Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik, стр. 57

Bolitho zog seinen Dolch und zerrte den Hut tiefer uber die Augen.

«Fertig, Jungs!»

Er blickte nach rechts und links, die vertrauten Gesichter verwischten sich und verschwanden, als er nur noch den Feind vor sich sah.

Irgendwo fing ein Mann heftig an zu husten, einen anderen horte man nervos mit dem Fu? trommeln.

«Feuer!»

XIV Ein zu hoher Preis

Als die obere Batterie, unmittelbar gefolgt von den Zweiunddrei-?igpfundern des unteren Batteriedecks, ihre volle Breitseite herausdonnerte, bebte die Trojan so heftig, als wolle sie auseinanderbersten.

Obwohl jedermann es erwartet und sich darauf vorbereitet hatte, war der betaubende Krach der Salve unvorstellbar. Der Donner rollte und rollte weiter, wahrend jedes Geschutz durch den Rucksto? wieder binnenbords geschleudert wurde.

Bolitho beobachtete, wie der dichte Qualm mit dem Wind davonzog, und starrte dann auf das franzosische Schiff, das umgeben war von aufbrandenden Wassersaulen. Die See hatte sich in eine Masse wei?er Springbrunnen verwandelt. Die Argonaute steuerte auf konvergierendem Kurs, die Rahen hart angebra?t, um von der nachsten Landspitze freizukommen. Ohne Fernglas konnte man unmoglich feststellen, ob sie getroffen worden war, obgleich bei einer so massiven Breitseite ein paar Treffer dabeisein sollten. Aber die Trojan hatte bei erstbester Gelegenheit gefeuert, Bolitho schatzte die Entfernung auf mindestens acht Kabellangen.*

Auf beiden Seiten schrien die Geschutzfuhrer wie die Teufel, die Bedienungsmannschaften rammten frische Ladungen in die Rohre, wahrend andere mit Handspaken bereitstanden, um die schweren Geschutze wieder auszufahren.

Es klang alles verschwommen, unwirklich, und Bolitho rieb sich heftig die Ohren, um wieder horen zu konnen. Das Schiff holte leicht uber, da Pears eine Kursanderung zu dem Franzosen hin befohlen hatte. Wie unverwundbar der aussah! Mit killenden Marssegeln und Fock versuchte der Kommandant der Argonaute, hoher an den Wind zu gehen, um der Umklammerung des Landes zu entkommen und freien Seeraum zu gewinnen.

Was hatte er vor? fragte sich Bolitho. Was mochte Coutts Gegenspieler beabsichtigen? Vielleicht wollte er die Trojan von der Insel weglocken, um dem Schoner Zeit zum Entkommen zu verschaffen, oder wollte er — nachdem er die Spite au?er Gefecht gesetzt hatte — sich vielleicht davonstehlen und jeden weiteren Konflikt vermeiden? Vielleicht hatte er andere Befehle, sollte womoglich im Falle * 1480m der Behinderung sofort einen anderen Treffpunkt aufsuchen und dort seine Ladung loschen?

Es war unglaublich, da? Bolitho uberhaupt denken konnte. Er blickte das Deck entlang, sah die Geschutzfuhrer die Hande heben, ihre Gesichter wirkten maskenhaft vor Konzentration.

Er blickte nach achtern.»Fertig, Sir!»

Wieder schob der alteste Midshipman des unteren Batteriedecks den Kopf durch die Luke und schrie:»Fertig, Sir!»

Couzens lief mit einer Meldung an Cairns auf dem Achterdeck vorbei.

Als er bei Fahnrich Huss vorbeikam, rief er:»Ihr wart diesmal die letzten!«Sie grinsten sich an, als ware das Ganze ein ungeheurer Spa?.

Bolitho wandte sich wieder dem Feind zu. Jetzt war er naher gekommen, das Deck lag ein wenig schrag durch den Winddruck, die Reihen der Geschutze blitzten in der Sonne wie Zahne.

Bolitho wu?te im Innersten seines Herzens, da? der franzosische Admiral dem Kommandanten der Argonaute nicht befehlen wurde, abzufallen. Er wurde kampfen. Was die Welt spater einmal dazu sagte, das zahlte hier drau?en wenig. Rechtfertigung konnten beide Seiten suchen und finden, aber der Gewinner hatte das gewichtigere Wort zu reden.

Die Bordwand des franzosischen Schiffes verschwand unter wirbelndem Rauch, unterbrochen nur durch orangefarbene Zungen, als es jetzt auf die Herausforderung der Trojan antwortete.

Bolitho bi? die Zahne aufeinander in der Erwartung, den Rumpf beim krachenden Einschlag der Salve erbeben zu spuren. Aber nur ein paar Kugeln schlugen in den oberen Teil der Bordwand, wahrend uber ihnen die Luft zu heulendem, pfeifendem Leben erwachte, als die Kettenkugeln durch die Takelage fegten.

Er sah, wie die Schutznetze unter dem Aufprall herabsturzender Blocke und abgerissener Takelage federten. Jetzt sturzte ein Marineinfanterist kopfuber aus dem Gro?mars, schlug auf dem Fallreep auf und verschwand uber Bord, ohne einen einzigen Laut von sich zu geben.

Bolitho schluckte heftig. Das erste Blut! Er schaute nach achtern und sah Pears, den Blick auf den Feind gerichtet, die Hand bis auf Schulterhohe heben, und rief rasch:»Fertig, Jungs!»

Des Kommandanten Arm fiel herab, und wieder war die Luft erfullt vom Donner der Geschutze.»Auswischen! Laden!»

Die Seeleute, die Kommandant und Offiziere verflucht hatten, wenn sie immer und immer wieder gedrillt worden waren, fuhrten ihre Bewegungen jetzt vollig mechanisch aus. Sie blickten nicht einmal hin, als einige ihrer Kameraden aufenterten, um in der Takelage die notwendigsten Reparaturen vorzunehmen.

Bolitho sah den gro?en Ri? im Fockmarssegel sich rasch ausbreiten, als der Wind hineinstie?. Es war ihm klar, da? der Feind eine bestimmte Taktik verfolgte, und zwar die, den Gegner durch Zerfetzen der Takelage moglichst schnell manovrierunfahig zu schie?en. Wenn das feindliche Schiff dann sein ungeschutztes Heck darbot, kam die Gelegenheit fur eine morderische Breitseite. Bei Gefechtsbereitschaft war jedes Linienschiff im Inneren von vorn bis achtern offen und ohne Trennwande, so da? eine wohlgezielte Salve durchs Heck die Batteriedecks in ein Schlachthaus verwandeln mu?te.

Auch die Argonaute zeigte schon einige Spuren des Kampfes: Durchschusse in den Segeln, ein gro?es, klaffendes Loch beim Backbord-Fallreep, wo zwei Kugeln zugleich getroffen hatten.

Funf Kabellangen, eine halbe Meile also*, betrug jetzt die Entfernung zwischen ihnen, und beide Schiffe gewannen noch an Fahrt, da sie inzwischen nicht mehr unter Land waren.

Wieder die wirbelnde Rauchwand, wieder das schrille Heulen und Pfeifen der Ketten uber ihnen. Es war unglaublich, da? noch keine Stenge getroffen worden war, aber das schreckliche Kreischen lie? manchem der Manner das Mark in den Knochen gerinnen.

Stockdale hielt in seinen Anstrengungen kurz inne und rief:»Wir halten den Wind, Sir, trotz der Locher im Tuch!«Sein zerschlagenes Gesicht war ru?geschwarzt, er wirkte unerschutterlich.

«Klar zum Feuern!»

Bolitho horte, wie Fahnrich Huss das Kommando an Dalyell unten im Deck weitergab.

«Feuer!»

Das Deck stie?, als sei das Schiff auf Grund gelaufen, dann horte

** 926m

man lautes Jubelgeschrei, als des Gegners Gro?bramstenge wild schwankte, bevor sie splitternd abbrach und wie eine Lanze herabscho?.

Ein glucklicher Treffer. Niemand wurde je wissen, wer ihn abgefeuert hatte.

Pears drohnende Stimme ubertonte muhelos das Poltern und Knirschen beim Laden der Geschutze.

«Gut gemacht, Trojaner! Gebt es ihnen!»

Weitere Jubelrufe wurden erstickt durch des Gegners Feuererwiderung, durch das furchterliche Krachen von Eisen, das in die Bordwand schlug und in einige der unteren Pforten.

Bolitho fuhr zuruck und fragte sich, warum der Franzose seine Taktik geandert hatte. Er horte das furchterliche Donnergepolter einer Kanone, die durch das untere Batteriedeck geschleudert wurde, bis sie mit lautem Knall gegen etwas Hartes prallte. Manner schrien dort unten seltsam erstickt wie gemarterte Seelen.

Die Argonaute schien sich langsam nach vorn zu schieben, als ob ihr Kluverbaum den Bugsprit der Trojan beruhren wolle. Mit dem Windvorteil auf seiner Seite wurde Pears moglicherweise abfallen, mehr Segel setzen und versuchen, des Gegners Heck zu kreuzen.

Schon horte er Cairns Stimme durch das Sprachrohr:»Enter auf! Bramsegel los!»