Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik, стр. 33

VIII Fort Exeter

Die Landung um ein Uhr nachts verlief ohne Zwischenfalle. Ein gunstiger Wind ermoglichte es der Korvette, bis dicht unter Land zu segeln, wo sie ankerte. Dann wurde mit der Ausschiffung der Truppen begonnen, als sei es ein Ubungsmanover in Friedenszeiten.

Major Paget fuhr mit dem ersten Boot an Land, und als Bolitho schlie?lich auf den nassen Strand watete, bewunderte er seine geschickte Planung. Er hatte zwei Kanadier mitgebracht, wild aussehende, bartige Manner in grober Trapperkleidung und nach Fellen riechend, von denen er behauptete, sie seien besser als jeder Spurhund.

Einer der beiden, ein traurig dreinblickender Schotte namens Macdonald, hatte fruher einige Jahre in South Carolina gelebt, bis er nach der Niederlage der Loyalisten von seinem Grund und Boden vertrieben worden war. Er erinnerte Bolitho an den einfallsreichen Moffitt.

Paget gru?te Bolitho mit der ihm eigenen Abruptheit.»Alles ruhig. Ich will unsere Leute in Stellung bringen, bevor es hell wird. Wir geben hier Verpflegung und Wasser aus. «Dann musterte er den sternenklaren Himmel und knurrte:»Zu verdammt hei? fur meinen Geschmack.»

Stockdale krachzte:»Mr. Couzens kommt mit der letzten Gruppe, Sir.»

«Gut. «Bolitho beobachtete Probyn, der aus einem dunklen Gebusch stolperte und nach allen Richtungen wie ein Fuchs witterte.»Alles an Land, Sir!»

Hinter ihnen stapften die Seesoldaten vorbei, die Waffen sorgsam verhullt, wie die stummen Gespenster einer langst vergessenen Schlacht.

Probyn lie? sich vernehmen:»Wenn man bedenkt — hier stehen wir jetzt, Meilen von unserem Schiff entfernt, und marschieren wer wei? in was hinein… Wofur?»

Bolitho lachelte. Er hatte dasselbe gedacht. Die Seesoldaten schienen an Land genauso zu Hause zu sein wie an Bord, aber er spurte die Vorsicht der Seeleute und ihre Neigung, dicht zusammenzubleiben, als wurden sie bereits bedroht.

D'Esterre erschien von irgendwoher und zeigte grinsend die Zahne.»Geh zur Marine, und du siehst die Welt, Dick!«Damit lief er weiter, um seinen Leutnant zu suchen, den Sabel wie einen Spazierstock schwingend.

Bolitho blickte hinunter zum Strand, der in der Dunkelheit schwach heraufschimmerte. Die Boote waren schon weg, und er meinte, die Gerausche des Segelsetzens horen zu konnen. Dann wurde ihm bewu?t: an dieser unbekannten Kuste waren sie nur auf die Geschicklichkeit zweier kanadischer Spaher angewiesen, die Paget sich von der Armee» entliehen «hatte.

Wenn sie nun schon belauert wurden? Wenn ihr Vormarsch in einen vorbereiteten Hinterhalt hineinfuhrte? Doch die Nacht blieb bis auf das Sauseln des Windes in den Baumen und den gelegentlichen Schrei eines aufgeschreckten Vogels still. Selbst der Wind klang hier anders, was nicht verwunderlich war, dachte Bolitho, als er die seltsamen Palmen betrachtete, die bis fast zum Wasser hinunter wuchsen und dem Land ein fremdartiges, tropisches Aussehen verliehen.

Leutnant Raye von den Marineinfanteristen der Trojan marschierte aus der Dunkelheit heran und meinte frohlich:»Ah, hier sind Sie. Der Major la?t Ihnen sagen, Sie sollen mit der Nachhut folgen, Mr. Bolitho. Stellen Sie sicher, da? die Leute mit Ihren Leitern und sonstigem Gerat nicht aufeinanderprallen. «Er gru?te Probyn und sagte:»Sie mochten mit zur Hauptgruppe kommen,

Sir.»

Probyn nickte und knurrte:»Verdammte Stoppelhopser, das sind wir jetzt, nichts anderes!»

Bolitho trat beiseite und lie? die Seeleute vorbeiziehen. Einige trugen Sturmgerat, andere Gewehre und Munition. Der Rest war beladen mit Proviant und Wasser.

Leutnant Quinn ging ganz hinten, flankiert in einigem Abstand von undeutlichen Gestalten, den Scharfschutzen der Marineinfanterie, die ihren Marsch sicherten.

Bolitho fiel etwas zuruck, bis er mit Quinn gleichauf war, und fragte:»Was macht die Wunde, James?»

«Ich spure sie nicht sehr. «Quinns Stimme klang zittrig.»Aber ich wollte, wir waren an Bord und nicht hier.»

Bolitho fiel ein, da? er vor dem letzten Einsatz fast dasselbe gesagt hatte. D'Esterre und Thorndike, der Arzt, hatten damals unter einer Lampe Karten gespielt, alle anderen schliefen schon.

Quinn fuhr fort:»Ich habe Angst vor meinen Reaktionen, wenn es wieder zum Kampf Mann gegen Mann kommt. «Und dann fugte er beinahe flehend hinzu:»Ich furchte, das kann ich nicht aushaken!»

«Nur die Ruhe, James, sieh keine Gespenster, bevor es wirklich soweit ist.»

Er wu?te genau, wie Quinn zumute war. Dasselbe hatte auch er empfunden, damals nach seiner Verwundung. Fur Quinn war es schlimmer, denn er war davor noch nie im Einsatz gewesen.

Quinn schien nicht zu horen.

«Ich denke viel an Sparke, wie er tobte und raste. Ich mochte ihn nie richtig, aber ich bewunderte seinen Mut, seinen. «Er suchte nach Worten.»Seinen Stil.»

Bolitho griff zu, als ein Seemann mit seiner Ladung Gewehre uber eine Wurzel stolperte und beinahe gesturzt ware.»Stil«, ja das beschrieb Sparkes Art am besten.

Quinn seufzte.»Ich konnte niemals tun, was er getan hat. Nicht in tausend Jahren.»

Plotzlich ertonte ein dumpfes Gerausch' einer der Soldaten stie? gerade zum zweiten Mal mit dem Gewehrkolben in ein Gestrupp.

«Schlange!«Er wischte sich das Gesicht ab.»Verdammtes Biest, das hat uns gerade noch gefehlt!»

Bolitho sah plotzlich Cornwall im Juli vor sich: Heckenrosen, saftige Wiesen und Felder, uber die Hange Schafe und Kuhe verstreut. Er konnte das Land beinahe riechen, konnte das Summen der Bienen horen, das Hacken der Farmarbeiter auf den Feldern.

Fahnrich Couzens sagte keuchend:»Der Himmel wird heller,

Sir!»

Bolitho erwiderte:»Dann mussen wir bald am Ziel sein.»

Aber was, wenn sie statt eines gunstigen Verstecks, wie es Macdonald, der Kanadier, versprochen hatte, ein Lager des Feindes vorfanden?

Die Nachhut stie? bereits auf den Haupttrupp, wo Pagets Unteroffiziere die Leute in kleinere Gruppen aufteilten. Man sah die wei?en Kreuzgurtel und die karierten Hemden gehorsam in die jeweils zugewiesene Richtung verschwinden.

Im Mittelpunkt der flachen, bewaldeten Senke fanden sich die Offiziere zusammen und erwarteten ihre Weisungen.

Bolitho fuhlte sich ungewohnlich mude und konnte nur mit Muhe ein Gahnen unterdrucken. Sein Kopf war jedoch vollig klar, und er vermutete, da? das Gahnen ein Zeichen von Anspannung war. Er hatte das fruher schon erlebt, zu oft schon.

Major Paget, noch immer sehr aufrecht und ohne das geringste Anzeichen von Ermudung, sagte:»Bleiben Sie bei Ihren Leuten, lassen Sie die Rationen ausgeben, aber passen Sie auf, da? nichts vergeudet wird und da? kein Abfall zuruckbleibt. Er blickte d'Esterre bedeutsam an.»Sie wissen, was Sie zu tun haben. Uberprufen Sie alles, verdoppeln Sie die Wachen und scharfen Sie ihnen ein, da? sie in Deckung bleiben. «Zu Probyn sagte er:»Sie ubernehmen naturlich hier das Kommando. Aber ich brauche einen Offizier, der mich begleitet.»

Probyn seufzte.»Gehen Sie mit, Bolitho. Wenn ich Quinn schik-ke, wird der Major ihn zum Fruhstuck verspeisen!»

Bolitho meldete sich bei Paget, nachdem die anderen in der Dammerung verschwunden waren. Er nahm statt Stockdale Cou-zens mit. In einem Kampf oder Sturm auf See war Stockdale unschlagbar, aber behutsames Schleichen durch unbekanntes Gelande war nicht seine Starke.

Couzens sprudelte vor Aufregung. Bolitho hatte dergleichen noch nie erlebt. Den Jungen schien all das Schreckliche, das er sah und horte, nicht im geringsten zu beeindrucken, er schuttelte es mit der Elastizitat der Jugend ab.

Major Paget trank aus einer silbernen Feldflasche und reichte sie dann herum. Bolitho stockte der Atem, als der starke Brandy uber seine Zunge flo?. Couzens dagegen leckte sich die Lippen.»Danke, Sir, das schmeckte himmlisch!»

Paget blickte Bolitho an und rief aus:»„Himmlisch!" In Dreiteufelsnamen, was fur eine Marine ist das?»