Die Feuertaufe: Richard Bolitho - Fahnrich zur See, стр. 4

«Mr. Grenfell wird Sie unter Deck fuhren«, sagte Hope lassig. Grenfell war, wie sich zeigte, der dienstalteste Midshipman. Ein untersetzter, selten lachelnder Jungling, etwa siebzehn Jahre alt, der sich jedoch, sowie Hope weg war, lockerte.»Kommt mit«, sagte er.»Mr. Hope ist ein gerechter Mann, aber seine Beforderung macht ihm Sorgen.»

Bolitho wu?te Bescheid und mu?te lacheln. Auf einem Linienschiff war die Beforderung immer schwierig, besonders wenn kein Krieg war, der die Rangliste ausdunnte. Als Funfter Leutnant hatte Hope in der Offiziersmesse nur noch einen Dienstjungeren; und so lange nicht die Leutnants uber ihm befordert wurden, auf ein anderes Schiff kamen oder im Kampf fielen, wurde er sich mit seinem Avancement schwer tun.

Dancer flusterte ihm ins Ohr:»Auf dem Flaggschiff hatten wir einen Sechsten Leutnant, der war so verzweifelt, da? er Flote spielen lernte, blo? weil die Frau des Admirals etwas fur Flotenmusik ubrig hatte.»

Schweigend folgten sie dem Messealtesten uber die erste Niedergangstreppe ins Zwischendeck, und dann weiter ins nachsttiefere Deck. Je tiefer sie in den Bauch des Schiffes hinabstiegen, um so voller und enger schien es zu werden. Uberall schattenhafte Gestalten, gesichtslos und unwirklich im Halbdunkel; mit gebeugten Kopfen duckten sie sich unter den Decksbalken und wichen dem sorgfaltig weggestauten Geschirr fur jedes einzelne, festverblockte Geschutz aus. Eine wahre Wand von Geruchen stieg vor ihnen auf: Salzfleisch und Teer, Bilgewasser und zusammengepferchte Menschen; und dabei krachte und knirschte der feste Schiffsrumpf, der sie umschlo?, wie ein lebendes Wesen, die Laternen an der Decke kreisten und warfen Schatten auf die machtigen Balken und die Seeleute. Das Ganze wirkte wie ein riesiges Gemalde.

Das Midshipmen-Logis befand sich im Orlopdeck, also noch unter dem Geschutzdeck, sogar unter der Wasserlinie. Das einzige Licht kam vom Niedergang her und von den schwingenden Laternen.

«Hier ist es«, sagte Grenfell beilaufig.»Au?er uns wohnen auch noch die Steuermannsobermaaten hier. «Er zog eine Grimasse zu einem wei?gestrichenen Wandschirm hin.»Die allerdings halten sich fur was Besseres und wollen mit uns nichts zu tun haben.»

Bolitho warf einen Blick auf seine Kameraden. Unschwer konnte er sich ihre Gefuhle vorstellen. Er erinnerte sich daran, was er selbst in seinen ersten Stunden an Bord durchgemacht hatte. Damals hatte er alles mogliche fur ein freundliches Wort im rechten Augenblick gegeben.

«Sieht sehr gut aus«, sagte er.»Besser als in meinem vorigen Schiff.»

«Tatsachlich?«fragte der kleine Eden unglaubig.

Grenfell lachelte.»Kommt blo? darauf an, was ihr daraus macht. «Er wandte sich um, als eine winzige Gestalt durch die Tur stolperte.»Das ist euer Messejunge. Starr hei?t er, und er redet nicht viel. Sagt ihm nur, was ihr braucht; ich arrangiere das dann mit dem Zahlmeister.»

Starr war sogar noch junger als Eden. Zehn Jahre vielleicht, und klein fur sein Alter. Er hatte das verkniffene Gesicht eines Kindes aus den Slums, und seine Arme waren dunn wie Stocke.

«Wo kommst du her?«fragte Bolitho freundlich.

Der Junge sah ihn mi?trauisch an.»Aus Newcastle, Sir. Mein Alter war da Bergmann. Ist bei 'm Schlagwetter umgekommen. «Seine Stimme klang tonlos, als sprache er aus einer anderen Welt.

«Und dich bringe ich auch um, wenn du meine Hemden so behandelst wie das hier!»

Bolitho wandte sich nach dem Sprechenden um. Ein Midshipman, rot im Gesicht von Wind und Regen, trat unter den niedrigen Decksbalken. Er und Grenfell gehorten offensichtlich zu den drei Midshipmen, die vom letzten Schwung ubriggeblieben waren und nun auf die Gelegenheit warteten, ihr Leutnantsexamen abzulegen.

Der junge Mann war schlechter Laune und sah aus wie jemand, der von Geburt an gewohnt ist zu befehlen — hubsch und arrogant.

«Sachte, Samuel«, sagte Grenfell.»Hier sind die Neuen.»

Dem anderen wurde anscheinend klar, da? er auf die verwirrten Neuankommlinge etwas Rucksicht nehmen mu?te.

«Ich bin Samuel Marrack. Signal-Midshipman und Kapitanslaufer.»

«Das hort sich ja sehr bedeutend an«, sagte Dancer.

Marrack war anscheinend beleidigt.»Ist es auch! Und wenn ihr vor unserem illustren Kapitan erscheint, dann am besten in einem sauberen Hemd. «Er fuhrte mit seinem Hut einen raschen Hieb nach dem kleinen Diener und fugte hinzu:»Also merk dir das fur die Zukunft, du Hund!«Damit warf er sich auf eine Seekiste.»Bring mir Wein!«befahl er.»Ich bin staubtrocken.»

Bolitho setzte sich neben Dancer und sah zu, wie die anderen, ziellos wie Blinde, ihre Seekisten auf- und zuklappten. Er hatte gehofft, auf eine Fregatte kommandiert zu werden wie sein Bruder; auf ein Schiff, das, frei von der druckenden unmittelbaren Befehlsgewalt eines Admirals, imstande war, gro?te Entfernungen in einem Drittel der Zeit zuruckzulegen, welche die gewichtige Gorgon dazu brauchte. Auf einer Fregatte hatte er vielleicht die Abenteuer erleben konnen, von denen er so oft traumte.

Aber nun war seine Heimat die Gorgon, und er mu?te das Beste daraus machen, solange die Konigliche Marine es befahl. Ein Linienschiff.

II Kurs Afrika

«Alle Mann! Alle Mann aufentern zum Segelreffen!«Unaufhorlich schrillten die Bootsmannspfeifen, bis der Befehl um das ganze Deck gegangen war — es klang wie Damonengekreisch in einem bosen, endlosen Traum, bis das ganze Schiff unter den trampelnden Fu?en erzitterte, die Freiwache an Deck kam und sich in rasender Eile zur Musterung auf die Stationen verteilte.

Bolitho schuttelte Dancer so kraftig an der Schulter, da? dieser beinahe aus der Hangematte gefallen ware.

«Raus, Martyn! Wir kurzen schon wieder Segel!»

Er wartete, bis Dancer Schuhe und Jacke ubergestreift hatte, und dann rannten sie beide zum nachsten Niedergang. Drei, fast vier Tage ging es nun schon so. Seit dem Ankerlichten, seit das Schiff die Passage durch den Armelkanal mit Kurs auf den Atlantik begonnen hatte, wurden auf dem machtigen Vierundsiebziger die Segel unaufhorlich gesetzt, gerefft, wieder gesetzt, wieder gerefft — es horte uberhaupt nicht auf. Mude Leiber zogen sich in den Wanten hinauf bis zu den vibrierenden Rahen; standig hetzte und trieb sie die Stimme des Ersten vom Achterdeck. Auch das gehorte zu dem bosen Traum, denn Verling mu?te, damit seine Orders inmitten der brullenden Wogen zu verstehen waren, ein Sprachrohr benutzen, und dadurch wurde seine an sich schon scharfe Stimme noch fremdartiger und wie ein Stachel fur die keuchenden Midshipmen.

Fur die neuen Matrosen war es noch schlimmer. Ein Mishipman galt schon sehr wenig auf einem Schiff des Konigs. Aber der einfache Matrose galt uberhaupt nichts.

Ein Nachlassen der Disziplin konnte, etwa wenn das Schiff bei starkem Wind uber Stag ging, verhangnisvoll sein, das wu?te Bolitho ganz genau. Und doch machte es ihn krank, wenn er sah, mit welch unnotiger Brutalitat ein Mann behandelt wurde, der bei seiner Arbeit hoch uber Deck vielleicht nur vor lauter Angst nicht gleich begriff, was die da unten uberhaupt von ihm wollten.

Es war genauso wie beim letztenmal. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber irgendwo in den tieferen Wolkenlagen schimmerte ein bleicher Fleck von etwas hellerem Grau. Jedoch fur jemanden, der in die Wanten hinauf mu?te, war das Licht machtig knapp. Ungeduldig traten die Leutnants von einem Fu? auf den anderen, wahrend die Deckoffiziere und Maaten an jedem Mast ihre Namenslisten kontrollierten. Die Seesoldaten standen achtern in einem Haufen bei den Gro?mastbrassen und rutschten standig mit ihren Stiefeln auf den nassen Planken aus; der Erste Leutnant rannte an der Reling auf und ab und schwenkte seine Sprechtrompete, um auf diese oder jene Einzelheit noch besonders hinzuweisen.

Bolitho spahte nach achtern zu dem gro?en doppelten Steuerrad, dessen Speichen vier Rudergasten umklammert hielten — wahrscheinlich, dachte er, lief noch eine starke Dunung gegen Ruder und Segel an. Neben ihm stand der alte Turnbull, der Segelmeister, formlos in seinem schweren Olzeug; mit lebhaften Bewegungen der krebsroten Fauste gab er seinen Maaten Anweisungen.