Bruderkampf: Richard Bolitho, Kapitan in Ketten, стр. 76

Doch in seiner Kajute konnte er es kaum uber sich bringen, Zeit mit Rasieren und Umziehen zu vergeuden. Stockdale servierte ihm sein Fruhstuck, aber er konnte es nicht einmal ansehen, geschweige denn essen. Heute abend oder vielleicht schon innerhalb weniger Stunden konnte er tot sein. Oder, schlimmer noch, unter dem Messer des Arztes um Gnade schreien. Ihn schauderte. Doch es fuhrte zu nichts, daran zu denken. Mehr noch, es schadete.

«Ich habe Ihnen ein frisches Hemd hingelegt, Sir«, sagte Stockdale. Er sah Bolitho fragend an.»Ich denke, Sie sollten auch Ihre beste Uniform anziehen.»

«Um Himmels willen, warum denn, Mann?«Bolitho blickte seinem Bootsfuhrer uberrascht in das zerschlagene Gesicht.

«Das ist der Tag, Sir. Ich spure es. So war es schon mal. «Dickkopfig setzte er hinzu:»Au?erdem blickt die Mannschaft auf Sie, Sir. Die Leute wollen Sie sehen. Nach allem, was geschehen ist, wollen sie sehen, da? Sie zu ihnen gehoren.»

Bolitho blickte Stockdale an. Die stockend vorgebrachten Worte bewegten ihn.»Wenn du meinst.»

Zehn Minuten spater ubertonte eine Stimme schwach die Gerausche der See und der Leinwand:»An Deck! Segel in Steuerbord voraus.»

Bolitho zwang sich, noch ein paar Sekunden zu warten. Nachdem Stockdale ihm den Degen umgeschnallt hatte, ging er zum Kajutniedergang. Das Achterdeck war voller Leute. Sie deuteten nach vorn und redeten durcheinander, verstummten aber, wahrend Bolitho zur Reling ging und sich von Maynard das Fernrohr reichen lie?.

Durch das Muster der Takelage sah er die Schaumkopfe der

Wogen vor dem Bug der Fregatte. Der Himmel war bereits klar, aber das Wasser schien sich noch unter dem Griff eines sich nur langsam lichtenden Nebels zu winden, der dem jungen Tag momentan noch die Warme raubte.

Dann hatte er sie plotzlich im Glas: zwei Schiffe, dicht beieinander, die Rumpfe in eine dichte Rauch- und Nebelwolke gehullt; die zerfetzten Segel hingen korperlos uber dem weiter unten verborgenen Kampf. Deutlich sichtbar waren jedoch die Flaggen: die eine blutrot wie die, die uber ihm flatterte. Die andere rein und wei?, die Fahne Frankreichs.

Bolitho schob das Fernrohr mit einem Ruck zusammen.»Also gut, Mr. Okes, lassen Sie Alarm trommeln. Alle Mann auf Stationen. Klar zum Gefecht. «Er sah seine Offiziere fest an.»Wir mussen uns heute mit unserer ganzen Person einsetzen, meine Herren. Wenn die Mannschaft sieht, da? wir unser Bestes geben, werden die Leute willig ihre Pflicht tun. «Er lauschte auf das ferne Geschutzfeuer.»Machen Sie weiter, Mr. Okes.»

Die Offiziere salutierten und sahen dann einander an, als ware ihnen eben bewu?t geworden, da? es fur einige, vielleicht fur alle der letzte Tag sein konnte. Doch da begann die Trommel zu rasseln und beendete den kurzen Moment innerer Bewegung.

XVII In Schlachtformation

Zehn Minuten nach dem Trommelsignal war die Phalarope klar zum Gefecht. Die Decks waren gesandet, Eimer mit Wasser standen in Reichweite jeder Kanone. Uber dem Schiff lag eine sonderbare, alles beherrschende Stille, nur durch das unruhige Schlagen der Segel und das Rauschen der Bugwelle unterbrochen.

Bolitho legte die Hand uber die Augen und betrachtete die unirdisch orangefarbene Glut der Sonne, die sich durch den nicht endenwollenden Dunst kampfte. Das Krachen und Bellen der Geschutze war mit jeder Minute unregelma?iger und sporadischer geworden. Wahrend sich die Entfernung zwischen der Phalarope und den anderen Schiffen verringerte, drangen neue Laute heruber. Sie klangen bosartiger und doch irgendwie personlicher. Bolitho horte das scharfe Knattern von Gewehren und Pistolen, und Stahl klirrte gegen Stahl, ubertont von den Schreien der um ihr Leben kampfenden Manner.

Okes wischte sich das Gesicht mit dem Handrucken und stie? hervor:»Dieser verdammte Nebel! Nicht zu sehen, was vorgeht.»

Bolitho sah ihn kurz an.»Er ist ein Gottesgeschenk, Mr. Okes. Sie haben zu viel zu tun, um uns zu bemerken. «Er winkte zum Ruderganger hinuber.»Einen Strich nach Steuerbord. «Danach ging er zur Querreling und blickte zu dem hochschauenden Herrick hinunter.

«Lassen Sie die Geschutze laden. Aber erst auf mein Kommando hin ausrennen.»

Die Kanoniere schoben Kartuschen in die Mundungen und stie?en glanzende runde Kugeln hinterher. Die erfahreneren Geschutzmeister nahmen sich die Zeit, jede Kugel beinahe liebevoll zu tatscheln und in der Hand zu wiegen. Die erste Salve sollte ein voller Erfolg werden.

«Doppelte Ladungen!«horte er Herrick rufen.»Und Kartatschen, Jungs. Diesmal wollen wir es ihnen geben!»

Ein kraftigerer Windsto? schob den Dunst, der die Schiffe einhullte, beiseite. Bolithos Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Mit dem Heck zur schnell heransegelnden Phalarope lag eine franzosische Fregatte. Neben ihr erkannte er die kleine Witch of Looe. Die Brigg hatte Schlagseite und war beinahe bis zur Unkenntlichkeit havariert. Ein Mast fehlte bereits, den anderen schienen nur noch die Reste des stehenden Gutes zu halten. Er dachte an ihren Kommandanten, den jungen Leutnant Dancer, dem er an Bord des Flaggschiffs begegnet war. Er staunte uber den Schneid oder den vergeudeten Mut, der Dancer veranla?t hatte, sich mit einem Gegner einzulassen, der ihm derma?en uberlegen war. Seine kleinen Knallbuchsen gegen die noch rauchenden Zwolfpfunder!

«Sie haben uns entdeckt, Sir«, sagte Okes. Er schluckte schwer, als etwas wie ein tierisches Knurren uber das Wasser drang.»Mein Gott, sehen Sie blo?!»

Das zerschmetterte Deck der Witch of Looe schien von franzosischen Seeleuten uberschwemmt. Wahrend der treibende Pulverqualm einen Augenblick aufri? und die Sonne das Gemetzel beschien, sah Bolitho die kleine Gruppe, die das Achterdeck der Brigg noch verteidigte. In wenigen Minuten wurde auch sie uberwaltigt sein.

Die Stuckpforten der dem Gefecht abgewandten Seite der franzosischen Fregatte offneten sich plotzlich, und die Kanonen wurden rumpelnd ausgefahren. Die feindliche Fregatte bleckte die Zahne.

Bolitho achtete nicht auf das Siegesgeschrei, das auf der franzosischen Fregatte ertonte, sondern konzentrierte sich vollig auf den standig schmaler werdenden Streifen Wasser zwischen der Phalarope und dem Feind. Keine Kabellange mehr, und kein Schiff in der Lage zu feuern. Der Bug der Phalarope zeigte fast haargenau auf das Heck des anderen Schiffs. Behielt sie den Kurs bei, wurde der Bugspriet durch die Heckfenster sto?en. Auf der einen Seite des Franzosen lag mit Schlagseite die durchsiebte Witch of Looe, auf der anderen warteten die franzosischen Kanonen auf ein weiteres Opfer.

«Steuerbordbatterie ausrennen!»

Bolitho beobachtete, wie sich seine Leute in die Taljen legten. Quietschend und knarrend rollten die Kanonen die leichte Neigung des Decks hinauf, und die Rohre schoben sich durch die Pforten.

Von dem franzosischen Schiff drangen wuste Rufe heruber, unmenschliche Tone des Blutrauschs. Die Manner der Phalarope blieben kalt und wachsam. Ihre Augen blinzelten nicht, als die pockennarbigen Segel des Feindes immer hoher uber dem Bug aufwuchsen.

Bolithos Hande umspannten die Reling, wahrend er langsam sagte:»So, Mr. Herrick, und nun schicken Sie Ihre Leute hinuber zur Backbordbatterie. «Er bemerkte die verdutzten Blicke und setzte kurz hinzu:»In einer Minute lege ich nach Steuerbord um und schere neben die Witch of Looe. Sie liegt tief im Wasser. Unsere Breitseite streicht uber sie hinweg.»

Herricks Stirnrunzeln machte einem Ausdruck offener Bewunderung Platz.»Aye, aye, Sir.»

Bolithos Stimme ri? ihn aus seinen Gedankengangen.»Ruhe! Die Franzosen brauchen nicht zu merken, was wir vorhaben.»

Die Geschutzbedienungen krochen zur entgegengesetzten Seite hinuber. Die heiseren Drohungen der Stuckmeister dampften ihre Erregtheit.