Der Piratenfurst: Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See, стр. 31

Bolitho blickte in die Gesichter der Manner. Wie gut er inzwischen die meisten von ihnen kannte! Er sah alles in diesen letzten Augenblicken. In manchen Augen glitzerte Angst, Erregung, auch die gleiche Wildheit, die ihn selber uberkommen hatte. Und manche Gesichter waren von schierer brutaler Kampfeslust verzerrt.

Kurz befahl er:»Wir gehen unter diesen uberhangenden Buschen ins Wasser. La?t Schuhe und Strumpfe und alles andere bis auf die Waffen hier. Allday, Sie sorgen dafur, da? die Pistolen gut eingewickelt werden, damit sie trocken bleiben!»

Er inspizierte den Himmel. Es wurde schnell dunkel, nur an den Baumwipfeln hielt sich noch der sanfte Widerschein der Abendsonne. In der Bucht und bei der Brigantine war das Wasser schwarz und glanzlos wie flussiger Schlamm.

«Los!»

Er hielt den Atem an, als ihm das Wasser uber den Gurtel und dann bis zum Hals stieg. Es war sehr warm. Noch ein paar Sekunden wartete er, etwa auf einen Alarmruf oder Musketenschu?. Aber die erstickten Schreie vom Lager her verrieten, da? er den Zeitpunkt gut gewahlt hatte. Die Sklavenfanger waren jetzt zu beschaftigt, um uberall zugleich aufzupassen.

Die anderen schwammen mit hochgehaltenen Waffen, nur Keen uberholte ihn mit gleichma?igem Kraulen.»Ich schwimme zur Ankerkette, Sir«, flusterte er und grinste tatsachlich dabei.

Weiter, immer weiter… Dann hatten sie den halben Weg hinter sich, und Bolitho wu?te: wenn sie jetzt entdeckt wurden, waren sie verloren. Hoch ragten die Masten und Rahen uber ihnen auf, die gerefften Segel hoben sich scharf gegen den Himmel ab. In der Dammerung leuchtete die Ankerlaterne besonders hell. Nackte Fu?e platschten uber die Decksplanken, und ein Mann lachte wild auf: ein trunkenes Lachen. Vielleicht brauchte man eine Extraration Rum fur solche Arbeit, dachte Bolitho.

Und dann klammerten sie sich am Schiff fest; die Stromung zerrte an ihren Beinen und druckte sie gegen die rauhen Planken, so da? sie unter dem Uberhang des Schiffsrumpfes verborgen blieben.

«Hier kann man uns von den Booten aus nicht sehen, damit sind wir erst mal sicher«, keuchte Allday.

Da schallte ein furchtbarer Schrei uber das Wasser; Bolitho dachte im ersten Moment, es sei ein Todesschrei. Aber der Matrose neben ihm deutete zum Ufer, das sie eben verlassen hatten, und ware dabei fast abgetrieben.

Im letzten Abendschein war dort Rojarts gefalteltes Hemd deutlich zu erkennen. Er stand offen und ungedeckt da, die Arme weit ausgebreitet, als wolle er die ganze Bucht mit allem, was darin war, umarmen. Wieder und wieder schrie er, dann drohte er mit den Fausten und stampfte mit den Fu?en, als sei er verruckt geworden.

Bei Rojarts plotzlichem Erscheinen wurde es an Bord der Brigantine schlagartig still; dann horte Bolitho Stimmengewirr und Schritte auf den Planken und wu?te, da? es mit der Uberraschung vorbei war. Keen hing am Wasserstag unter dem Bugspriet, lie? sich jetzt aber zu Bolitho hintreiben. Verzweifelt keuchte er:»Niemand hat Rojart darauf vorbereitet, da? es das Schiff ist, das die Nervion vernichtet hat. Er mu? es eben erst entdeckt haben… »

Das Krachen des Schusses so dicht uber ihren Kopfen war betaubend. Rauch stieg empor und wirbelte ubers Wasser, so da? mancher Mann untertauchte, um nicht husten zu mussen.

Ehe der Qualm ihm die Sicht versperrte, sah Bolitho noch, wie Rojart von einer vollen Ladung gehackten Bleis weggeschleudert wurde: ein blutiger Fetzen, an den nichts mehr an einen Menschen erinnerte. Bolitho klammerte sich an das

Tau, das Allday um das Wasserstag geschlungen hatte, und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Achtern krachte ein zweiter Schu?, und er fuhr zusammen, denn der Schiffsrumpf erzitterte unter seinen Handen wie ein lebendes Wesen. Diesmal war es eine Kugel; er horte sie durch die Baume zischen und in der Ferne einschlagen.

Und in diesem Moment eroffneten Soames und seine Leute an der anderen Seite des Lagers das Feuer.

VII Herricks Entscheidung

Die vereinzelten Musketenschusse wurden fast von dem wilden Geschrei der entsetzten Sklaven ubertont. Auf der anderen Seite der Brigantine sprangen Manner polternd in ein Boot und stie?en wilde Rufe aus, offenbar um die Genossen am Lagerplatz anzufeuern. Bolitho gab Allday ein Handzeichen.»Jetzt! Uber den Bug!«Mit bleiernen Gliedern zog er sich hoch und kletterte uber das kurze Vordeck an Bord. Das He rz klopfte ihm an die Rippen, unter sich vernahm er das erregte Flustern seiner Manner.

Im Vorschiff hockten eng zusammengedrangt die nackten, gefesselten Sklaven. Verstandnislos beobachteten sie die Vorgange an Land. Zwei bewaffnete Matrosen der Brigantine standen an einem Drehgeschutz, aber da das Boot inzwischen auf dem Weg zur Kuste war, befand es sich in ihrem Schu?feld, und sie konnten nicht feuern.

«Drauf, Jungs!«brullte Allday und warf sich mit einem machtigen Satz an Deck. Sein schweres Entermesser fuhr in den Hals eines Mannes, der lautlos zu Boden sturzte. Der zweite Wachtposten lie? sich auf ein Knie nieder und zielte mit seiner Muskete auf Bolithos Manner, von denen inzwischen immer mehr an Bord geklettert waren. Der Blitz des Schusses erhellte die Gesichter. Bolitho horte die Kugel vorbeisausen und mit scheu?lichem Ton in Fleisch und Knochen einschlagen.

Immer mehr Leute der Brigantine sturzten sich von der Kampanje her ins Gefecht, wild um sich schie?end, ohne sich um die Todesschreie der Sklaven zu kummern, die ihnen in die Schu?linie gerieten. Eine nackte junge Frau — ihr Korper glanzte vor Schwei?, eine Kette klirrte zwischen ihren Handgelenken — versuchte, einen der verwundet am Boden liegenden Sklaven zu erreichen. War es ihr Mann oder ihr Bruder?

Aber einer von der Besatzung, der mit ein paar anderen das Achterdeck verteidigte, hatte sie bereits niedergehauen. Bolitho warf sich mit gezogenem Degen auf den Morder und spurte, wie dieser den Hieb mit seinem Sabel parierte. Das harte Gesicht des Mannes war von Ha? und irrer Wut verzerrt, als sie aufeinander einhieben und ihre Fu?e auf den blutbeschmierten Planken ausrutschten. Auf dem ganzen Deck wurde wild gefochten, und nur hier und da warf der Mundungsblitz eines Pistolenschusses kurz Licht auf Freund oder Feind. Bolitho trieb den Gegner ruckwarts gegen den Gro?mast und druckte seinen Oberkorper nach hinten. Die Parierstangen der beiden Waffen lagen gekreuzt vor der Kehle des Piraten. Bei dem Mann war jetzt die Wut in Angst umgeschlagen; Bolitho merkte es, machte seinen Degen mit einem heftigen Ruck frei und hieb ihm die Parierstange in die Zahne. Der Kerl schrie auf, ri? den Arm hoch, da fuhr Bolithos Degen ihm dicht unter der Schulter bis fast zum Griff in die Brust.

Allday sprang an Bolithos Seite und rief:»Gut gemacht, Cap-tain!«Er rollte den Mann mit einem Fu?tritt zur Seite und knurrte:»Noch einer, bei Gott!«Denn ein Matrose der Brigantine war aus den Wanten gesprungen. Ob er uberraschend von oben angreifen oder selbst einem Angriff entgehen wollte — Bolitho wu?te es nicht. Er horte nur Alldays Keuchen, das Sausen seiner Klinge, als er den Mann erst niederschlug und ihn dann mit einem weiteren furchtbaren Hieb erledigte.

«Da kommen zwei Boote, Sir!»

Bolitho sturzte zum Schanzkleid und duckte sich sofort, denn eine Kugel schlug dicht neben seiner Hand in die Reling.

«Nehmt sie mit dem Drehgeschutz unter Feuer!«brullte er.

Hinter ihm rannte ein Mann vorbei, der vor Alldays Degen floh und im Laufen eine Pistole abfeuerte. Bolitho fuhr mit einem Aufschrei herum; er spurte einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Aber als er sein Bein und den klaffenden Ri? in der Kniehose betastete, fuhlte er weder Blut noch den scharfen Schmerz von Knochensplittern. Der Kerl, der den ungezielten Schu? abgefeuert hatte, kam den schreienden Sklaven zu nahe. Ketten peitschten durch die Luft wie Schlangen, dann verschwand der Sklavenhandler unter einem sto?enden, tretenden Haufen kreischender, schwei?glanzender Neger.