Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio, стр. 37

IX Pallisers List

Bolitho fuhlte, da? der Druck auf sein Ruckgrat zunahm, da sich das Gewicht der Trummer durch die Schiffsbewegung verlagert hatte. Irgendwo oben horte er Metall uber Holz scheuern, als hatte sich eine Kanone losgerissen und rutsche auf dem Deck herum. Die Schlagseite hatte zugenommen, und das Wasser schlug immer hoher gegen die Bordwand, weil das Schiff tiefer und tiefer sackte.

Oben fielen nur noch gelegentlich Schusse; es schien, als hielten die Gegner sich fern und warteten ab, bis die See ihr Werk vollendet hatte.

Langsam, aber mit wachsender Verzweiflung versuchte Bolitho, sich aus dem Trummerhaufen zu befreien. Er horte sich achzen und stohnen und sinnlose Worte aussto?en, als er mit allen Gliedma?en zerrte und strampelte, um der Falle zu entkommen.

Es war nutzlos. Er erreichte nur, da? die abgebrochenen Spieren verrutschten und eine fast seinen Kopf aufgespie?t hatte. Panik ergriff ihn, als er au?er weiteren Musketenschussen horte, wie ein Boot bemannt und heisere Befehle gegeben wurden. Er ballte die Fauste und druckte das Gesicht gegen die Decksbalken, um zu verhindern, da? er verzweifelte Schreie ausstie?. Das Schiff sank nun schnell, und Palliser hatte offenbar befohlen, es zu verlassen.

Bolitho versuchte, klar zu denken und sich damit abzufinden, da? seine Kameraden nur taten, was getan werden mu?te. Jetzt blieb keine Zeit mehr fur Gefuhle oder eine nutzlose Geste. Er war ebenso tot wie die anderen, die in der Hitze des Gefechts gefallen waren.

Doch plotzlich horte er Stimmen. Jemand rief seinen Namen. Schmale Lichtkegel drangen durch das Gewirr der Trummer, und als es einen neuen Ruck darin gab, schrie Bolitho:»Zuruck! Rettet euch lieber!»

Er war uber seine Worte und die Kraft seiner Stimme selber erschrocken. Mehr als alles andere hatte er uberleben wollen — bis zu dem Augenblick, da jemand anderer sein Leben fur ihn riskierte. Stockdales heisere Stimme befahl:»Hier, hebt diese Spiere an!«Jemand anderer sagte zweifelnd:»Zu spat, wie's scheint, Kamerad. Wir gehen am besten zuruck.»

Stockdale krachzte:»Hebt an, wie ich's gesagt habe! Nun zusammen, Jungs, zu — gleich!»

Bolitho schrie auf, als der Schmerz in seinem Rucken starker wurde. Er erkannte Fu?e, die sich auf der anderen Seite des Trummerbergs bewegten, und sah Jury auf dem Boden knien und durch eine Lucke nach ihm ausspahen.

«Nicht mehr lange, Sir. «Jury zitterte vor Angst, versuchte aber, gleichzeitig zu lacheln.»Halten Sie aus!»

So plotzlich, wie sie ihn niedergeschlagen hatte, wurde die ganze Last aus zerbrochenen Stengen und gesplitterten Decksbalken angehoben. Ein Mann ergriff Bolithos Fu?knochel und zog ihn energisch das schrage Deck hinauf. Stockdale schien mittlerweile den ganzen Berg von Trummern allein hochzuhalten.

Jury keuchte:»Schnell!«Er ware gesturzt, wenn ein Matrose ihn nicht mit schnellem Zugriff gehalten hatte. Dann schwankten sie alle wie Betrunkene zum nachsten Luk und nach oben.

Als sie schlie?lich das Oberdeck erreichten, verga? Bolitho seine Schmerzen und die Augenblicke nackter Verzweiflung. Im zunehmenden Tageslicht sah er, da? die Heloise ein hilfloses Wrack war; ihr vorderer Mast war verschwunden, der hintere nur noch ein gezackter Stumpf. Gebrochene Stengen, zerrissene Segel und ein wirres Durcheinander herabgefallenen Tauwerks vervollstandigten die totale Verwustung.

Und wie zur Bestatigung bemerkte Bolitho, da? beide Boote schon bemannt waren und sich von dem sinkenden Schiff freihielten. Das nahere lag schon hoher als die Leeseite der Heloise.

Palliser stand im Kutter und wies einige seiner Leute an, ihre Musketen auf einen der beiden Schoner zu richten. Die sinkende Brigantine wirkte als Barrikade, sie stand als einziger Schutz zwischen ihnen und dem Feind und verhinderte, da? er direkt auf sie losfuhr und den einseitigen Kampf beendete.

Stockdale grunzte:»Uber Bord, Jungs!»

Noch leicht benommen sah Bolitho, da? unter den Leuten, die zuruckgekommen waren, um ihn zu retten, auch Olsson war, der verruckte Schwede, und einer der Landarbeiter, die sich bei seinem Rekrutierungskommando in Plymouth freiwillig gemeldet hatten.

Jury zog sich die Schuhe aus und steckte sie unter sein Hemd. Er schaute ins Wasser, das schon uber das Schanzkleid schlug, und sagte:»Wir haben ein schones Stuck zu schwimmen.»

Bolitho zuckte zusammen, als eine Musketenkugel neben ihm ins Deck schlug und einen Splitter von der Gro?e eines Federkiels abloste.

«Jetzt oder nie!«Er sah, wie die See in einen Niedergang schlug und einen der Leichname in wildem Tanz herumwirbelte. Der Vorsteven war bereits unter die Wasseroberflache gesackt. Den schnaufenden und taumelnden Stockdale zwischen sich, sprangen Bolitho und Jury ins Wasser. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis sie das nachste Boot erreichten; dort durften sie sich neben einigen anderen Leuten ans Dollbord hangen, da das Boot voll besetzt war. Dabei mu?ten sie versuchen, die Manner an den Riemen nicht zu behindern, die zur entmasteten Rosario pullten.

Die meisten Leute um ihn herum waren Bolitho fremd; er nahm an, da? es freigelassene Gefangene waren. Ein Wunder, da? Olsson, der so brutal aussah, sie nicht ihrem Schicksal auf dem sinkenden Schiff uberlassen hatte.

Dann plotzlich erhob sich die Bordwand der Brigg uber ihnen. Es war nur ein kleines Schiff, aber vom Wasser aus schien sie Bolitho, der sich an eine ihm zugeworfene Leine klammerte, so gro? wie eine Fregatte.

Schlie?lich waren sie alle an Deck geklettert, gezogen oder geschoben und standen der Besatzung der Brigg gegenuber, die sie anstarrte, als seien sie dem Meer selbst entstiegen.

Palliser lie? niemanden im Zweifel, wer das Kommando fuhrte:»Little, bringen Sie die Gefangen nach unten und schlie?en Sie sie ein. Pearse, Sie schauen nach, ob sich ein Notmast aufriggen la?t, jedenfalls irgend etwas, das uns wieder Ruderwirkung geben kann. «Er ging an einigen verschreckten und blutenden Leuten entlang und fuhr sie an:»Ladet sofort die Kanonen, hort ihr! Ihr kommt mir vor wie ein Haufen alter Weiber, verdammt noch mal!»

Ein Mann, der offenbar etwas zu sagen hatte, drangte sich durch die Seeleute und sagte:»Ich bin Kapitan John Mason. Ich wei?, warum Sie hier sind, aber ich danke Gott fur Ihr Kommen, Sir, obwohl ich befurchte, da? wir den Piraten auch jetzt nicht gewachsen sind.»

Palliser betrachtete ihn kuhl.»Das werden wir sehen. Aber jetzt tun Sie, was ich befehle. Wie Sie und Ihre Leute sich heute auffuhren, wird daruber entscheiden, was mit Ihnen geschieht.»

Der Mann schnappte nach Luft.»Ich verstehe nicht, Sir.»

«Haben Sie einen Passagier namens Jonathan Egmont?»

Bolitho lehnte am Schanzkleid und holte in tiefen Atemzugen Luft, wahrend Wasser aus seiner Kleidung rann und sich mit Blut unter der nachsten Kanone mischte.

«Aye, Sir, aber.»

«Lebt er?»

«Ja. Wenigstens lebte er noch, als ich ihn zuletzt sah. Ich habe meine Passagiere nach unten geschickt, als der Angriff begann.»

Palliser lachelte grimmig.»Ihr Gluck. Und auch meines, denke ich. «Er sah Bolitho und setzte scharf hinzu:»Sorgen Sie fur die Sicherheit Egmonts. Aber sagen Sie ihm nichts. «Er wollte sich einem der beiden Schoner zuwenden, bemerkte aber gerade den letzten Augenblick der Heloise. Mit Gischtfontanen aus ihren Luken sackte sie unter die Wasseroberflache. Palliser sagte:»Bin froh, da? Sie uns erhalten blieben, Mr. Bolitho. Ich hatte schon befohlen, das Schiff zu verlassen.»

Sein Blick ruhte einen Augenblick auf Jury und Stockdale.»Indessen.»

Bolitho wankte einem offenen Luk zu. Seine benommenen Sinne waren noch immer von dem Anblick der hilflos in der Dunung rollenden Rosario gefangen. Die Brigg war schrecklich zugerichtet. Umgesturzte Kanonen, Leichen und Gliedma?en lagen mit den ubrigen Trummern in wildem Durcheinander herum und zeugten von den verzweifelten Anstrengungen, die Angreifer vom Entern abzuhalten.