Der Piratenfurst: Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See, стр. 11

III Gemischte Gesellschaft

Am Morgen des vierzehnten Tages sa? Bolitho in seiner Kajute vor einem Becher Kaffee und grubelte zum soundsovielten Male daruber nach, was er bisher erreicht hatte.

Am Vorabend hatten sie den runden Buckel der Insel Teneriffa gesichtet, der sich wie eine Wolkenbank am Horizont abzeichnete. Er hatte sich entschlossen, beizudrehen. In der Nacht die Kuste anzulaufen, war ein Risiko, das er lieber vermeiden wollte. Vierzehn Tage — sie kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Die meiste Zeit hatten sie sich mit schlechtem Wetter herumschlagen mussen. Er blatterte in seinem privaten Logbuch und uberflog die vielen deprimierenden Eintragungen: Gegenwind; gelegentlich starker Sturm; standig mu?ten Segel gekurzt oder gerefft werden, mu?ten sie Sturme abreiten. Nur die gefurchtete Biskaya hatte sich ihnen freundlich erwiesen, und das war wenigstens ein Trost. Andernfalls ware fast die halbe Mannschaft zu seekrank gewesen, um aufzuentern; und von den Gesunden hatte die Halfte zu viel Angst gehabt, um auf den wie betrunken schwankenden Rahen herumzuturnen, wenn die Deckoffiziere und Maaten nicht hart dazwischenschlugen — nein, bei schlechtem Wetter ware die Undine nicht uber die Biskaya hinausgekommen.

Bolitho hatte durchaus Verstandnis dafur, wie dem Gro?teil der Mannschaft zumute war. Der heulende Wind, die Enge im knarrenden, rollenden Rumpf, wo sie ihr Essen (wenn sie uberhaupt etwas herunterwurgen konnten) ein paar Minuten spater in die Bilge erbrachen. Diese Verhaltnisse bewirkten eine Art Erstarrung wie bei einem Mann, der unbemerkt uber Bord gefallen ist. Eine Zeitlang schwimmt er tapfer, aber ohne zu wissen, wohin; dann ist er so erschopft und verwirrt, da? ihm alles gleichgultig wird — das ist der Punkt, an dem sich sein Schicksal entscheidet.

Bolitho erkannte alle diese Zeichen wieder und wu?te, da? sie fur ihn eine ahnliche Herausforderung bedeuteten: gab er seinem Verstandnis, seinem Mitgefuhl nach, horte er sich von seinen uberlasteten Leutnants und Deckoffizieren zu viele Entschuldigungen an, wurde er das Schiff nie in den Griff bekommen, nie seine Leute in Schwung bringen, wenn es wirklich hart auf hart ging. Er wu?te, da? viele ihn heimlich verfluchten und beteten, der Schlag moge ihn treffen oder er moge nachts uber Bord fallen. Er sah ihre finsteren Blicke, spurte ihren Widerstand, wenn er an ihnen vorbeiging, zu jeder Stunde des Tages. Segeldrill immer wieder und wieder, stets nach Herricks Uhr gestoppt; und mit voller Absicht lie? er alle Beteiligten merken, da? er genau beobachtete, ob sie sich auch wirklich Muhe gaben. Er lie? die Mannschaften der drei Masten beim Segelsetzen oder Reffen miteinander in Wettbewerb treten, bis sie schlie?lich mit au?erster Anstrengung arbeiteten — nicht in sportlichem Geist, sondern in keuchender Wut und unter lautlosen Fluchen.

Jetzt, uber seinem Becher Kaffee, empfand er widerwillige Befriedigung uber das, was sie gemeinsam geleistet hatten, sei es aus freiem Willen oder unter hartem Zwang. Wenn die Undine an diesem Tag in Santa Cruz vor Anker ging, wurden die kritischen Spanier eine Demonstration disziplinierter Seemannschaft zu sehen bekommen — der gleichen, die sie in Kriegszeiten kennen und furchten gelernt hatten.

So wie er seine Mannschaft bis an die Grenze ihrer Krafte getrieben hatte, hatte er auch sich selbst nicht geschont. Und das spurte er trotz der einladenden Strahlen der Morgensonne, die uber die Decksaufbauten spielte. Fast bei jeder Wache, ob Tag oder Nacht, war er eine Zeitlang an Deck gewesen und hatte sich um den Dienst gekummert. Leutnant Davy besa? wenig Erfahrung in der Schiffsfuhrung bei widrigem Wetter; aber mit der Zeit wurde er es schon lernen. Soames verlor zu leicht die Geduld, wenn etwas nicht gleich klappte. Dann schubste er den unglucklichen Matrosen beiseite, brullte:»Ihr habt ja keine Ahnung! Lieber mach' ich es selbst!«und ri? ihm die Arbeit aus den Handen. Nur Herrick war imstande, den Sturm der endlosen Forderungen Bolithos abzuwettern; und diesem tat es leid, da? ausgerechnet sein Freund die Hauptlast zu tragen hatte. Es war leicht, einen Matrosen zu bestrafen, wenn in Wirklichkeit der Offizier den Kopf verloren oder in einer scharfen Brise nicht das richtige Wort gefunden hatte. Herrick stand wie ein Fels zwischen Offiziersmesse und Logis, zwischen Kapitan und Mannschaft.

Zweimal mu?te sogar Prugelstrafe verhangt werden — Bolitho hatte gehofft, dergleichen vermeiden zu konnen. Beide Falle hatten ihre Ursache im privaten Bereich des Mannschaftslogis. Beim erstenmal hatte sich ein Dieb an den geringen Ersparnissen eines Matrosen vergriffen. Der zweite Fall war weit ernster: eine wilde Messerstecherei, bei der einem Mann das Gesicht vom Ohr bis zum Kinn aufgeschlitzt worden war. Bolitho wu?te nicht einmal, ob es sich um eine wirkliche Feindschaft handelte oder ob bei der allgemeinen Gereiztheit nur ein rascher Funken Mi?mut den Brand entzundet hatte. In einem Schiff mit gutem Ausbildungsstand hatte er in beiden Fallen kaum von der Sache gehort. Dann hatte namlich die Justiz des Mannschaftslogis wesentlich drastischer und rascher funktioniert, wenn ihre private Welt von einem Dieb oder Messerstecher bedroht wurde. Bolitho verabscheute Kapitane, die ihre Disziplinargewalt gebrauchten, ohne zu bedenken, wie sie einen Menschen zerbrechen konnte; die brutale korperliche Strafen verhangten, ohne dem Ubel an die Wurzel zu gehen und so Bestrafungen zu vermeiden, Herrick wu?te, wie Bolitho daruber dachte. Als sie sich kennenlernten, war Herrick der jungste Leutnant auf dem Schiff gewesen, dessen vorheriger Kapitan so streng, so gedankenlos brutal gestraft hatte, da? der Boden fur eine Meuterei aufs Beste bereitet war. Herrick wu?te in solchen Dingen besser Bescheid als die meisten Offiziere, und doch hatte er es auf sich genommen, personlich bei Bolitho gegen den Vollzug der Prugelstrafe zu intervenieren. Das war ihre erste wirkliche Meinungsverschiedenheit; und Bolitho hatte mit gro?em Bedauern an Herricks Augen gesehen, wie sehr diesen die Ablehnung verletzte.

«Wir haben eine neue Mannschaft«, hatte Bolitho gesagt.»Es braucht seine Zeit, die Leute so zusammenzuschwei?en, da? sich jeder einzelne unter allen Umstanden auf seine Kameraden verlassen kann. Viele haben uberhaupt keine Ahnung, was bei der Marine gefordert wird. Es emport sie, wenn sie sehen, da? andere straflos ausgehen fur Versto?e, die sie selber sorgsam meiden. In diesem Stadium konnen wir nicht zulassen, da? sich die Manner in Fraktionen spalten: seebefahrene alte Leute gegen neue Rekruten; Gewohnheitsverbrecher gegen Schwache, die sich nur dadurch schutzen konnen, da? sie sich einer anderen Clique anschlie?en.»

Aber Herrick wollte nicht nachgeben.»In Friedenszeiten, Sir, dauert es eben etwas langer.»

«Das abzuwarten, ware ein Luxus, den wir uns nicht leisten konnen. «Absichtlich schlug Bolitho einen harteren Ton an.»Sie wissen genau, wie ich daruber denke. Auch mir fallt das nicht leicht!»

Der Dieb hatte keinen Laut von sich gegeben, als er seine Strafe erlitt, ein Dutzend Peitschenhiebe. Friedlich segelte die Undine unter blauem Himmel dahin, und die Schatten einiger Mowen kreisten unablassig uber dem grimmigen Schauspiel, das an Deck ablief. Beim Verlesen der betreffenden Kriegsartikel hatte Bolitho seine Mannschaft beobachtet: die gaffenden Manner in der Takelage; die schnurgeraden roten Reihen der Marineinfanteristen unter Hauptmann Bellairs; auch Herrick und die anderen Offiziere.

Der zweite Delinquent, Sullivan hie? er, war ein Vieh von einem Kerl. Er hatte sich in Portsmouth freiwillig beim Rekrutierungskommando gemeldet und machte durchaus den

Eindruck eines Gewohnheitsverbrechers. Aber er hatte schon einmal auf einem Kriegsschiff gedient und wurde daher als willkommener Zuwachs angesehen. Er bekam drei Dutzend Peitschenhiebe, nach dem Ma?stab der Kriegsmarine wenig genug fur jemanden, der einen Schiffskameraden halb umgebracht hatte. Wenn er sich an einem Offizier vergriffen hatte, ware er wahrscheinlich nicht ausgepeitscht, sondern gehangt worden.