Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik, стр. 53

XIII Die Vorwande fallen

«Der Kommandant, Sir!«Das Flustern des Bootsmannsmaaten klang in der Stille des Morgengrauens unnaturlich laut.

Bolitho wandte sich um und sah Pears machtige Gestalt zum Kompa? gehen. Er sagte etwas Unverstandliches zu Sambell, dem Steuermannsmaaten, und trat dann an die Querreling.

Bolitho schwieg wohlweislich. Es war fruher Morgen, und wahrend die Trojan unter Bramsegeln und Au?enkluver stetig ihrem

Sudkurs folgte, war es, als ware sie noch immer mitten in einem tropischen Regengu?. Er war mit ungeheurer Heftigkeit uber sie hereingebrochen, war aus dem Dunkel mit lautem Rauschen und Prasseln gekommen, uber Segel und Decks hinweggebraust wie ein Sturm und dann wieder in der Dunkelheit verschwunden. Jetzt, fast eine volle Stunde spater, lief und platscherte das Wasser noch immer aus der Takelage, flo? uber die Decks in Wassergange und Speigatten. Nach Sonnenaufgang wurde es eine derartige Dampfentwicklung geben, da? sie aussehen mu?ten, als stunden sie in Brand, dachte Bolitho.

Aber Pears wu?te das alles selbst, es bestand keinerlei Grund, es ihm zu sagen. Er hatte so viele Morgendammerungen auf so vielen Meeren erlebt, da? er nicht von einem Leutnant darauf hingewiesen werden mu?te.

Es war noch dunkel im Batteriedeck, aber Bolitho wu?te, da? jedes Geschutz besetzt war, klar zum sofortigen Einsatz. Es verursachte ihm ein unheimliches Gefuhl, dieses gro?e, kampfbereite Schiff, das lautlos wie ein Schatten durch die Dunkelheit glitt. Nichts verriet seine Anwesenheit als ein gelegentliches Klatschen der Segel oder ein Knarren des Rades beim Ruderlegen.

Irgendwo dort vorn lag ihr Ziel, die kleine, entlegene Insel, auf der Coutts so viel zu finden hoffte — oder vielmehr zu finden beabsichtigte. Die Isla San Bernardo war nicht mehr als ein Punkt auf Erasmus Bunces Seekarte. Es hie?, dieses Eiland sei die letzte Zuflucht eines Monchsordens gewesen, der sich vor mehr als hundert Jahren dort niedergelassen habe. Bunce hatte bissig bemerkt, die Monche seien wohl nur durch Zufall gelandet oder in der irrigen Annahme, da? es sich um eine der Hauptinseln handele. Das schien leicht moglich, dachte Bolitho, denn die Passage zwischen Santo Domingo und Puerto Rico war uber neunzig Meilen breit, fast ein Ozean fur ein kleines Fahrzeug mit unerfahrener Besatzung. Die Monche waren langst in Vergessenheit geraten, umgebracht von Piraten oder ausgesetzten Gefangenen.

Die Spite lag jetzt dort und blockierte den Hafen. Cunningham rieb sich wohl die Hande und sah im Geiste schon den Artikel in der Gazette, in dem er lobend erwahnt wurde.

Bolitho horte Pears naher kommen und sagte:»Der Wind ist stetig Nord zu West, Sir. «Er wartete und spurte des Kommandanten Sorgen und Zweifel.

Pears murmelte:»Danke, Mr. Bolitho. Wir werden gleich genugend Tageslicht haben, um unseren Weg in die Einfahrt zu finden. «Dann blickte er nach oben zu den gro?en, fahlen Rechtecken der Segel und den allmahlich verblassenden Sternen.

Bolitho folgte seinem Blick und malte sich Pears Gefuhle aus, die druckende Verantwortung, die Unsicherheit. Ein Scheitern des Unternehmens wurde in jedem Falle zu seinen Lasten gehen. So ganz konnte er sich nicht in Pears Lage versetzen, Cairns, der jetzt ebenfalls an Deck auftauchte, konnte das wohl besser, aber der wurde das Schiff bald verlassen. Ob das ihn selbst dem Kommandanten naherbrachte? Er bezweifelte es.

Cairns trat jetzt zu ihnen, begru?te sie in seiner ublichen ruhigen Art, und sagte:»Ich war gerade im unteren Batteriedeck, dort fehlen noch einige Leute. Aber ich glaube nicht, da? wir heute gegen eine ganze Flotte kampfen mussen.»

Bolitho erinnerte sich an Coutts Erregung anla?lich eines einzelnen Schoners und mu?te lacheln. Er sagte:»Mit Hilfe der Spite werden wir uns bewahren, hoffe ich.»

Pears wandte sich in plotzlichem Arger ihm zu.»Entern Sie auf, Mr. Bolitho! Oben im Krahennest konnen Sie Ihre Witze anbringen. Melden Sie alles, was Sie sehen!«Und dann, im weggehen:»Wenn Ihnen nicht wieder schlecht wird, wie sonst im Topp.»

Sein Spott wurde vom Ruderganger und von der Geschutzbedienung auf dem Achterdeck gehort. Bolitho war uberrascht und verwirrt uber diesen Ausbruch, und er sah, wie sich einer der Seeleute umwandte, um sein Grinsen zu verbergen.

Cairns jedoch sagte ruhig:»Daran konnen Sie ermessen, wie ihm selbst zumute ist, Dick.»

Diese einfache Bemerkung gab Bolitho sein seelisches Gleichgewicht wieder, wahrend er die Wanten zum Gro?topp aufenterte. Seine Emporung uber Pears Worte trieb ihn ohne den geringsten Schwindelfanfall bis zur Bramstenge, und als er ein wenig atemlos oben beim Ausguck ankam, merkte er, da? er es bedeutend schneller geschafft hatte als sonst.

Der Seemann im Ausguckskorb bemerkte seelenruhig:»Es wird bald hell werden, Sir. Ein schoner Tag, glaube ich.»

Bolitho erkannte ihn. Es war ein alterer Toppsgast namens Buller,»alter «nach Marinema?stab, das hei?t, etwa drei?ig. So gp-gerbt wie er war von Wind, See und Sonne, ausgemergelt von den zahllosen Kampfen mit wildgewordenem Segeltuch, die Muskeln beansprucht bis zum au?ersten, wurde man ihn wohl bald zu einer weniger harten Arbeit unten an Deck abstellen.

Das Wichtigste schien Bolitho, da? der Mann nicht im geringsten beunruhigt war, weder durch die betrachtliche Hohe noch durch das unerwartete Auftauchen seines Zweiten Offiziers.

Er dachte an das Grinsen des Seemannes unten an Deck, auch das erschien ihm plotzlich wichtig. Es war ohne jede Bosheit oder Schadenfreude gewesen.

Bolitho erwiderte schlie?lich:»Auf jeden Fall wird es hei? werden. «Er deutete am Fockmast vorbei nach vorn.»Kennen Sie diese Gewasser, Buller?»

Der Mann uberlegte.»Weder ja noch nein, Sir. Gewesen bin ich hier schon, aber ein Ort sieht fur einen Seemann aus wie der andere. «Er lachte.»Au?er wenn er an Land geht, naturlich.»

Bolitho dachte an das Bordell in New York, an die Frau, die ihm Obszonitaten ins Gesicht geschrien hatte, an die noch warme Brust des toten Madchens.

Ein Ort war wie der andere. Das mochte stimmen, auch fur die Matrosen der Handelsschiffe. Jede Reise war immer die letzte, man wollte nur noch so viel Heuer und Prisengeld verdienen, da? es zum Kauf der Hafenkneipe, des Kramerladens oder des Hauschens reichte. Aber es kam nie dazu, au?er wenn der Mann als Kruppel an Land gesetzt wurde. Die See gewann am Ende immer.

Die Nock der Fockmarsrah wurde allmahlich blasser, und als Bo-litho sich umwandte, sah er die ersten Anzeichen des nahenden Tages. Er blickte hinunter und schluckte. Das Deck schien eine Meile unter seinen baumelnden Beinen zu liegen, umgeben von dem Kranz der dunkel starrenden Geschutze. Er mu?te es einfach beherrschen. Die Angst vor gro?en Hohen hatte ihn geplagt, seit er mit zwolf Jahren sein erstes Schiff bestiegen hatte. Es war nicht anzunehmen, da? sie sich jetzt noch legen wurde.

Bolitho fuhlte den Mast und die Rahen unter sich vibrieren und schwanken. Er war 1768 als Kadett zur See gegangen, in dem Jahr, als die Trojan vom Stapel lief. Er hatte schon fruher daran gedacht, aber heute morgen, hier oben in der seltsamen Isolation, erschien es ihm wie ein boses Omen, wie eine Warnung. Er frostelte. Allmahlich wurde er noch genauso angstlich wie Quinn.

Auf dem nassen Achterdeck, nichts ahnend von den Phantasien seines Zweiten Offiziers, ging Pears auf und ab.

Cairns beobachtete ihn, und achtern auf dem Heckaufbau stand d'Esterre mit verschrankten Armen, dachte wohl an Fort Exeter und seine toten Marineinfanteristen.

Eine Tur ging auf und wieder zu, Stimmen auf dem Achterdeck verkundeten des Admirals Ankunft. Hinter ihm kam Ackerman, sein Flaggleutnant; selbst in der schwachen Beleuchtung wirkte Coutts munter und hellwach.

Am Ruder blieb er stehen und sprach mit Bunce, nickte Cairns zu und sagte:»Guten Morgen, Kapitan. Alles klar?»