fenster waren allerdings nicht mehr da. Meheux hatte alle Rahmen weggeschlagen, so da? die Kanone weites Schu?feld uber die ganze Breite des Hecks hatte. McEwen uberprufte eben die hastig aufge-riggten Taljen, und die Matrosen stapelten eifrig Pulver und Kugeln am Kajutschott.

Meheux wischte sich das dampfende Gesicht und grinste muhsam.»Die mu?te es schaffen, Sir. «Er schlug auf den runden Verschlu?.»Ein englischer Zweiunddrei?igpfunder. Mochte blo? wissen, wo dieses lausige Diebespack den her hat.»

Bolitho nickte und trat an die klaffende Fensteroffnung. Wenn er sich hinausbeugte, konnte er das vorderste Boot sehen; wie Gold schimmerten seine Ruder im Sonnenlicht. Die meisten Geschutze der Navarra waren alt und nutzten nicht viel. Sie waren eher fur die Abschreckung irgendwelcher Amateurpiraten gedacht, als fur den Kampf auf Leben und Tod. Die Navarra hatte sich, wie die meisten Kauffahrer auf allen Weltmeeren, mehr auf ihre Behendigkeit als auf ihre Kampfkraft verlassen. Aber diese Kanone hier — das war tatsachlich der einzige Fund von einigem Wert, ein ahnlicher Typ wie die Geschutze in der unteren Batterie der Euryalus und in den richtigen Handen eine vernichtende Waffe. Bei den Matrosen hatte sie den Spitznamen» Lange Neun«, weil ihr Rohr neun Fu? lang war. Sie war auf anderthalb Meilen noch ziemlich treffsicher, und dann durchschlug die Kugel noch drei Fu? dicke Eichenplanken. Treffsicherheit war im Moment wichtiger als alles andere.