Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio, стр. 74

Er erwog Jurys Frage und uberlegte auch, was Dumaresq sagen wurde, wenn er zuruckkam. Eigenartig, dieser Dumaresq: Tod war fur ihn gleich Niederlage, und beides gab es fur ihn nicht.

Bolitho sagte leise:»So durfen Sie nicht fragen. Ich habe einiges gelernt und lerne immer noch dazu. Das Schiff kommt zuerst. Aber lassen Sie uns an die Arbeit gehen, anderenfalls wird unser >Herr und Meisten einige unfreundliche Worte fur uns alle finden.»

Uberrascht schaute er auf den Sabel, den er immer noch in der Hand hielt.

Vielleicht hatte da Rhodes Jurys Frage fur ihn beantwortet?

Epilog

Bolitho druckte seinen Hut fester und blickte zu dem gro?en grauen Haus empor. Von See blies ein kraftiger Wind, und der Regen, der ihm ins Gesicht klatschte, fuhlte sich an wie Eisnadeln. So viele Monate, so langes Warten, und nun war er wieder zu Hause. Die Fahrt nach Falmouth, nachdem die Destiny in Plymouth geankert hatte, war lang und beschwerlich gewesen. Die Stra?en waren ausgefahren, und der hochspritzende Matsch hatte die Fenster der Kutsche so verdreckt, da? es Bolitho schwergefallen war, einzelne Orte, die ihm seit seiner Kindheit vertraut waren, wiederzuerkennen.

Und nun, am Ziel, schien ihm alles unwirklich und — aus Grunden, die er selbst nicht erklaren konnte — fur ihn verloren.

Nur das Haus war unverandert und sah aus wie vor einem Jahr.

Stockdale, der ihn von Plymouth begleitet hatte, trat unruhig von einem Fu? auf den anderen.

«Sind Sie sicher, da? es richtig war, mich mitzunehmen, Sir?»

Bolitho sah ihn an. Es war Dumaresqs letzte Geste gewesen, bevor er die Destiny der Schiffswerft zur grundlichen Uberholung ubergeben hatte und von Bord gegangen war:»Nehmen Sie Stockdale mit. Sie werden bald ein neues Kommando bekommen. Behalten Sie ihn bei sich, er ist ein brauchbarer Kerl.»

Bolitho antwortete ruhig:»Sie sind hier willkommen und werden es bald merken.»

Er schritt die ausgetretenen Stufen hinauf und sah, wie die zweiflug-lige Tur sich nach innen offnete. Es uberraschte ihn nicht, denn er hatte schon gespurte, da? das ganze Haus ihn wahrend der letzten Augenblicke schweigend beobachtet hatte.

Aber es war nicht die alte Mrs. Tremayne, ihre langjahrige Haushalterin, die ihn begru?te, sondern ein junges Hausmadchen, das er nicht kannte.

Sie knickste und errotete dabei:»Willkommen, Sir. «Fast im gleichen Atemzug setzte sie hinzu:»Kapt'n James erwartet Sie, Sir.»

Bolitho trat den Schmutz von seinen Schuhen und ubergab dem Madchen Hut und Bootsmantel.

Er schritt durch die getafelte Eingangshalle in den gro?en Raum, den er so gut kannte. Da war das Kaminfeuer, munter prasselnd, als wolle es den Winter bezwingen; auf dem Sims schimmerte Zinngeschirr, und uber allem hing ein Geruch, der — vermischt mit leichten Kuchenduften — Geborgenheit ausstrahlte.

Kapitan James Bolitho loste sich vom Kamin und legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter.»Mein Gott, Richard, ich habe dich zuletzt als mageres Burschchen in Kadettenuniform gesehen, und nun bist du als Mann zuruckgekehrt.»

Bolitho war besturzt uber das schlechte Aussehen seines Vaters. Er war zwar darauf vorbereitet, da? ihm ein Arm fehlte, aber sein Vater hatte sich unglaublich verandert. Sein Haar war grau, die Augen lagen tief in den Hohlen. Wegen seines hochgesteckten leeren Armels hielt er sich eigenartig. Bolitho hatte diese Haltung auch bei anderen verkruppelten Seeleuten gesehen. Vielleicht furchteten sie, da? jemand gegen die Stelle sto?en konnte, wo einmal der Arm gewesen war.

«Setz dich, mein Junge. «Er betrachtete Bolitho so genau, als befurchte er, etwas zu ubersehen.»Das ist aber eine schreckliche Narbe da auf deiner Stirn. Du mu?t mir davon erzahlen. «Aber es lag keine Bewegung in seiner Stimme.»Wer ist der Riese, mit dem ich dich kommen sah?»

Bolitho packte die Armlehnen seines Stuhls.»Ein Mann namens Stockdale. «Er wurde sich plotzlich der Stille im Haus bewu?t und fragte:»Vater, ist etwas nicht in Ordnung?»

Sein Vater ging zu einem Fenster und starrte blicklos durch das regennasse Glas.

«Ich habe es dir selbstverstandlich geschrieben. Die Briefe werden dich eines Tages erreichen. «Er wandte sich heftig um.»Deine Mutter ist vor einem Monat gestorben, Richard.»

Bolitho sah ihn entsetzt an, unfahig, sich zu bewegen, es zu begreifen.»Gestorben?»

«Sie war nur kurze Zeit krank. Ein heftiges Fieber. Wir taten alles, was wir konnten.»

Bolitho sagte leise:»Ich glaube, ich habe es geahnt. Gerade eben, vor dem Haus. Sie hat ihm immer das Licht gegeben.»

Tot. Er hatte sich uberlegt, was er ihr sagen wollte, wie er ihre Sorgen wegen seiner Verwundung zerstreuen konnte.

Wie aus weiter Ferne sagte sein Vater:»Dein Schiff wurde uns schon vor einigen Tagen gemeldet.»

«Ja. Aber dann kam Nebel auf. Wir mu?ten drau?en ankern.»

Er sah plotzlich die Gesichter der Destiny vor sich, die er verlassen hatte. Wie sehr er sie in diesem Augenblick gebraucht hatte: Duma-resq, der zur Admiralitat gefahren war, um den Verlust des Schatzes zu erklaren oder dafur begluckwunscht zu werden, da? er ihn dem Feind entzogen hatte. Palliser, der das Kommando uber eine in Spithead liegende Brigg bekommen hatte. Der junge Jury, dessen Stimme ubergekippt war, als sie einander zum letztenmal die Hande geschuttelt hatten.

«Ich habe von euren Unternehmungen gehort. Dumaresq scheint sich einen Namen gemacht zu haben. Ich hoffe wenigstens, da? die Admiralitat es so sieht. Dein Bruder ist auf See.»

Bolitho versuchte, seine Gefuhle zu beherrschen. Worte, nur Worte. Er wu?te, da? sein Vater so war:»Haltung. «Es war immer eine Frage der» Haltung «fur ihn, zuerst und vor allem.

«Ist Nancy zu Hause?»

Sein Vater sah ihn kuhl an.»Auch das kannst du nicht wissen: Deine Schwester hat den jungen Lewis Roxby, den Sohn des Squires, geheiratet. Deine Mutter sagte, das sei die beste Losung nach der anderen Geschichte. «Er seufzte:»So ist das also.»

Bolitho lehnte sich im Stuhl zuruck und pre?te die Schultern gegen das geschnitzte Eichenholz, um seinen Schmerz zu bandigen.

Sein Vater hatte die See verloren, und jetzt war er auch noch allein in diesem gro?en Haus mit der Aussicht auf die Hange von Pendennis Castle und auf das Kommen und Gehen auf der Reede von Car-rick. Alles eine standige Erinnerung an das, was er verloren hatte, was ihm genommen worden war.

Er sagte vorsichtig:»Die Destiny ist au?er Dienst gestellt, Vater. Ich kann bleiben.»

Es war, als hatte er einen furchtbaren Fluch ausgesto?en. Captain James marschierte vom Fenster auf ihn zu und blickte auf ihn herab.

«Das will ich nicht horen! Du bist mein Sohn und ein Offizier des Konigs. Seit Generationen sind wir von diesem Hause ausgezogen, und einige sind niemals zuruckgekommen. Es liegt Krieg in der Luft, da werden alle unsere Sohne gebraucht. «Er machte eine Pause und setzte dann sanft hinzu:»Vor zwei Tagen kam ein Bote: Ein neues Kommando wartet auf dich.»

Bolitho stand auf und ging durch den Raum, beruhrte dabei vertraute Dinge, ohne es zu spuren.

Sein Vater fuhr fort:»Auf der Trojan, einem Linienschiff mit achtzig Kanonen. Wenn sie das Schiff in Dienst stellen, mu? Krieg vor der Tur stehen.»

«Sicherlich.»

Keine schlanke Fregatte, sondern ein dickes Linienschiff. Eine neue Welt, die zu erkunden und zu meistern war. Vielleicht war es ganz gut so. Etwas, das ihn ausfullte, ihn in Bewegung hielt, bis er alles verarbeitet hatte, was geschehen war.

«Nun sollten wir ein Glas zusammen trinken, Richard. Klingle nach dem Madchen. Du mu?t mir alles berichten. Vom Schiff, von den Menschen, alles. Das ist das einzige, was ich noch habe: Erinnerungen.»

Bolitho sagte:»Gut, Vater. Es ist ein Jahr her, da? ich nach Plymouth auf die Destiny unter Kapitan Dumaresq kam…»