Strandwolfe: Richard Bolithos gefahrvoller Heimaturlaub, стр. 4

II Die Avenger

Bolitho und Dancer traten durch die Vordertur ein und stampften Schnee und Schlamm von den Stiefeln. Ihre Gesichter und Hande prickelten vor Kalte nach dem scharfen Ritt uber das Vorland. Es hatte fast aufgehort zu schneien; hier und da ragte Ginster oder sonstiges Gestrupp aus dem Schnee wie Seegras aus einer zerrissenen Matratze.

Bolitho bemerkte leise:»Wir haben Besuch, Martyn. «Schon im Hof hatte er die Kutsche gesehen und die beiden prachtigen Pferde, die von Corler und dem Stallknecht betreut wurden. Das Wappen am Wagenschlag hatte er als das Sir Henry Vyvyans erkannt, eines reichen und machtigen Landedelmannes, dessen ausgedehnte Besitzungen etwa zehn Meilen westlich von Falmouth lagen. Au?erdem war er ein hochst geachteter Landvogt.

Sir Henry stand vor dem prasselnden Kaminfeuer und sah Mrs. Tremayne zu, die einen Krug Punsch bereitete. Sie hatte hierfur ihr eigenes Rezept mit sorgfaltig abgestimmten Zugaben von Zucker, Gewurzen und geschlagenem Dotter. Vyvyan war eine eindrucksvolle Erscheinung: gro?, breitschultrig, mit einer machtigen Hakennase. Beherrschend in seinem Gesicht war jedoch eine schwarze Klappe uber dem linken Auge. Von der Stirn uber die Augenhohle bis zum Wangenknochen zog sich eine furchterliche Narbe. Das Auge mu?te wie mit einer riesigen Klaue herausgerissen worden sein. Als Bolitho noch klein war, hatte er vor diesem Mann schreckliche Angst gehabt.

Das unversehrte Auge fixierte jetzt die beiden Fahnriche, dann sagte Vyvyan mit drohnender Stimme:»Freut mich, Sie wiederzusehen, mein Junge, auch Ihren Freund. «Er blickte Bolithos Mutter an, die am Fenster sa?.»Sie mussen stolz auf ihn sein, Madam.»

Bolitho wu?te, da? Vyvyan seine Zeit nicht mit zwecklosen Besuchen vertrodelte. Er galt bei vielen als ratselhaft, obgleich seine schnelle Ahndung von Wegelagerei und Stra?enraub auf seinen Landereien bekannt und allgemein respektiert war. Man sagte, er habe sein Vermogen erworben, indem er Franzosen und Spanier kaperte, andere wiederum deuteten Sklavenhandel und Rumschmuggel an. Vielleicht hatten sie auch alle unrecht, dachte Bolitho.

Seltsam, wie unwirklich ihnen bereits der Tod des Zollbeamten erschien, wahrend sie uber die ausgefahrene Kustenstra?e galoppiert waren. Es war jetzt zwei Nachte her, seit sie mit dem Schwachsinnigen bei der Leiche gestanden hatten. Jetzt, bei blauem Himmel, von dem der Wind die letzten Wolken und somit auch die Schatten von den verschneiten Hangen gefegt hatte, kam ihnen alles nur wie ein boser Traum vor. Vyvyans tiefe Stimme fuhr fort:»Deshalb sagte ich mir, Madam, da Richter Roxby und seine Familie sich in Bath amusieren, da das Militar sich auf unsere Kosten eine schone Zeit macht — wer anderer als ich selbst soll nach Falmouth hinuber und die Muhe und die Verantwortung fur diesen Fall auf sich nehmen? Ich sehe es als meine Pflicht an, zumal der arme Tom Morgan einer meiner Pachter war. Er wohnte am Rand von Helston, ein kraftiger, zuverlassiger Mann. Man wird ihn sehr vermissen, besonders seine Familie.»

Bolitho beobachtete seine Mutter, sah die Erleichterung in ihrem ebenma?igen Gesicht. Sie war froh daruber, da? Sir Henry gekommen war, um Recht und Ordnung wiederherzustellen, den umlaufenden Geruchten den Boden zu entziehen. Bolitho hatte wahrend seines zweitagigen Urlaubs schon eine Menge gehort — Erzahlungen uber Schmuggler, Gruselgeschichten uber Hexerei in einigen der kleinen Fischerdorfer. Offensichtlich war sie auch daruber erleichtert, da? Vyvyan und nicht ihr jungster Sohn die Verantwortung tragen mu?te.

Sir Henry nahm jetzt den Krug kochendhei?en Punsch von Mrs. Tremayne entgegen und sagte anerkennend zu ihr:»Gott soll mich strafen, Madam, aber wenn Mrs. Bolitho nicht eine so gute Freundin ware, wurde ich Sie nach Vyvyan Manor locken. In der ganzen Grafschaft gibt es niemanden, der einen so wunderbaren Punsch brauen kann wie Sie.»

Dancer rausperte sich.»Was sind Ihre Absichten, Sir?«»Alles schon erledigt, mein Sohn. «Er sprach frohlich und beilaufig wie jemand, der gewohnt ist, Entschlusse zu fassen und sofort auszufuhren.»Sobald ich von der Sache horte, schickte ich einen Boten nach Plymouth. Der kommandierende Admiral dort ist ein Freund von mir. «Sein eines Auge blinzelte Dancer zu.»Ich habe gehort, da? Ihre Leute kurzlich gegen das Schmugglerpack vorgegangen sind.»

Bolitho stellte sich den gro?en Zweidecker Gorgon vor, der jetzt in Plymouth mit wahrscheinlich schneebedeckten Decks im Dock lag. Deshalb wurden die Reparaturen sicherlich langer dauern als vorgesehen, so da? Kapitan Conway moglicherweise seinen jungeren Offizieren Urlaubsverlangerung gewahren wurde. Schlie?lich konnten nach dem Auslaufen Jahre vergehen, bis die Gorgon wieder nach England kam.

Vyvyan fugte hinzu:»Der Admiral wird ein Schiff schicken, das sich mit der Angelegenheit befassen soll. Ich will nicht, da? hier ein Morder sein Unwesen treibt, nicht an meiner Kuste!»

Bolitho fiel ein, da? ein Teil von Vyvyans Landereien bis an die See reichte, vom gefurchteten Kap Lizard bis in die Nahe der Manacles: eine gefahrliche, grausame Kuste. Ein Schmuggler, der dort seine Ware anlanden und Vyvyans rauher Justiz trotzen wollte, mu?te wirklich viel Mut besitzen. Er wandte sich seiner Mutter zu, als diese jetzt leise sagte:»Ich bin Ihnen dankbar, da? Sie diese Muhe auf sich nehmen, Sir Henry. «Sie wirkte bla?, wohl weil das von drau?en reflektierte Schneelicht auf ihr Gesicht fiel.

Vyvyan betrachtete sie liebevoll.»Ware nicht Ihr Mann, Madam, ich hatte Sie mir geangelt, obwohl ich nur ein ubel zugerichteter alter Schurke bin.»

Sie lachte.»Das werde ich ihm erzahlen, wenn er zuruckkommt. Vielleicht gibt er dann die Seefahrt endlich auf. «Vyvyan trank den letzten Schluck Punsch und lehnte ein weiteres Glas, das Mrs. Tremayne ihm anbot, mit einer Handbewegung ab.

«Danke, nein, ich mu? weiter. Sagen Sie bitte diesem Tolpel von Kutscher, er soll sich fertigmachen!«Dann wandte er sich wieder Mrs. Bolitho zu:»Lassen Sie das lieber bleiben, Madam. England wird bald wieder jeden Seemann brauchen. Weder die spanischen Dons noch der franzosische Hof werden Ruhe geben, bevor sie nicht noch einmal gegen uns blankgezogen haben. «Er lachte laut.»Sollen sie!«Dann, die Fahnriche musternd:»Mit Burschen wie diesen da konnen wir nachts ruhig schlafen, denke ich!«Er umarmte Mrs. Bolitho zum Abschied, klopfte den Fahnrichen kraftig auf die Schulter und stampfte hinaus in die Halle, wo er mit Stentorstimme nach seinem Kutscher rief. Dancer grinste.»Sein Mann mu? wohl taub sein. «Bolitho fragte eifrig:»Ist schon Essenszeit, Mutter? Wir sind halb verhungert!»

Sie lachelte beiden freundlich zu:»Gleich gibt es etwas. Sir Henrys Besuch kam dazwischen.»

Zwei weitere Tage voll interessanter Erlebnisse verstrichen, und nichts storte ihren Urlaub von Disziplin und taglicher Bordroutine.

Dann berichtete der Postbote, der im Haus auf einen hei?en Trunk Station machte, ein Schiff sei vor der Reede von Carrick gesichtet worden.

Der Wind hatte betrachtlich gedreht, deshalb mu?te es mindestens eine Stunde dauern, bis das einlaufende Schiff seinen Ankerplatz erreicht hatte.

Bolitho fragte den Postboten, was fur ein Schiff es sei, und dieser erwiderte mit einer Grimasse:»Ein Schiff des Konigs, Sir, dem Aussehen nach ein Kutter.»

Ein Kutter. Vielleicht einer, wie der Zoll sie benutzte, oder, noch besser, unter Marinekommando.

Rasch fragte er:»Wollen wir gehen und ihn uns anschauen?«Dancer suchte bereits nach seinem Uberrock.»Ich bin fertig. «Bolithos Mutter hob abwehrend die Hande.»Kaum von See zuruck, und schon willst du dir wieder Schiffe ansehen! Genau wie dein Vater!»

Die Luft war schneidend kalt wie Eis, aber als sie die Stadt durchquert und den Hafen erreicht hatten, gluhten sie vor Eifer und Anstrengung. Gutes und reichliches Essen, regelma?iger Schlaf und viel Bewegung hatten bei beiden Wunder bewirkt. Zusammen standen sie auf dem Anlegesteg und beobachteten das langsam zum Ankerplatz kreuzende Schiff. Es war etwa 75 Fu? [4] lang, bei der stattlichen Breite von uber 20 Fu?, [5] und hatte einen einzigen Mast, einen plumpen, runden Bug und ein recht schwerfalliges Aussehen. Bolitho wu?te jedoch, da? gut gefuhrte Kutter dank ihrer gro?en Segelflache bis zu funf Strich an den Wind gehen konnten, und das bei jedem Wetter. Dieser hier fuhrte ein gewaltiges Gro?segel, ein Rahsegel im Topp und vorne Fock und Kluver. Au?erdem konnte er noch mehr setzen, sogar Leesegel, wenn erforderlich.

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4

ca. 25 m

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5

ca.7 m