Bruderkampf: Richard Bolitho, Kapitan in Ketten, стр. 20

Unter mi?tonendem Krachen sturzte die lange Stenge quer uber das Schanzkleid, wo sie sich in einem Gewirr zerfetzter Stagen und Pardunen verfing. Das zerrissene Segel blahte sich neben dem Schiffsrumpf im Wasser und hemmte die Fregatte wie ein Treibanker.

Ein anderer Anblick setzte dem Schrecken die Krone auf: Betts, der Mann, der die feindliche Fregatte gesichtet hatte, strampelte in der verhedderten, nachschleppenden Takelage wie ein Insekt in einem Spinnennetz.

«Mit der Axt ran!«brullte Vibart.»Klariert das Zeug!»

Betts starrte aus glasigen Augen zur Fregatte hinauf.»Helft mir, Jungs! La?t mich nicht ersaufen!»

Aber die Axte waren bereits am Werk. Die Manner, halb au?er sich durch den Wirrwarr, waren zu betaubt, um sich um das Leiden eines einzelnen zu kummern.

Okes packte Herrick beim Arm.»Warum streicht er nicht die Flagge? Um Jesu willen, sieh, was er uns antut!»

Herrick konnte kaum noch klar denken. Aber er sah, was Okes ihm zeigen wollte. Die Manner hatten den Mut sinken lassen. Sie duckten sich wimmernd, als die feindlichen Kugeln ihnen um die Ohren pfiffen. Nur gelegentlich erwiderte ein vereinzeltes Geschutz das Feuer: das Werk einer Handvoll Manner, gefuhrt von einem erfahrenen, hingebungsvollen Geschutzfuhrer, der ein einseitiges Duell mit dem Feind aufrechthielt.

Herrick schlo? sich gegen das Schreien der Verwundeten ab, die unter Deck geschleppt wurden. Er wollte nichts sehen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich nur auf jenen Fleck des Achterdecks, wo Bolitho allein an der Reling stand. Der Kapitan trug keinen Hut mehr, und sein Rock war mit Pulver-und Spritzwasserflecken ubersat. Ein Laufer, der auf ihn zueilte, sank im Musketenfeuer zusammen. Musketenkugeln hammerten gegen die Backskisten und pfiffen uber das Deck, doch Bolitho ruhrte sich nicht von der Stelle, und sein Gesicht zeigte nach wie vor den Ausdruck ruhiger Entschlossenheit. Nur ein einziges Mal blickte er auf, und zwar um nach der gro?en, scharlachroten Flagge zu spahen, die an der Gaffel flatterte. Wollte er sich vergewissern, da? sie noch wehte?

Herrick schuttelte den Kopf.»Er streicht die Flagge nie. Eher la?t er uns mit Mann und Maus untergehen.»

V Rum und hei?e Kopfe

Das Deck krangte stark, als die Phalarope wie blind auf einen neuen Kurs ging. Bolitho wu?te nicht mehr, wie oft das Schiff die Richtung gewechselt hatte, ebensowenig, wie lange das Gefecht schon dauerte. Nur eins wu?te er genau: da? die Andiron ihn ausmanovrierte. Noch immer hielt sie sich in Luv und deckte ihn ab. Seine Kanoniere wurden durch ein neues Mi?geschick behindert. Der Wind lie? nach, und sie feuerten nunmehr blind in eine dicke Rauchwand, die vor dem anderen Schiff lag und sich mit dem Pulverqualm der unregelma?igen Abschusse der Phalarope vermengte. Der Qualm wirbelte vielfarbig durcheinander, als der amerikanische Freibeuter den Angriff fortsetzte.

Einmal, als ein launischer Windsto? den Vorhang aus Pulverqualm zerri?, hatte Bolitho das Mundungsfeuer der Andiron sehen konnen, lange, orangefarbene Flammen, die nacheinander aufzuckten, sobald die Geschutze gerichtet waren und ihre Kugeln die knappe Viertelmeile heruberschickten, die zwischen den beiden Fregatten lag.

Die Andiron feuerte noch. Die Kugeln kreischten durch die Takelage und zerfetzten die verbliebenen Segel. Sie beabsichtigte, die Phalarope zu entmasten. Vielleicht hegte der Kapitan den Plan, sie als Prise unter eigenem Kommando zu segeln, wie schon die Andiron.

Die langen Neunpfunder auf dem Achterdeck rollten zuruck. Ihre scharfen, bellenden Abschusse betaubten Bolitho. Er blickte in den Pulverqualm und dann uber sein Schiff. Nur auf dem Achterdeck herrschte noch so etwas wie Ordnung. Fahnrich Farquhar stand an der Heckreling. Von dort aus erteilte er den Geschutzfuhrern Befehle. Rennies Seesoldaten standen ebenfalls fest. Der Pulverdampf nahm ihnen die Sicht, doch sobald das feindliche Schiff in dem erstickenden Rauch sichtbar wurde, eroffneten sie von ihrer Position hinter den Backskisten aus das Feuer.

Auf dem Hauptdeck sah es anders aus. Bolithos Augen wanderten uber das Chaos aus aufgerissenen Planken und menschlichen Korperteilen. Die Batterien feuerten noch, aber in gro?eren Abstanden und weniger treffsicher.

Bolitho hatte uber den Erfolg der ersten Breitseite gestaunt. Ihm war klar, da? sich der Mangel an Ausbildung spater hemmend auswirken mu?te, doch auf einen so guten Auftakt hatte er nicht zu hoffen gewagt. Die doppelt geladenen Kanonen hatten fast gleichzeitig gefeuert. Er hatte gesehen, wie das Schanzkleid der anderen Fregatte zersplitterte, und beobachtet, wie die Kugeln in den Rumpf schlugen oder durch die dicht gedrangten Kanoniere fetzten. Einen Augenblick hatte es den

Eindruck erweckt, da? sie das Gefecht erfolgreich durchstehen konnten.

Durch den wabernden Pulverdampf sah er, da? Herrick langsam von einem Steuerbordgeschutz zum anderen ging, mit den Kanonieren sprach und jedes Geschutz selber richtete, ehe er dem Geschutzfuhrer erlaubte, die Abzugsleine zu ziehen. Auf der Steuerbordseite ware das eigentlich die Aufgabe von Okes gewesen, aber vielleicht war Okes, wie so viele andere, schon gefallen. Bolitho musterte jede Einzelheit des qualenden Bildes, das die Phalarope jetzt bot. Er fuhlte sich benommen, aber Auge und Verstand funktionierten in kalter Ubereinstimmung, wodurch Qualen und Leiden nur um so deutlicher hervortraten.

Aus dem Ganzen hoben sich kleine Bilder heraus, und wo Bolitho auch hinschaute, alles gemahnte schmerzlich an den noch zu zahlenden Preis. Viele waren tot. Wieviele, wu?te er nicht. Manche waren tapfer gestorben, bei der Bedienung ihrer Geschutze, bis zuletzt Rufe der Ermutigung oder Fluche auf den Lippen. Manche starben langsam und schrecklich. Ihre zerrissenen Leiber lagen verkrummt in den Blutlachen, die das Deck uberzogen.

Andere waren weniger tapfer. Mehr als einmal hatte er sehen mussen, wie sich Manner totstellten und sich zwischen den beiseitegeschobenen Leichen verbargen, bis die Maate sie mit Sto?en und Schlagen zuruck an ihre Stationen trieben.

Trotz Rennies Wachen waren einige unter Deck geflohen, wo sie sich jetzt wahrscheinlich wimmernd die Ohren zuhielten und in der Bilge lieber dem Tod durch Ertrinken entgegensahen, als auf Deck dem Tod durch die Geschutze der Andiron.

Bolitho hatte beobachtet, wie der Pulverjunge zerrissen wurde. Und uber dem Donnern des Gefechts horte er, was er dem Jungen erst vor drei Wochen gesagt hatte:»Du wirst England wiedersehen. Sei unbesorgt. «Nun war der Junge ausgeloscht, als ob er nie existiert hatte.

Oder der Matrose Betts: im Bramsegel verstrickt, hatte er um sein Leben gekampft. Der Mann, den er benutzt hatte, um die Autoritat des Kapitans unter Beweis zu stellen. Axte hatten die Stenge losgehackt. Auf und ab tanzend, hatte sie sich vom Schiff gelost, ehe sie, einen Teil der Takelage wie eine Schleppe hinter sich herziehend, im Pulverqualm verschwand. Die Stenge war am Achterdeck vorbeigetrieben, und einen

Augenblick hatte er Betts heraufstarren sehen. Den Mund weit aufgerissen, ein schwarzes Loch, hatte der Mann die Faust geschuttelt. Eine nutzlose Geste, doch sie kam Bolitho wie der Fluch der ganzen Welt vor. Danach hatte sich die Stenge um sich selber gedreht, und bevor sie achtern zuruckblieb, hatte Bolitho noch gesehen, wie Betts Fu?e aus dem Wasser ragten und einen sinnlosen Tanz vollfuhrten.

Wieder klatschten Kugeln durch das Gro?segel und heulten uber das Wasser. Bolitho ri? die Augen von dem Blutbad. Es konnte nicht mehr lange dauern. Die Andiron hatte leicht angeluvt. Uber der Rauchbank, die die feindliche Fregatte verbarg, sah er ihre oberen Rahen und die durchlocherten Segel, als wurden sie in der Luft schweben, und las aus ihrer Stellung ab, da? die Andiron auf Position ging, um die Phalarope durch langsame, sorgfaltig gezielte Schusse zur Aufgabe zu zwingen.