Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio, стр. 22

Erst wurde ein Segel weggenommen, dann ein anderes, aber als das Schiff im zunehmenden Seegang immer starker stampfte, schickte Dumaresq alle Mann nach oben und lie? samtliches Tuch au?er dem Gro?marssegel bergen, damit die Destiny den Sturm beigedreht abreiten konnte.

Dann — wie um zu beweisen, da? er ebenso freundlich wie bose sein konnte — flaute der Wind ab, und als das Tageslicht zuruckkehrte, war es bald so warm, da? das Schiff im Sonnenschein trocknete und Dampfwolken von den Decks aufstiegen.

Bolitho exerzierte mit der Steuerbordbatterie von Zwolfpfundern, als Jury meldete, da? er wieder voll dienstfahig erklart worden sei und nicht mehr im Krankenrevier schlafen musse.

Bolitho hatte das Gefuhl, da? etwas mit ihm nicht stimmte, war aber entschlossen, sich nicht einzumischen. Er sagte:»Der Kommandant erwartet, da? unser Salut der beste sein wird, den sie in Rio je gehort haben. «Er sah einige der halbnackten Seeleute grinsen und sich die Hande reiben.»Deshalb veranstalten wir jetzt einen kleinen Wettbewerb: erste Division gegen die zweite. Fur die Sieger gibt's eine Extraration Wein. «Er hatte sich dafur schon die Zustimmung des Zahlmeisters geholt.

Codd stie? seine gro?en Schneidezahne wie den Schnabel einer Galeere vor und stimmte frohlich zu:»Wenn Sie bezahlen, Mr. Bolitho? Alles, wenn Sie zahlen!«Little rief:»Wir sind bereit, Sir.»

Bolitho wandte sich zu Jury um.»Sie konnen die Zeit nehmen. Die Division, die ihre Kanonen als erste ausgerannt hat, und zwar zweimal bei drei Durchgangen, bekommt den Preis.»

Er wu?te, da? die Manner schon ungeduldig wurden und mit Handspaken und Taljen hantierten, als bereiteten sie sich auf ein Gefecht vor.

Jury versuchte, Bolithos Blick aufzufangen.»Ich habe keine Uhr,

Sir.»

Bolitho starrte ihn an und bemerkte gleichzeitig, da? der Kommandant und Palliser an der Achterdecksreling standen, um dem Wettkampf der Leute zuzuschauen.

«Sie haben sie verloren? Die Uhr Ihres Vaters?«Er erinnerte sich, wie stolz Jury auf sie gewesen war und wie traurig, als er sie ihm am vorherigen Abend gezeigt hatte.»Erzahlen Sie, wie das kam.»

Jury schuttelte unglucklich den Kopf.»Sie ist weg, Sir. Mehr wei? ich nicht.»

Bolitho legte Jury die Hand auf die Schulter.»Warten Sie ab, ich werde mich der Sache annehmen. «Er zog seine eigene Uhr, ein Geschenk seines Vaters.»Nehmen Sie meine.»

Stockdale, der an einer der Kanonen kauerte, hatte alles mitangehort und dabei die Gesichter ringsum studiert. Er hatte noch nie eine Uhr besessen und wurde auch kaum je eine besitzen, aber irgendwie begriff er, da? es mit dieser etwas Besonderes auf sich hatte. In der engen Gemeinschaft einer Schiffsbesatzung war ein Dieb gefahrlich. Seeleute besa?en zu wenig, um ein solches Verbrechen ungestraft zu lassen. Am besten fing man den Dieb, bevor Schlimmeres passierte, seinetwegen und im Interesse aller.

Bolitho schwenkte den Arm.»Rennt aus!»

Die zweite Division gewann spielend. Das war zu erwarten gewesen, schimpften die Verlierer, denn ihr gehorten Little und Stockdale an, die beiden starksten Manner an Bord.

Aber als der Wein ausgeteilt war und sie sich mit ihren Bechern im Schatten des Gro?segels ausruhten, wu?te Bolitho, da? zumindest fur Jury der Spa? verdorben war.

Er sagte zu Little:»Lassen Sie die Kanonen wieder festzurren. «Er ging nach achtern. Einige Leute nickten ihm zu, als er an ihnen vorbeikam.

Dumaresq wartete, bis er das Achterdeck erreicht hatte.»Das haben Sie gut gemacht!»

Palliser lachelte bittersu?.»Wenn wir unsere Leute immer mit Wein bestechen mussen, bevor sie die Kanonen bedienen, sind wir bald ein >trockenes< Schiff.»

Bolitho stie? hervor:»Mr. Jurys Uhr ist gestohlen worden, Sir.»

Dumaresq sah ihn ruhig an.»Na und? Was soll ich tun, Mr. Bo-

litho?»

Bolitho bekam einen roten Kopf.»Tut mir leid, Sir. Ich — ich dachte.»

Dumaresq beschattete seine Augen, um drei kleine Vogel zu beobachten, die dicht uber der Wasseroberflache dahinjagten.»Ich kann das Land fast schon riechen. «Er wandte sich wieder Bolitho zu.»Es ist Ihnen gemeldet worden, also kummern Sie sich darum.»

Bolitho beruhrte seinen Hut, als der Kommandant und der Erste Offizier ihren Spaziergang auf der Luvseite des Decks wieder aufnahmen.

Er hatte noch eine Menge zu lernen.

VI Eine Frage der Disziplin

Lediglich unter Marssegeln und Kluver — alle anderen Segel waren aufgegeit — glitt die Destiny langsam uber das tiefblaue Wasser von Rios au?erer Reede. Es war druckend hei? und kaum genug Wind, um mehr als ein leichtes Krauseln unter dem Bug hervorzurufen, doch Bolitho spurte die Aufregung und Neugier an Bord, als sie sich den geschutzten Ankerplatzen naherten.

Selbst der abgebruhteste Seemann konnte nicht abstreiten, da? der Anblick, der sich ihnen bot, majestatisch war. Sie hatten die Kuste aus dem Morgennebel emporwachsen sehen, und nun lag sie ausgebreitet zu beiden Seiten vor ihnen, als wolle sie das Schiff umarmen. So etwas wie Rios gro?en Bergkegel hatte Bolitho noch nie gesehen. Er machte alle anderen zu Zwergen. Und dahinter gab es — verstreut zwischen uppig grunen Waldern — weitere Hugel, die mit ihren steilen Gipfeln wie zu Stein erstarrte Wellen aussahen. Helle Strande, schaumende Brandung, und eingebettet zwischen Hugeln und Meer die Stadt; wei?e Hauser, kantige Turme und nickende Palmen — welch ein Gegensatz zum Englischen Kanal!

An Backbord entdeckte Bolitho die erste Festungsbatterie unter der portugiesischen Flagge, die nur gelegentlich etwas auswehte und dann im harten Sonnenlicht zu erkennen war. Rio war gut befestigt und besa? genugend Batterien, um auch die kuhnsten Angreifer abzuschrecken.

Dumaresq musterte die Stadt und die vor Anker liegenden Schiffe durch ein Fernglas. Er sagte:»Fallen Sie einen Strich ab.«»Kurs West-Nord-West, Sir!»

Palliser schaute auf seinen Kommandanten.»Ein Wachboot nahert sich.»

Dumaresq lachelte knapp.»Der fragt sich bestimmt, was, zum Te u-fel, wir hier wollen.»

Bolitho zupfte sein Hemd von der schwei?nassen Haut ab und beneidete die halbnackten Matrosen, die nicht wie die Offiziere in GalaUniformen schwitzen mu?ten.

Mr. Vallance, der Oberfeuerwerker, musterte bereits die ausgesuchten Geschutzbedienungen, um sicherzustellen, da? beim Flaggensalut nichts schiefging.

Bolitho fragte sich, wie viele unsichtbare Augen wohl die langsame Annaherung der englischen Fregatte beobachteten. Ein Kriegsschiff! Was wollte es? Kam es in friedlicher Absicht oder mit Nachrichten uber einen weiteren Vertragsbruch in Europa?

«Fangen Sie an mit dem Salut!»

Geschutz fur Geschutz krachten die Salutschusse. In der druckenden Luft blieb der Pulverqualm auf dem Wasser liegen und nahm ihnen die Sicht auf das Land.

Das portugiesische Wachboot hatte mit einigen kraftigen Ruderschlagen um seine ganze Lange gedreht. Es sah aus wie ein gro?er Wasserkafer.

Jemand bemerkte:»Er will uns hineinlotsen.»

Die letzte Kanone rollte beim Abschu? zuruck, und die Bedienungen beeilten sich mit dem Auswischen der noch rauchenden Rohre und dem Festzurren jeder Waffe, als endgultiges Zeichen ihrer friedlichen Absicht.

Eine Gestalt auf dem Wachboot schwenkte eine Flagge, und als sich die langen Riemen tropfend aus dem Wasser hoben und so verharrten, bemerkte Dumaresq trocken:»Nicht zu weit hinein, Mr. Palliser. Sie trauen uns noch nicht ganz.»

Palliser hob das Sprachrohr an den Mund:»Klar zum Ankern! An die Brassen, Fallen und Schoten!»

Nach festgelegtem Plan eilten die Matrosen und Maaten auf ihre Stationen.

«Los die Schoten!«Pallisers Stimme scheuchte die Mowen auf, die sich nach den Salutschussen gerade wieder auf dem Wasser niedergelassen hatten.»Gei auf die Marssegel! La? fallen Kluver!»

Dumaresq sagte:»Es ist soweit, Mr. Palliser. Ankern!«»Ruder nach Luv!« [7]

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Im Englischen:»Helm a'lee!«-»Hart nach Lee!«, weil zu der Zeit Ruderkommandos noch auf eine Pinne bezogen wurden, die nach Lee gelegt werden mu?te, wenn das Ruderblatt nach Luv weisen sollte (indirektes Ruderkommando). Um den deutschen Leser nicht zu verwirren, ist hier stets das» direkte «Ruderkommando angegeben (Anm. d. Ubers.).