Der Stolz der Flotte: Flaggkapitan Bolitho vor der Barbareskenkuste, стр. 32

Keverne erschien an Deck, sich noch den Mund mit dem Taschentuch betupfend, und spahte zu den Segeln hinauf.»Sie wunschen, Sir?»

«Wir wollen die Marssegel gleich reffen, Mr. Keverne. «Bolitho sprach ganz dienstlich. Was er fuhlte oder furchtete, durfte er auf keinen Fall zeigen, durfte er mit keinem von denen teilen, die von seinem Konnen und seiner Urteilskraft abhangig waren. Keverne rannte bereits los, im Laufen seinen Rock zuknopfend und nach dem Bootsmannsmaat der Wache brullend.

Aber manchmal, fand Bolitho, war das schwerer, als er je gedacht hatte.

VII Breitseite!

Um Mittag des folgenden Tages krochen die Schiffe langsam uber Steuerbordbug voran, hart am Wind, mit dichtgebra?ten Rahen, um moglichst viel Hohe herauszufahren. Kurz nach dem ersten Morgenlicht hatten sie eine neue Kursanderung vorgenommen und segelten nun nach Ostnordost. Jetzt standen sie uber ihren zitternden Spiegelbildern wie festgenagelt, und die gluhende Sonne machte jede korperliche Anstrengung zur Qual. Es war wie in einem Schmelzofen, und selbst der Wind, der stetig aus Norden kam, brachte weder Frische noch Erleichterung, sondern stach auf der Haut wie hei?er Sand.

Bolitho zupfte sich das Hemd vom Leibe ab und floh in den Schatten der Finknetze. Keverne und Partridge setzten eben ihre Sextanten ab und verglichen ihre Bestecks. Mehrere Midshipmen sahen bei dieser routinema?igen Prozedur zu und taten desgleichen, allerdings war es bei ihnen nur Ubungssache.

Oben vor der Kampanje, wo ein schmales Sonnensegel aufgeriggt war, schritt Draffen langsam auf und ab. Auf den sonnengedorrten Planken klangen seine Schritte unverhaltnisma?ig laut. Keverne kam mit seinem Besteck zu Bolitho heruber und sagte mude:»Es stimmt mit Ihrer Berechnung uberein, Sir. «Gleich den anderen Offizieren war er ohne Rock und Hut, und sein Hemd klebte ihm am Korper wie eine zweite Haut. Er war anscheinend zu apathisch, um sich uber die Genauigkeit der Berechnung zu freuen oder zu wundern.

Es war eine ereignislose Nacht gewesen. Das Geschwader segelte gut und hielt die vorgeschriebenen Positionen ein. Bei Morgengrauen war Broughton an Deck erschienen — das war ungewohnlich und mu?te etwas zu bedeuten haben.

Als die Signale fur den neuen Kurs hochgingen und die Vorbereitungen fur Reinschiff und Fruhstuckfassen begannen, hatte Broughton sauerlich bemerkt:»Wir sollen heute vormittag Kontakt mit einem von Sir Hugos >Freunden< aufnehmen. Bei Gott, es kotzt mich an, da? ich mich nach so einem verdammten Amateur richten mu?!«Ob er damit Draffen oder den Agenten meinte, lie? er offen; und Bolitho hielt es nach einem Blick auf sein Gesicht fur besser, sich auch die taktvollste Ruckfrage zu verkneifen.

Je langer der gluhende Vormittag sich hinzog, um so deutlicher schwand Draffens Zuversicht. Bei jedem plotzlichen Ausruf eines Matrosen blieb er stehen, bis sich herausstellte, da? er nichts zu bedeuten hatte.

«Schon gut, Mr. Keverne«, sagte Bolitho.»Im Moment konnen wir nichts weiter tun.»

Vor zwei Stunden hatte der Ausguck im Masttopp das Deck angerufen; und als jedes Auge auf seinen winzigen, schwankenden, zweihundert Fu? hohen Sitz gerichtet war, hatte er >Land in Sicht< gemeldet.

Obwohl Bolitho die Hohe ha?te, enterte er in die vibrierenden Webeleinen auf, uber die Gro?saling, immer hoher, bis er neben dem bezopften Matrosen war, der die Meldung gemacht hatte. Die Beine fest um die Marssaling geschlungen, hatte er krampfhaft vermieden, aufs Deck hinunterzusehen, und sich auf sein Teleskop konzentriert; dabei sah er, da? der Ausguck die ganze Zeit gelassen durch die Zahne pfiff und sich nicht einmal festhielt.

Aber die Aussicht war beinahe alle Muhe und Angste des Aufen-terns wert gewesen. Weit hinten im Suden erstreckte sich die lange ungleichma?ige Linie eines fernen Gebirgszuges, eisblau im harten Sonnenlicht, vom Flachland durch einen Streifen Bodennebel getrennt, in fremdartiger Schonheit: die Kuste von Afrika. Die Berge waren schatzungsweise drei?ig Meilen entfernt, und doch schienen sie unerreichbar wie eine Fata Morgana.

Aber dann war es auf einmal wieder mit der Landsicht vorbei, und uberall tanzten und glitzerten Millionen blendender Reflexe auf der See, so da? die Matrosen auf den Rahen sich festhalten und muhsam jede unverhoffte Bewegung des Schiffes ausbalancieren mu?ten, denn die Sonne blendete so stark, da? sie sich auf ihre Augen nicht mehr verlassen konnten.

Das Geschwader hatte sich mehr und mehr zerstreut und fuhr jetzt in weit auseinandergezogener Linie, so da? die Tanais gut zwei Meilen voraus lag.

Broughton hatte eingeraumt, da? es praktischer sei, die Formation auseinanderzuziehen, damit sie von irgendeinem kleinen Fahrzeug, auf dem sich Draffens Agent befand, besser gesichtet werden konnten. Und falls ein Feind aufkreuzte, war es gut, wenn das Geschwader moglichst gro? wirkte. Weit drau?en in Lee schimmerten wie brunierter Stahl die Marssegel der Korvette, die geschaftig, einem nach Kaninchen schnuffelnden Terrier gleich, vorm Winde dahinflog.

Von der Coquette war immer noch nichts zu sehen; das wurde auch noch einige Zeit dauern. Vielleicht war sie weit achteraus hinter einem fremden Segel her. Ebensogut konnte sie aber auch ernsthafte Feindberuhrung bekommen haben.

Calvert erschien auf dem Achterdeck. Im hellen Sonnenlicht wirkte sein Gesicht noch bekummerter, angestrengter als sonst.

«Kompliment von Sir Lucius«, meldete er,»und Sie mochten zu ihm in die Tageskajute kommen, Sir.»

Keverne verzog den Mund und fragte:»Vielleicht ein Plananderung,

Sir?»

Ohne zu antworten schritt Bolitho hinter Calvert her. Ob Keverne wohl beleidigt war, weil er so wenig wu?te? Aber er, der Kommandant, wu?te auch nicht viel mehr. Als er in die Kajute trat, dauerte es ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an den schattigen Raum gewohnt hatten und an die vergleichsweise Kuhle im Gegensatz zum ungeschutzten Achterdeck. Bolitho hatte zwar nicht bemerkt, da? Draffen die Kampanje uberhaupt verlassen hatte, aber er sa? neben dem Schreibtisch.

«Sir?«Broughton stand an einem der offenen Heckfenster, sein hellbraunes Haar glanzte im Widerschein der Sonne. Weit achteraus lag die Valorous auf Kurs; sie sah aus wie ein winziges Schiffsmodell, das auf der Epaulette des Admirals balancierte.

«Ich habe Sie heruntergebeten«, sagte Broughton unwirsch,»damit Sie Sir Hugo klarmachen, da? die Restless in Signaldistanz zum Verband bleiben mu?. «Er atmete heftig aus.»Also?»

Bolitho legte die Hande auf den Rucken. In Gegenwart der beiden wie immer tadellos gekleideten Herren kam er sich auf einmal ungekammt und schmutzig vor. Er merkte, da? zwischen ihnen Spannung herrschte; vermutlich hatten sie sich gestritten.

Draffen blieb unbeeindruckt.»Ich mu? meinen Agenten finden, Captain. Die Korvette ist klein und schnell genug fur diesen Zweck.»

Er zuckte die Achseln.»Das ist doch einzusehen, nicht wahr?»

Bolitho wurde mi?trauisch. Beide zerrten an ihm, jeder wollte ihn auf seine Seite bringen. Noch nie hatte Broughton ihn in strategischen Angelegenheiten um seine Meinung befragt. Und Draffen schlug zwar seit ihrer damaligen Unterhaltung immer einen leichten, vertraulichen Ton an, hatte jedoch uber seine eigentlichen Absichten kaum etwas verlauten lassen.

«Darf ich fragen, Sir Hugo, was das fur ein Schiff ist, mit dem wir zusammentreffen sollen?»

Draffen wand sich verlegen im Sessel.»Oh, irgend etwas Kleines. Wahrscheinlich eine arabische Dhau oder so. «Das klang unbestimmt und ausweichend.

Bolitho gab nicht nach.»Und wenn wir sie verfehlen — was dann?»

Der Admiral am Fenster wandte sich um und fuhr brusk dazwischen:»Soll ich vielleicht noch eine Woche mit dem Geschwader hin und her kreuzen?«Wutend starrte er Draffen an.»Noch eine Woche, in der wir den offenen Kampf vermeiden und standig Kurs andern mussen?»