Die Entscheidung: Kapitan Bolitho in der Falle, стр. 20

Er blieb neben dem Springbrunnen stehen und starrte mehrere Minuten hinein. Der Empfang war also doch noch ein Erfolg geworden, und der Vormittag schien ihm nur noch eine fade Erinnerung zu sein.

Herzdame

Drei Tage nach dem Empfang beim Gouverneur war die Sparrow wieder seeklar. Bolitho hatte sie genau inspiziert und unter Locks argwohnischen Blicken eine endgultige Liste der Vorrate und Lagerbestande unterzeichnet. Die letzten drei Tage waren ohne besondere Ereignisse vorubergegangen, und Bolitho fand es leichter, die offensichtliche Lethargie New Yorks zu verstehen, wenn nicht sogar zu teilen. Es war eine unwirkliche Existenz, den Krieg nur am Ende einer Marschkolonne von Soldaten zu sehen oder in einer Verlustenliste in der Zeitung.

Die andere ubriggebliebene Korvette der Flotte, Heran, hatte kurzlich auch in Sandy Hook Anker geworfen und erwartete nun eine ahnliche Uberholung.

An diesem Vormittag sa? Bolitho in seiner Kajute und geno? ein Glas guten Bordeaux mit dem Kommandanten der Heran, Thomas Farr. Bei ihrem letzten Zusammentreffen war er noch Leutnant gewesen, aber Maulbys Tod hatte ihm die wohlverdiente Beforderung gebracht. Er war fur seinen Rang recht alt, ungefahr zehn Jahre alter als Bolitho. Ein gro?er, breitschultriger Mann, ungeschlacht und mit einer etwas drastischen Ausdrucksweise, die an Tilby erinnerte. Er war zu seiner jetzigen Ernennung auf vielen Umwegen gekommen. Als achtjahriger Junge zur See geschickt, war er die meiste Zeit seines Lebens auf Handelsschiffen gefahren — Kustensegler und Postschiffe, Indienfahrer und kleinere Schiffe —, schlie?lich hatte er das Kommando uber eine Kohlenbrigg aus Cardiff bekommen. Da England in den Krieg verwickelt war, hatte er seine Dienste der Marine angeboten und war gerne angenommen worden. Wenn ihn auch seine Manieren und seine Bildung von den anderen Offizieren unterschieden, so waren seine Erfahrung und seine Geschicklichkeit beim Segeln ihnen weit uberlegen. Eigenartigerweise war die Heran kleiner als die Sparrow und hatte wie ihr Kommandant in der Handelsschiffahrt begonnen. Daher war auch ihre Bewaffnung von vierzehn Geschutzen schwacher. Sie hatte aber trotzdem schon einige gute Prisen genommen.

Farr rakelte sich auf der Heckbank und hob sein Glas zum Sonnenlicht.

«Verdammt guter Tropfen! Wenn ich aber einen Krug voll englischem Bier hatte, konnten Sie das gegen die Wand spucken!«Er lachte und gestattete Bolitho, ihm noch ein Glas einzuschenken.

Bolitho lachelte. Wie sich die Dinge fur sie alle geandert hatten!

Wenn er sich zuruckerinnerte an den Augenblick in Antiguo, als er zum Treffen mit Colquhoun ging, war es schwierig, sich ins Gedachtnis zu rufen, wie die Jahre und Wochen sie alle beeinflu?t hatten. Damals, als er aus Colquhouns Fenster gesehen hatte, lag vor ihm die ganze Flotte, und er hatte sich gefragt, wie wohl sein neues Kommando sein wurde. Viele andere Zweifel und Befurchtungen hatten ihn an diesem Morgen geplagt.

Jetzt gab es die Fawn nicht mehr, und die Bacchante war erst gestern ausgelaufen, um zu der Flotte unter Rodney zu sto?en. Ihr neuer Kapitan stammte vom Flaggschiff, und Bolitho fragte sich, ob Colquhoun wohl die Moglichkeit gehabt hatte, von seiner Arrestzelle aus zu sehen, wie sie die Anker lichtete.

Jetzt waren nur noch Sparrow und Heran ubrig. Naturlich abgesehen von dem kleinen Schoner Lucifer, der eine Klasse fur sich war. Er wurde weiterhin kleine Kustenpatrouillen machen oder auch in Buchten und Flu?laufe vorsto?en, um Blockadebrecher aufzustobern.

Farr betrachtete ihn behaglich und bemerkte:»Nun, Sie kommen machtig voran, wie ich hore. Empfang beim Gouverneur, Wein mit dem Admiral! Lieber Himmel, kein Mensch kann sagen, wo Sie einmal enden. Wahrscheinlich beim diplomatischen Corps, mit einem Dutzend kleiner Madchen, die nach Ihrer Pfeife tanzen. «Er lachte laut.

Bolitho zuckte die Schultern.»Nichts fur mich. Ich habe genug gesehen.»

Er dachte schnell an Susannah. Sie hatte ihm nicht geschrieben. Auch hatte er sie nicht gesehen, obwohl er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, an ihrem Haus vorbeizugehen, wenn er an Land war.

Es war ein schones Haus, nicht viel kleiner als das, in dem der Empfang stattgefunden hatte. Soldaten hielten an den Toren Wache, und er vermutete, da? der Besitzer ein Regierungsamt innehatte. Er hatte versucht, kein solcher Narr zu sein, so naiv, da? er erwartete, jemand von Susannahs Herkunft konnte sich seiner mehr als fluchtig erinnern. In Falmouth war die Familie Bolitho sehr angesehen, ihr Land und Besitz gaben vielen Brot und Existenz. Die kurzlich erzielten Prisengelder hatten Bolitho zum erstenmal in seinem Leben ein Gefuhl der Unabhangigkeit gegeben, so da? er den Sinn fur Realitat verloren hatte, wenn es um Leute wie Susannah Hardwicke ging. Ihre Familie gab wahrscheinlich in einer Woche mehr aus, als er verdient hatte, seit er Kommandant der Sparrow war. Sie war es gewohnt zu reisen, auch wenn die anderen durch den Krieg oder fehlende Mittel daran gehindert wurden. Sicherlich kannte sie die wichtigsten Leute, und ihr Name wurde in den gro?en Hausern von London bis Schottland akzeptiert. Er seufzte. Er konnte sie sich nicht als Hausherrin von Falmouth vorstellen, beim Empfang von rotgesichtigen Farmern und ihren Frauen, bei der Teilnahme an den ortlichen Festen und dem rauhen Leben einer Gemeinschaft, die so naturverbunden lebte.

Farr schien seine Stimmung zu erraten und fragte:»Wie steht es mit dem Krieg, Bolitho? Wohin fuhrt er uns?«Er schwenkte sein Glas.»Manchmal denke ich, wir werden immer weiter Patrouille fahren und hinter diesen verfluchten Schmugglern herjagen, bis wir vor Altersschwache sterben.»

Bolitho stand auf und ging ruhelos zu den Fenstern. Es gab viele Beweise der Macht in der Nahe: Linienschiffe, Fregatten und alle anderen. Und doch schienen sie nur zu warten. Aber worauf?

Er sagte:»Cornwallis scheint entschlossen, Virginia wieder zuruckzuerobern. Seine Soldaten machen ihre Sache gut, wie ich hore.»

«Das klingt nicht allzu zuversichtlich.»

Bolitho sah ihn an.»Die Armee ist auf Versorgung angewiesen. Sie kann sich nicht langer auf Unterstutzung oder Verpflegung auf dem Landweg verlassen. Alles mu? uber das Wasser kommen. Das ist fur eine Armee keine Basis zum Kampf.»

Farr grunzte.»Das geht uns nichts an. Sie machen sich zu viele Sorgen. Wir sollten nach Hause fahren und den Froschfressern tuchtig das Fell versohlen. Die verdammten Spanier wurden bald nach Frieden schreien, und die Hollander mogen ihre sogenannten Verbundeten sowieso nicht. Dann konnten wir nach Amerika zuruckkommen und es noch einmal versuchen.»

Bolitho lachelte:»Ich furchte, wir wurden an Altersschwache sterben, wenn wir diesem Kurs folgten.»

Er horte einen Anruf, das Kratzen eines Bootes langsseits. Er stellte fest, da? sein Verstand es registriert hatte, er aber entspannt, sogar gleichgultig geblieben war. Als er zuerst an Bord gekommen war, gab es keinen Laut und kein Vorkommnis, das nicht seine sofortige Aufmerksamkeit gefunden hatte. Vielleicht gelang es ihm endlich, seine Rolle als Kapitan zu akzeptieren?

Graves erschien mit einem vertrauten, versiegelten Umschlag in der Kajutentur.

«Wachboot, Sir. «Er warf einen Blick auf den Kommandanten der Heran. »Ich nehme an, die Befehle zum Auslaufen.»

Bolitho nickte.»Machen Sie weiter, Mr. Graves. Ich werde Sie sofort informieren.»

Der Leutnant zogerte.»Auch dieser Brief wurde abgegeben, Sir. «Er war klein, und die Handschrift wurde fast von einem Siegel verborgen: Buro der Militarregierung.

Als die Tur sich geschlossen hatte, fragte Farr heiser:»Graves! Ich hoffe, er ist kein verfluchter Verwandter unseres Admirals!»

Bolitho grinste. Da Rodney in den West Indies und noch immer durch Krankheit behindert war, hatte Konteradmiral Thomas Graves das Kommando in den amerikanischen Gewassern erhalten. Da ihm die Weisheit Rodneys fehlte, auch der harterkampfte Respekt Hoods, wurde er von den meisten Offizieren der Flotte als ein fairer, aber vorsichtiger Kommandeur eingeschatzt. Er glaubte hundertprozentig ans strenge Reglement und es war nicht bekannt, da? er jemals auch nur ein Jota davon abgewichen ware. Verschiedene altere Kapitane hatten Vorschlage zur Verbesserung des Signalsystems im Gefecht eingereicht. Graves hatte laut vieler Geschichten, die in der Flotte die Runde machten, dazu nur kalt gesagt:»Meine Kapitane kennen ihre Aufgabe. Das sollte genugen.»